Mittwoch, 29. Dezember 2021

 Wege zur Hingabe des Herzens

Das Elysium aus Leib und Seele singen

Annäherungen an das Phänomen
Diana Ankudinova (6. Teil)

Musik verfügt über spezielle Potentiale, da sie auf nonverbaler, einer Schwingungs- und Stimmungsebene dem menschlichen Gefühls- und Seelenleben nah ist und intensiven Ausdruck verleihen kann. Das gilt insbesondere für die menschliche Stimme, die der Herzenergie nicht nur physisch, sondern auch seelisch nahe ist. Dazu Diana Ankudinova:

»Ich werde oft gefragt, wie ich mit 17 Jahren so intensiv Lieder fühlen und leben kann. Wie ich das schaffe ... ein echter Künstler fühlt einen Song mit ganzem Herzen - wenn er wirklich ein guter Sänger ist. Es geht nicht nur darum, den Mund zu öffnen und die Stimmbänder zu bearbeiten ... oder professionell zu singen. Die Fähigkeit zu fühlen, hängt nicht vom Alter im Pass ab – es ist das Alter der Seele, das zählt.« (Interviewszene einer Konzertaufnahme mit Diana Ankudinova vom 19.04.2019, veröffentlicht auf Youtube am 13.05.21, Übersetzung vkd)

Weise Worte einer 17-jährigen jungen Frau, die in Kontakt mit ihrer organismischen Wahrheit zu stehen scheint. Dass sie einen Song mit dem ganzen Herzen fühlt, zeigt sich in mehreren ihrer Videos, in denen sie sich mit Tränen in den Augen nach der Gesangsvorführung vom Publikum abwendet. Diese Fähigkeit, sich ihren Gefühlen hinzugeben, erzeugt jene Präsenz ihrer Auftritte, die den Kontakt zwischen ihrem eigenen und den dafür offenen Herzen der Zuhörer ermöglicht. Die tiefen Gefühle, denen die Sängerin in sich Raum lässt, verbinden sich mit den Gefühlen des Publikums, bringen diese in Resonanz. Die Gesangskünstlerin berührt, sie berührt Herz und Seele, jedoch auch die ggf. vorhandenen Blockaden und Abwehrmuster.

Sind alle 4 »energetischen Fenster« mit dem Herzen eines Künstlers energetisch verbunden und ist dieser so frei und hingegeben, sich in dieser Verbindung in und zu sich selbst zu zeigen, dann scheint Hingabe im Herzen nicht nur im Künstler selbst auf, sondern berührt auch die Hingabefähigkeit des Zuhörers.

Im nächsten Schritt möchte ich die Aufmerksamkeit auf die »energetische Dramaturgie« richten, die in Diana Ankudinovas Interpretation von »Can’t Help Falling in Love« zum Ausdruck kommt.
Das Lied beginnt in Stille, mit sanftem minimalistischen Piano. Diana beginnt in ihrer tiefen Stimmlage (Musiker sprechen von einer »contralto«-Stimmlage.) in Molltönen ihre Interpretation, wirkt in sich gekehrt, die Augen lange geschlossen, nur von einem Scheinwerfer angestrahlt im Halbdunkel, der Körper unbewegt. Dann wechselt sie in höhere Tonregister, singt dieselben Zeilen sanft und nahezu zärtlich, ihre Augen verlebendigen sich, öffnen sich, auch in den linken Arm (Der rechte Arm ist durch die Notwendigkeit, das Mikrophon zu halten, in seiner Beweglichkeit fundamental eingeschränkt.) kommt Leben. Die schwermütige Zurückhaltung dieser Einleitungsphase steigert sich in ein Crescendo im hohen Tonbereich, wo sie einer Opernsängerin ähnlich in hohen Tonlagen textfrei improvisiert. Der Höhepunkt der emotionalen Präsenz ist erreicht, als sie mit ungebändigter Ausdruckskraft in ihr Contralto-Register zurückfällt und den Refrain »I can’t Help falling in Love« mehrmals mit einer Intensität wiederholt, die ich emotional als machtvolle Welle erlebt habe, der man sich hingeben, aber nicht widerstehen kann. Sie gleicht dem Archetypus einer weiblichen Gottheit, die mit überirdischer Präsenz und Leidenschaft ihre Wahrheit verkündet.

 Diana Ankudinova hat aus dem romantischen Liebeslied von Elvis eine Arie gezaubert. Alles, was eine Frau über ihre Hingabe an die Liebe in einem Lied ausdrücken kann, findet sich in dieser Performance: Zartheit, Leidenschaft und grenzenlose Kraft, eine inbrünstige Liebeserklärung an das Leben, eine Hymne an die göttliche Weiblichkeit. Sie drückt weibliche Hingabe und Leidenschaft an die Liebe nicht nur künstlerisch aus, sie lebt weibliche Hingabe und Leidenschaft in diesem Augenblick.
Die Beziehung von Gefühl und Emotion setzt Diana eindrucksvoll um: Das nach innen gerichtete, nur im Inneren präsente Gefühl der Einleitungsphase geht sukzessive über in die Hingabe an die Emotion, den nach außen gerichteten Gefühlsausdruck, reflektiert in Tonlage, Stimmintensität und Körpersprache in der letzten Phase des Vortrags. Diana Ankudinova ist eine Meisterin der »Entregungs-Erregungskurve«.



Die Entregung entspricht dabei der ruhigen, nach innen und in sich gekehrten Gefühlsphase zu Beginn des Liedes, die Erregung der nach außen gerichteten, sich steigernden Ausdrucksbewegungen und Emotionen, die mit dem letzten Ton ihren Höhepunkt erreichen und verklingen. Beides, aufsteigende Erregungsphase und absteigende Entregungsphase stellen grundlegende Polaritäten dar, Pulsationen, die allen lebendigen Prozessen zu eigen sind: Tag und Nacht, Wachsein und Schlafen, Bewegung und Stille usw.

Diana Ankudinova präsentiert sich nicht nur in diesem Song als eine Meisterin des Entregung-Erregungs-Zyklus, energetisch betrachtet umfassen die meisten ihrer Performances, die ich bisher sehen konnte, das gesamte Spektrum von Entspannung und Trance bis zu orgastischen Ich-Auflösung.

(Fortsetzung folgt)