Sonntag, 26. Dezember 2021

Wege zur Hingabe des Herzens

Das Elysium aus Leib und Seele singen

Annäherungen an das Phänomen
Diana Ankudinova (5. Teil)

 


Betrachten wir die Stimme eines Gesangskünstlers, so spielen Kriterien wie Klarheit, das Element des Raumfüllenden, der Präsenz und nicht zuletzt der emotionalen Qualität eine besondere Rolle bei dem, was sich aus dem geöffneten Mund nach außen bewegt. Gesangsterminologisch und topisch möchte ich das energetische Fenster »Mund« unter dem Begriff »Kopfstimme« zusammenfassen. Kommt das, was der Künstler ausdrückt, aus dem Herzen, erlebt er das mit, was er in seinem Lied erzählt? Das gilt für alles, was wir über unsere Stimme kommunizieren: Nur das, was mich selbst bewegt, vermag auch den anderen zu bewegen.

Die Genitalien als Kontaktorgan werden als »Ausdrucks-Fenster« der Herzenergie in unserer Kultur verzerrt oder abgespalten wahrgenommen (Nur eine Anmerkung dazu: Die Termini »Liebe machen« oder »Liebesakt« illustrieren diese Verzerrung anschaulich. Sie verweisen einerseits auf die einseitige sexuell-genitale Konnotation von Liebe und andererseits auf die Ebene einer vom Kopf gesteuerten Tätigkeit im Gegensatz zum Lieben als Hingabe und Seinserfahrung). Das betrifft auch die Nicht-Wahrnehmung des Beckens als energetisches Zentrum und als Resonanzkörper. Wenn wir uns den menschlichen Körper als Resonanzraum vorstellen, dann lassen sich die hohen Töne dem Kopf (»Kopfstimme«), die mittleren Tönen dem Brustbereich (»Bruststimme«) und die tiefen Töne dem Becken zuordnen (»Beckenstimme«).

»Beckenstimme«? Googelt man danach, findet man – von einer Ausnahme abgesehen – ausschließlich Hinweise zum Schlaginstrument »Becken«. Diesen Sonderfall repräsentiert Iris Hammermeister, eine Gesangslehrerin, die gleichzeitig über einen trauma- und systemtherapeutischen Hintergrund verfügt und einen eigenen Ansatz zur »Befreiung der Stimme« verfolgt. Sie stellt fest:

»Meine Erfahrung ist, dass alle Veränderungen, die im Stimmapparat geschehen, auch parallel im unteren Beckenboden passieren oder umgekehrt. So kann man von parallelen Organen sprechen, wie beispielsweise Mund und Muttermund, Mundraum und Gebärmutter, Innenohr und Eierstock, Stimmlippen und Schamlippen, Kehlkopf und Vagina,…Es ist kein Zufall, dass es diese Verbindung zwischen dem Kehlkopf und dem unteren Beckenboden gibt. Diese Verbindung besteht auch bei Männern in einer anderen Art. Das bedeutet, dass die Stimme mit unserem Ursprung, mit unserem göttlichen Funken, mit unserer Lebensenergie, mit unserem Schöpfungsraum verbunden ist. Es ist auch kein Zufall, dass das weibliche Geschlechtsorgan so viele Parallelen zum Stimmapparat aufweist und das kollektive verletzte Weibliche im Schoßraum der Frauen verborgen liegt. Ich habe mich viel mit der Mutterwunde auseinandergesetzt und bin zum Ergebnis gekommen, dass das Singen mütterlich ist, was uns wieder mit dem Gottesweiblichen verbindet, denn der Klang ist weiblich und der Ursprung des Universums.« (Quelle und weitere Informationen: www.irishammermeister.de)

Das sind Erkenntnisse, welche die Faszination verstehen helfen, die von einer weiblichen Stimme ausgehen kann, die tief aus dem Becken kommt, sich im Gesang spiegelt. Auf das männliche Unbewusste dürfte mit dieser Tonlage eine urtümliche (mütterlich-archaische und gottesweiblich-archaische) und erotisch-archaische Wirkung einhergehen.

Eine Besonderheit der Stimme von Diana Ankudinova besteht darin, dass sie das gesamte Spektrum, von der tiefen Beckenstimme bis zur Kopfstimme beherrscht. Ihre Beckenstimme repräsentiert den kraftvollsten und intensivsten Anteil, eine für Frauen seltene Tonlage (»Contralto«).

Halten wir fest: Bei musikalischen Gesangsdarbietungen, die emotional ergreifen, spielt der freie Energiefluss durch die Augen, Mund, Armen und Becken eine entscheidende Rolle. Die Intensität dessen, wie präsent und frei sich energetische Lebendigkeit zeigt, verdient besondere Aufmerksamkeit. Die Quelle der Energie, die durch die Kanäle fließt und sich über die energetischen »Fenster« mit einem anderen Organismus verbindet, liegt im Herzen.

Die Hingabe an und der Ausdruck der dem Herzen entströmenden Energie erzeugt jene Präsenz, die ich als organismische Wahrheit von Liebe bezeichne, also jenen Selbstanteil, der im Grund unserer der Seele verborgen ist und berührt werden will. Die authentische Präsenz der Herzenergie, die in einem Menschen aufscheint, resoniert mit einem oder mehreren anderen Herzen. Präsenz erwächst aus der Hingabe an die Wahrheit des Herzens (»Hand auf’s Herz«).

(Fortsetzung folgt)

 

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