Montag, 29. Februar 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (70): Selbstbeziehung, Selbstbemutterung und Selbstbevaterung


In der Selbstbeziehung finden sich Phänomene, die ich als „Selbstbemutterung“ und „Selbstbevaterung“ bezeichne.

„Selbstbemutterung“ bezieht sich auf die inneren Ressourcen, die einem Menschen in seiner Beziehung zu sich selbst zur Verfügung stehen. Sie repräsentieren das innere mütterliche Haltesystem, d.h. Ressourcen, wie z. B.
  • eine Beziehungsmatrix, die im Kern von Liebe und Lebensfreude geprägt ist,
  • die Fähigkeit, sich selbst gegenüber Fehler zu verzeihen,
  •  den eigenen Unzulänglichkeiten mit Verständnis und nicht mit aggressiven oder autoaggressiven Reaktionsmustern zu begegnen,
  • die Fähigkeit, Vertrauen, Frieden und Heimat in sich selbst finden und mobilisieren zu können,
  • der Welterfahrung von Beziehung, Kontakt und Bindung eine Priorität gegenüber der Welt der Repräsentation (Leistung, Geld, Macht usw.) geben zu können
  • dem Leben mit den Herzqualitäten von Herzensmut und Neugier, Offenheit und Hingabe begegnen zu können

Während die Ressourcen der Selbstbemutterung sich tendenziell auf die gefühls- und beziehungsorientierten Anteile des Seelenlebens beziehen, richten sich die Ressourcen der Selbstbevaterung innerhalb der Selbstbeziehung tendenziell auf die geistigen und lebenstechnischen Aspekte, wie z. B.
  • die geistige und intellektuelle Klarheit und Zielorientiertheit, die aus einem lebendigen Kontakt zum Herzen wächst
  • die Achtsamkeit und Verantwortlichkeit gegenüber dem eigenen Wirken in Leben und Alltag
  • eine positive Erdung in der sozialen und gesellschaftlichen Realität
  • die Fähigkeit, sich kraftvoll und kämpferisch zu engagieren, zu schützen und zu bewahren
  • Entscheidungen in Klarheit und Konsequenz zu fällen und zu tragen

Diese Beispiele bieten Hinweise darauf, wie Selbstbemutterung und Selbstbevaterung und deren Defizite sich in der Selbstbeziehung eines zeigen oder sich in spezifischen Symptomen darstellen können.

(Fortsetzung folgt)

Freitag, 26. Februar 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (69): Die magische Frage der Diagnostik

Diagnostik der seinsorientierten Arbeit basiert eigentlich nur auf einer einzigen, dafür aber grundlegenden, ja magischen Frage: Wie ist die Beziehung des Menschen zu sich selbst?

In der jeweiligen Antwort liegt ein so umfassender Schlüssel zum Verständnis einer Persönlichkeit, dass ich mich lange darüber gewundert habe, warum diese einfache Frage im therapeutischen Zusammenhang offensichtlich eher selten gestellt wird, wenn dies überhaupt der Fall ist. Meine Hypothese dazu lautet: Die Fixierung auf das Äußere und die Außenwelt, also die Welt der Objektbeziehungen und der „Anderen“ ist nicht nur beim Klienten ein beliebter Mechanismus, um die Wahrnehmung der eigenen Schatten zu vermeiden, sondern auch ein latenter Schatten in den psychotherapeutischen Ansätzen und deren Vertretern, den Therapeuten selbst.

Kommen wir zur Frage selbst: „Was hältst du von dir selbst, von dieser oder jener Eigenschaft von dir? Wie sympathisch oder unsympathisch nimmst du dich im Grunde deines Herzens wahr? Wo ortest du dich im Umgang mit dir selbst auf der Skala von liebevoll bis wütend?“

Es geht eigentlich immer nur um Varianten und Ausformulierungen der Frage nach der Beziehung des Menschen zu sich selbst. Dieses „zu sich selbst“ umfasst, wie ich oben ausgeführt habe, wichtige Subsysteme: Stimme des Herzens, Gefühlsleben, Sexualität, Kognition.

In dieser diagnostischen Fragestellung ist aber gleichzeitig ein erster transformativer Schritt der Des-Identifizierung mit der Persönlichkeit, mit dem Ego, enthalten. Denn indem ich diese Frage stelle, nehme ich die Position eines Betrachters ein, der von einer Metaebene die eigene Persönlichkeit wahrnimmt und beschreibt. Damit verbunden ist die Erfahrung, dass es also noch eine andere Instanz im Menschen gibt, die häufig als „innerer Beobachter“ bezeichnet wird und ein erster Schritt der Des-Identifizierung mit der Persönlichkeit darstellt.

Unter rein diagnostischen Gesichtspunkte fokussiert die seinsorientierte Selbstbeziehungsdiagnostik sich auf folgende Fragen: Wie ist die Beziehung des Menschen zu seinem Herzen, zu seiner organismischen Wahrheit, zu seinem Gefühlsleben (z. B. dem „inneren Kind“), zu seiner Sexualität? Was hält er von sich selbst unter diesen Aspekten?

Wir haben in den ersten Abschnitten meiner Ausführungen (über Selbstbeziehungsdefizite und den innerseelischen Bürgerkrieg) Beispiele dafür kennengelernt, wie vielfältig die Symptome auf dieser Ebene sein können. Deshalb schließt sich hier die Frage an: Wie verändert sich die Selbstbeziehung im Laufe des persönlichen Transformationsprozesses eines Klienten? Diese Frage gibt Antworten auf Entwicklungen, die sich in veränderten Selbst- und Objektbeziehungen zeigen.

(Fortsetzung folgt)
 

Mittwoch, 24. Februar 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (68): Von der gelebten Tiefe zur Bindung

In einer lebendigen Liebesbeziehung reproduziert sich diese Tiefe immer wieder neu, führt zur Vertiefung der Bindung und schließt den Bereich der Sexualität ein. Die Sexualität in Liebesbeziehungen kann so das Spektrum eines wahrhaftigen Kontaktes, eines Kontakts auf der Herzebene erweitern, aber nicht ersetzen. Denn Tiefe, Wahrhaftigkeit und Liebe finden wir auch in anderen Bereichen von Beziehung zwischen Menschen, in denen der Aspekt gelebter Sexualität ausgeschlossen ist: Mutterliebe, Vaterliebe, spirituelle Liebe, Freundschaft, Übertragungsliebe usw.

Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch die Pulsationsfähigkeit eines Menschen zwischen Herzverbindung nach innen (Selbstbeziehung) und Herzverbindung nach außen (Objektbeziehung). Festzuhalten bleibt, dass wir hier natürlich mit Verzerrungen der ursprünglichen Liebesimpulse zu  tun haben, die sich im Verhalten eines Menschen zeigen.

Energetisch betrachtet gehen Selbstbeziehungsdefizite genau wie Objektbeziehungsdefizite mit Störungen in dieser Pulsationsfähigkeit einher. Ein Mensch kann z. B. in seinem Umgang mit anderen Menschen durchaus warmherzige Seiten zeigen und dabei gleichzeitig im Kontakt mit sich selbst in hohem Maße von Selbstverleugnung, Autoaggression oder sogar  Selbstvernachlässigung geprägt sein (dies kann man häufig bei oralen Prozessen oder in Verbindung mit sog. „Helfersyndromen“ vorfinden).

Umgekehrt können wir in narzisstischen Prozessen beobachten, dass die Beziehung nach innen deutlich stärker ausgeprägt ist und egomanische und egozentrische Formen annehmen kann. Gepaart ist dieses Beziehungsmuster mit einer Gleichgültigkeit gegenüber denjenigen Menschen, die nicht als Claqueure des grandiosen Selbstbildes, sondern als eigenständige Persönlichkeiten auftreten und denen der Narzisst dann häufig mit destruktiver Wut oder kalter Distanz gegenübertritt. Auch hier findet sich auf der herzenergetischen Ebene ein frappantes Ungleichgewicht.

Selbstbeziehung, Objektbeziehung und die Balance zwischen diesen Polaritäten werden so diagnostisch und therapeutisch bedeutsam.

(Fortsetzung folgt)