Sonntag, 29. Juli 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (245): Das Herz eines Kindes

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So, wie das Kind in seiner Natur und in seinem Herzen empfindet, könnte es manchmal vor schierer Freude, vor purem Glück zerspringen. Seine „unanstößliche Übertragung“ (Freud) auf die Menschen, sein grenzenloses Lieben, seine Güte, sein Urvertrauen ist ungetrübt, wie sein Wunsch sich mit alles Lebewesen herzlich zu verbinden, wird es gelassen. Erhält das Kind die Chance, seiner inneren Natur zu folgen, sie zu entfalten (ich spreche hier also nicht von ungewollten oder früh traumatisierten Kindern, bei denen dieser Impuls bereits verzerrt ist), ist es eins.

Das Herz des Kindes schlägt dann und zuerst aus dem tief empfunden Einklang mit sich selbst und mit der unmittelbaren Lebensumwelt, Gebärmutter, Mutter, Familie. Es ist sein Herz, das es leitet, das sich zeigt, das sich verbinden will. Es ist sein Herz, das Bindung sucht: mit der Mutter, dem Vater, den anderen Kindern und Lebewesen um es herum. Bindung ist das tiefe biologische Bedürfnis, sich mit einem anderen Herzen wieder und wieder in Einklang zu fühlen.

Jene glücklichen Momente des Eins-Seins mit einem anderen Menschen erweisen sich in dieser Weise als ein tiefes biologisches Bedürfnis, das der Mensch als „Tiefe“, als unmittelbaren Kontakt, als „Glückseligkeit“ wahrnimmt, die für einen Augenblick präsent sind, aber auch wieder vergehen. Die Kontinuität solcher Erfahrungen, besser, die Fähigkeit, solche Erfahrungen immer wieder herzustellen, ist das, was eine gute Bindung ausmacht. Goethe sagte zu diesem Augenblick „verweile doch, du bist so schön!“, Ernst Bloch sprach vom „Dunkel des gelebten Augenblicks“ und Immanuel Kant vom „Ding an sich“, welche eher die rationale Schattenseite dieser Erfahrung andeutet.

Der Augenblick verweilt nicht, er vergeht, wir können ihn nicht mit dem Verstand, sondern nur mit dem Herzen erfassen, aber daraus erwächst das Bedürfnis der Liebe, solche Augenblick mit einem anderen Menschen neuerlich zu erfahren, zu lieben, was allerdings die eigentliche Schwierigkeit ist, wie wir sehen werden.

Nur so viel an dieser Stelle: In meinen Gedichten spielen Begriffe wie „Augenblick“, „Herz“, „Licht“, „Sonne“ usw. deshalb eine so große Rolle, weil solche Erfahrungen einer Herzverbindung wahrhaftig erhellende Erfahrungen des Augenblicks repräsentieren. Doch kommen wir zurück zur Herzerfahrung des Kindes, die im Kern im Menschen angelegt sind:
 
Das Herz eines Kindes kann so überschäumen vor Liebe, vor Liebeslust, dass der Erwachsene in seiner harschen, unerbittlichen Welt des Kampfes und der Waffen heftig erschrickt. Der Erwachsene hat schließlich sein inneres Kind mit genau diesen Gefühlen in sich abgetrieben, es geopfert. Er ist genau das geworden, was er ist: Ein einsamer Wanderer auf rastloser Suche. Er sucht sich selbst. Doch er sucht genau dort, wo es keine Chance gibt, sich zu finden, er sucht im Außen, in seinen Beziehungen, im anderen, doch nicht in sich selbst.

Was bleibt dem Kind? Wenn es keine oder wenig Resonanz fühlt bei den eigenen Eltern? Das Kind sucht neue Objekte für seine Sehnsucht. Oft sind es Tiere, oft lieben deshalb Kinder – und manchmal auch Erwachsene – Tiere, vielleicht, weil diese Liebe, diese Herz(ver)bindung ungefährlicher, weniger existentiell bedrohlich ist. Weil Tiere keine Herzen brechen.

(Fortsetzung folgt)


Sonntag, 22. Juli 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (244): Die Poesie der Liebe und mein Weg dorthin


foto: vkd

Doch wie weit entfernt ich mich von dieser seelischen Wirklichkeit in Wahrheit befand, zeigte jenes Erschrecken, das ich empfand angesichts mancher aufwühlender Eindrücke, die Rumis Poesie auslöste. Mein narzisstisches Ego erteilte mir die Lektion darüber, wie es funktioniert. Denn in meinen (un)heimlichen Gedanken hatte nichts Besseres zu tun, als mich auf der Ebene des »Kollegen« flugs mit Rumi zu messen und zu vergleichen. Abgesehen von der Vermessenheit und Grandiosität, die sich hier abbildet, erweist sich das Kategorisieren und Bewerten als probates Mittel, mein tiefes Berührtsein, die Aufgewühltheit, die Erregung schlechthin im ruhigen Hafen des Ego-Verstands zu ankern.
 
Ja, ich schrieb nicht nur selbst Gedichte, sondern als favorisiertes Sujet galten mir Liebesgedichte. Der Gegenpol der Grandiosität, man könnte auch sagen, der Realitätsgewinn, äußerte sich bald in einem niederschmetternden Urteil: »Du wirst nie so schreiben können wie Rumi, da kannst du alles in die Tonne treten, was du je geschrieben hast oder schreiben wirst«. Dass auch in diesem Reaktionsmuster die Freude und Lust auf der Strecke blieb, ist klar. Urteile und Analysen jeder Art dienen stets dazu, den unmittelbaren, sinnlichen, lustvollen, erfüllenden Kontakt zu unterbrechen, zu kontrollieren, die Liebe, die sich mit wem oder was auch immer verbindet, heim ins Reich der Gedankenselbstkontrolle zu holen. Wo das Herz sich verbindet, trennt der Verstand.

Ich nahm nicht nur Grandiosität und Selbstabwertung wahr, die im Vergleichen mit Rumi deutlich wurde, sondern auch die vielschichtige Scham, die sich dahinter verbarg.

Die Scham betraf zunächst die vielen gescheiterten Versuche zu lieben. Es betraf meine Liebesbeziehungen, die mit einem Strohfeuer begannen, sich mit Illusionen und Machtspielen entwickelten, und die am Ende in Enttäuschungen und Schmerz endeten. Legitimiert eine solche Vor-Geschichte, über Liebe zu schreiben?

Ja, es legitimiert. Allein deshalb, weil der Ego-Verstand stets nach dem Vollkommenen strebt. Das ist wohl seine spezielle Art der Gottsuche. Das Zarte und das Leise, das Unschuldig-Naive und das Unvollkommene, das der Wahrheit-ins-Auge-Sehen des Herzens sind nicht seine Sache.

Die Scham betraf zudem sich jenen intimen Wahrheiten des Herzens in einer Weise zu öffnen, die über den Rahmen der persönlichen Beziehung hinaus wiesen. Wie exhibitionistisch mochte es sein, Intimitäten des Herzens einem Leserkreis zu offerieren, der anonym blieb? Ich erschrak, als ich in mir selbst wahrnahm, dass ich die Gefühle des Herzens als persönlicher und schamhafter empfand als jede Art erotischer oder sexueller Empfindungen. Sollte das auch bei anderen Menschen so sein?

Diese inneren Dialoge und Selbstbeobachtungen mündeten in dem Schritt, meine Liebesgedichte, die jahrzehntelang eine verborgene Existenz in den Schubladen meines Schreibtisches führten, öffentlich zu machen. Ich gründete 2010 das Blog »eintagsliebe«, das bis heute im Internet zu finden ist und einige Hundert Liebesgedichte aus meiner Feder der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Ich möchte versuchen, die Hintergründe zu skizzieren (man möge mir nachsehen, dass hier manches nur rudimentär, angedeutet, fragmentarisch erscheint), weshalb ich Liebeslyrik schreibe und veröffentliche. Dabei geht es weniger um die Lyrik als solche, sondern mehr um die Hintergründe, die den Boden bilden, auf dem meine „lyrischen Blüten“ wachsen. Lassen Sie sich also entführen in jene Seelenlandschaften, in denen das Lied, die Lyrik nur das Echo einer Seele repräsentiert. Einer Seele, die sich verbindet mit sich selbst, mit der Schöpfung, mit den Herzen des oder der Anderen.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 9. Juli 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (243): Die Melodie der grenzenlosen und formlosen Liebe

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So leben Tiefe und Weisheit dieser Poesie aus längst vergangenen Tagen bis heute. Kabirs und Rumis Lyrik wirken zeitlos. Sie geben Zeugenschaft über die ureigensten Themen der Seele: Spiritualität und Liebe. Sie widmen sich ihnen auf der Ebene der direkten, ekstatischen, grenzenlosen Gotteserfahrung. Nicht fein ziselierte Wortspielereien oder intellektuelle Architekturen aus Metaphern, Rhythmen und Reimen bilden die Anziehung, die ihre Poesie ausübt, sondern die Versprachlichung menschlichen Seelenlebens in seiner spirituellen Tiefe.

Nicht die die Form, die Wahl der Worte, sondern die Inhalte selbst sind es, welche die Faszination dieser Poesie ausmachen. Sie erreichen uns aus der Tiefe der menschlichen Seele, und berühren sie, bringen sie und ihre Wahrheit zum Klingen. Die Liebe, die Rumi besingt, ist nicht die personale, sondern die transpersonale, nicht die bedingte, sondern die bedingungslose, allumfassende, göttliche Liebe:

Neunte Ghasele
Tritt an zum Tanz! Wir schweben
In dem Reihn der Liebe,
Wir schweben in der Lust
Und in der Pein der Liebe.
Der ew’gen liebe Botschaft
Hört‹ ich von dem Tode,
Dass Gott den Tod getränkt
Im Lebenswein der Liebe.
Die Kraft der Liebe löste
Leise mir den Nabel,
Als Mutter Liebe mich
Gebar ins Sein der Liebe.
Ich frug die Liebe: Wie
Soll ich der Lieb‹ entgehen?
Sie sprach: Ohn‹ Ausgang ist
Der Zauberhain der Liebe.
Der liebe Zauberspiegel
Strahlet Weltgestalten,

Der Blick verirrt sich
In den Schilderein der Liebe.
Gib deinen Leib wie Gold
In Liebe’s Läutrungsschmerzen;
Denn Schlack‹ ist Gold, das nicht
Die Glut macht rein der Liebe.
Ich sage dir, warum
Das Weltmeer schlägt die Wogen:
Es tanzt im Glanze
Vom Weltedelstein der Liebe.
Ich sage dir, wie aus dem Ton
Der Mensch geformt ist:

Weil Gott dem Tone blies
Den Odem ein der Liebe.
Ich sage dir, warum
Die Himmel immer kreisen:
Weil Gottes Thron sie füllt
Mit Wiederschein der Liebe.
Ich sage dir, warum
Die Morgenwinde blasen:
Frisch aufzublättern stets
Den Rosenhain der Liebe.
Ich sage dir, warum
Die Nacht den Schleier umhängt.
Die Welt zu einem Brautzelt
Einzuweih‹n der Liebe.
Ich kann die Rätsel alle
Dir der Schöpfung sagen,

Denn aller Rätsel Lösungswort
ist mein, der Liebe.

Rumis Poesie weist auf jenen erleuchteten Zustand, in welcher ein Mensch in vollendetem Kontakt mit der Essenz des Seins steht.

Die Form tritt zurück hinter das Orchester der Worte. Ein Orchester, das eine Musik erklingen lässt, welche als »Musik Gottes« oder »Gesang der Engel« ertönt. Musik, die in den Tiefen der menschlichen Seele immer existierte und existiert, die nun ohrenfällig wird. Es ist, also ob Kabir oder Rumi nur den Lautstärkeregler aufdrehen, und schon hören wir eine Melodie in uns anklingen, die dort schon immer war: die Melodie der grenzenlosen und formlosen Liebe.

(Fortsetzung folgt)