Samstag, 24. Juni 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (182): Narzisstische Fallstricke idealisierender Übertragung


Foto: pixabay
Wenn ein Transformationsprozess beginnt, besteht der Balanceakt darin, die idealisierenden Übertragungen für die Stabilität und das Voranschreiten der Arbeitsbeziehung zu nutzen, ihnen jedoch gleichzeitig entgegenzuwirken, um ihre spätere Aufhebung nicht zu erschweren oder zu verhindern. Es empfiehlt sich also, bereits am Anfang und auf der gesamten Wegstrecke diese Aufgabe eines runden Abschlusses im Blickfeld zu halten.
 
Der Anteil des narzisstischen Egos des Therapeuten lässt sich gut daran messen, wie stark er die idealisierenden Übertragungen seines Klienten aktiv fördert oder durcharbeitet und nutzt, um sie schlussendlich aufzulösen. Die Versuchung ist groß, das Phänomen von Übertragungsprozessen auszublenden oder in seiner Bedeutung zu reduzieren.

Häufig findet sich der Therapeut in einem Dilemma, insbesondere, wenn er aufgrund seiner eigenen Schatten die Macht der Übertragungen marginalisiert oder ausblendet. Damit öffnet er dem unbewussten Bedürfnis nach narzisstischer Bestätigung Tür und Tor. Er bewegt sich auf einem Terrain, das der Entwicklung seines Klienten nicht nützt, sondern schadet.

Er fördert damit eine langwierige, bisweilen lebenslange neurotische Abhängigkeit und Infantilisierung seines Klienten und verhindert gesunde Bindungsimpulse, die anderen Menschen gelten könnten, ähnlich einem egozentrischen Elternteil, das die Liebe seines Kindes als Privateigentum betrachtet.

Die Ignoranz eines Therapeuten uferlosen idealisierenden Übertragungen gegenüber unterstützt die Reinszenierung neurotischer Muster der Herkunftsfamilie, ja, sie lässt den Klienten im Regen des Wiederholungszwangs stehen. Schärfer formuliert könnte man die Nichtbeachtung solcher Phänomene als subtile Form narzisstischen Missbrauchs betrachten.

Die Endphase beinhaltet also eine wichtige Zielsetzung: Die Transformation aller Übertragungen zum Therapeuten in primäre Liebe und eine differenzierte Wahrnehmung seiner Person als Mensch wie jeder andere, ohne jede Magie oder Überhöhung.

(Fortsetzung folgt)

Dienstag, 20. Juni 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (181): Von der Übertragungsliebe zur primären Liebe

foto: vkd
 Die Metamorphose der Übertragungsbeziehung zur realen Beziehung bildet die zentrale Aufgabenstellung für die Abschlussphase. Ein Transformationsprozess gilt als nicht oder nur schlecht abgeschlossen, solange noch eindeutige Anzeichen idealisierender Übertragung die Beziehung bestimmen. Erst wenn der Klient die Wahrnehmung der Licht- und Schattenseiten seines Therapeuten integriert hat, darf der Gesamtprozess als abgerundet gelten.

Warum ist das so wichtig? Idealisierende Übertragungen repräsentieren neurotische Muster der Kindheit, denn sie erweisen sich als Umformung und Anpassung der Liebesgefühle des Kindes an die verzerrten Selbstbilder der Eltern. Eltern nehmen die Liebe ihrer Nachkommen selten als das wahr, was sie ist, an, sondern verknüpfen sie mit ihren eigenen Persönlichkeitsmustern, mit ihrem narzisstischen Ego. Häufig bieten sie anstatt eines präsenten und offenen Herzens den Teil ihrer Persönlichkeit an, den die Tiefenpsychologie Ich-Ideal nennt, also das, was und wie sie sich gern sehen möchten. Wie verführerisch erscheint die noch ungeformte und bedingungslose Liebe von Kindern den verletzten Seelen der Eltern?

Allerdings transformiert sich auf diese Weise die originäre Liebe des Kindes zur idealisierenden Übertragung, in der sich die offene oder versteckte Grandiosität des narzisstischen Egos der Eltern spiegelt und bildet eine verzerrte Beziehungsbasis.

Um ein paar markante Beispiel zu nennen: Papa kann alles, was mit Technik zu tun hat oder weiß alles, was mit seinen intellektuellen Fähigkeiten zu tun hat, Mama ist die liebevollste und perfekteste Mutter, sie ist die schönste und klügste Mama der Welt usw. Unschwer erkennt man die neurotischen Ich-Ideale der Eltern, die die Liebe des Kindes zu jenem Zerrbild von Liebe machen, das man Übertragung nennt.

Als Übertragungen verstehe ich also als Verzerrungen der »primären Liebe« (Balint), die im Kontakt mit dem narzisstischen Ego der Eltern entstanden sind. Sie definieren und formen die Liebe, welche Kinder in ihrer familiären Lebensumwelt lernen. Das gilt übrigens auch für die negativen Übertragungen, nur dass hier die totale Herz- und Bindungslosigkeit jede liebevolle Regung mit Hass und Misstrauen bis zur Unkenntlichkeit überdecken.

Diese Verzerrungen primärer Liebe bringt der Klient in die Beziehung zu seinem Therapeuten ein. Die Übertragungsmuster dramatisieren sich in dem Umfang, wie die Aktualisierungen von Kindheitsgefühlen im Laufe des Prozesses zunehmen. Ähnliches lässt sich bei den Partnerschaftskrisen beobachten, die ebenso heftige Regressionen und dramatische Übertragungsgefühle auslösen können.

Für den Umgang mit Übertragungen in Transformationsprozessen gilt also eine einfache Orientierung: Der Weg führt von den Verzerrungen der Liebe (= Übertragungsliebe), die dem narzisstischen Ego entspringen zurück zur »primären Liebe« eines präsenten und offenen Herzens.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 17. Juni 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (180): Das tiefe Ja der inneren Wahrheit

Foto: vkd
Wenn ich von einem »tiefen Ja« spreche, geht es um Orientierungen, Wegweiser, nicht um die deckungsgleiche Umsetzung. Max Weber prägte den Begriff »Idealtypus«. Der zeugt die Richtung.

Mehr als 4.000 Jahre Patriarchat stecken in unseren kulturellen Knochen. Es wird hoffentlich weniger Zeit benötigen, bis der Mensch wieder deutlicher in Balance mit seinem Seins-Kern lebt. Die Reise hat begonnen, denn wir sind Reisende zur Wahrheit. Die Generationen nach uns können sie, so hoffe ich, leichtfüßigeren Schrittes bewältigen.

Dem Idealtypus dieses tiefen Ja begegnet der Mensch in manchen heilenden Augenblicken. Sei es angesichts eines Neugeborenen oder des Sterbens, sei es, wenn Amors Pfeil trifft. Das tiefe Ja vermag in all den Momenten aufzuscheinen, in denen das Leben seine Wahrheit schenkt, eine Wahrheit, die das Herz erkennt.

Auch das Phänomen der idealisierenden Übertragung im Transformationsprozess lässt sich hier einordnen. Im engeren Sinne, und noch auf der Meeresoberfläche der Übertragung, zeigen sich liebevolle Gefühle gegenüber seinem Therapeuten bereits in den Anfangsphasen. Sie unterscheiden sich jedoch fundamental von jenem Stadium der Entwicklung, in dem das Herz erwacht.

Ein wesentlicher Teil des Transformationsprozesses stellt die Arbeit mit all dem dar, was in der Klient-Therapeut-Interaktion aufscheint. Die Beziehung zum Therapeuten kann idealerweise zur ersten (angst- und widerstands-) freien Erfahrung von Bindung und Liebe erwachsen, zur erlebten Utopie eines Ja des liebenden Herzens, zum Tor einer korrigierenden Erfahrung. Ein entscheidender Einfluss liegt in der Unterstützung und Ermutigung, die ein Therapeut dem Klienten gibt, wenn es gilt, die Liebe auf andere Menschen zu übertragen. An diesem Punkt lauern Gefahren:

•    Die einer »malignen Regression« (M. Klein) des Klienten, der es vorzieht, an der sicheren Bindung zum Therapeuten festzuhalten und den Schritt in die Autonomie um jeden Preis zu vermeiden.
•    Die unbearbeiteten narzisstischen Anteile des Therapeuten, welche eine Ablösung des Klienten verhindern.
•    Eine Zusammenwirkung beider Anteile. Dies dürfte insbesondere bei ungewöhnlich lang andauernden Prozessen zu beachten sein.
    
Die Beziehung zum Therapeuten vermag nur idealerweise zur ersten freien Erfahrung von Bindung und Liebe erwachsen. Nicht jedes Arbeitsbündnis trägt Tiefe und Langfristigkeit ins sich. Nicht jeder Klient ist in der Lage, sich der Wahrheit weit zu öffnen. Nicht jeder Therapeut verfügt über die Voraussetzung, die Wahrheit eines Menschen, seine Widerstände, Haken und Ösen, wahrzunehmen und zu transformieren. Das mag zumindest teilweise mit den Persönlichkeitsstrukturen von Therapeut und Klient zusammenhängen, aber es treten noch andere Faktoren hinzu, die wir nicht kennen.

Wir wissen noch viel zu wenig über das Zusammenwirken und die Koinzidenzen, mit denen wir im Transformationsprozessen zu tun bekommen. So sind und bleiben wir Suchen und Lernende auf einem Gebiet, das in weiten Bereichen unbekanntes Land ist: die Wahrheit über den Menschen als (energetische) Verbindung und Einheit von Körper und Seele.

(Fortsetzung folgt)

Freitag, 9. Juni 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (179): Assoziationen zur Abschlussphase der Transformation

foto: vkd
Der gesamte Prozess der seinsorientierten Transformation kann als Reise zur inneren Wahrheit verstanden werden. Ihre Wurzeln liegen tief in der menschlichen Natur, in der seelischen und körperlich-energetischen Grundausstattung. Reich nannte es den »biologischen Kern«, einen Begriff, den ich gern übernehme, da er nicht nur das rein Physische, sondern auch das Terrain der Emotionen, der energetischen Struktur und damit der herzenergetischen Funktionen umfasst.

Dahin führt die Reise. Der neue Kontinent, den es zu entdecken gilt, enthüllt sich als der alte. Gelingt es, die bioenergetischen Wurzeln der Körperseele zu reintegrieren, so scheint Heimat nicht mehr als äußerliche Sehnsucht, sondern Seinszustand auf.

Der Verlust der Wurzeln macht den Menschen zum Fremden in sich selbst und seiner selbst. Kultur und Lebensumwelt formen früh und umfassend die Beziehung des Einzelnen zu seiner inneren Wahrheit. Diese Entfremdung bildet die Basis entfremdeter Selbstwahrnehmungen, die ich als »narzisstisches Ego« oder als »Dominanz des Ego-Verstandes« beschrieben habe.

Das Herz ist das Organ von Bindung, Verbindung und Liebe. Es ist der Kern des menschlichen Wesens. Die Reise, um die es hier geht, ist also eine Reise zum Herzen, ein Erwachen der Liebes- und Bindungspotentiale. Damit ein Halt im und eine Haltung zum Leben, die auf dieser gefühlten Wahrheit aufbaut und nicht mehr länger auf derjenigen abstrakter Ideale des Ego-Verstands.

Damit ist gleichzeitig angesprochen, was als Abschluss des Transformationsprozesses und als Ende dieser Reise betrachtet werden kann: Eine gewachsene, erwachsene, wiedererwachte Liebesfähigkeit.

Gründet die Identität eines Menschen nicht mehr in der patriarchalischen Präsentation, der Einsamkeit von sozialem Status und Macht, verschmelzen Reise und Ziel. Sie entspringen dem tief empfundenen Ja eines liebenden Herzens, das einfach nur seiner Natur, sich zu verbinden, folgt. Das eins wird im tiefen Ja zur Schöpfung, zum Sein an sich.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 3. Juni 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (178): Strukturen als Elemente väterlichen Halts

foto: vkd
An der Oberfläche ähnelt die verbale Arbeit am narzisstischen Ego der Widerstandsanalyse, wie sie Wilhelm Reich in seiner »Charakteranalyse« entwickelt und beschrieben hat. All jene Spuren von Versteifung in der Welt der Gedanken und des Verhaltens, die befremdlich wirken, all jene Widerstände, die Bewegung und Veränderung behindern, bilden das Material dieser Widerstandsanalyse.

Im Wesentlichen, und das gilt für jeden Transformationsprozess, steht die Überwindung all jener Starrheiten und narzisstischen Ego-Programme im Fokus, die den Fluss der Liebe und der Hingabe im und an das Leben vereiteln oder verhindern.

Irritationen, Widerstände und Abwehrimpulse, die diesem Zusammenhang entstammen, werden in einer haltgebenden und authentischen Beziehung umgehend sichtbar und lassen sich dialogisch durch physischen Halt und verbaler Arbeit entthronen. So wie das narzisstische Ego das Licht der Liebe in der Finsternis seiner Schatten ersticken kann, so kann das authentische Licht der Liebe diese wieder erhellen.

Der organisatorische Rahmen, in dem ein Transformationsprozess stattfindet, bildet ein Element väterlichen Halts und soll hier nicht unerwähnt bleiben.

Hier subsumiere ich Regeln, die nicht jedem Klienten von Anbeginn an zur Verfügung stehen, z. B. Pünktlichkeit, rechtzeitige Absage in Notfällen, Akzeptanz der vorgegebenen Zeitstruktur (es sein denn, der Therapeut löst sie bewusst auf), Verbindlichkeit und Klarheit im organisatorischen Umfeld. Auf welche Ideen manche Klienten kommen, möge folgende Fallvignette erläutern.

Vor vielen Jahren begegnete mir ein Klient, der am Ende seiner ersten Sitzung, als es um die Bezahlung ging, seufzend einen kleinen Sisalbeutel aus dem Rucksack zog, in dem er lauter Münzen gesammelt hatte. Er erklärte mir, dass er in den letzten Tagen in der U-Bahn Musik gemacht hätte, um diese Einzelsitzung bei mir zu bezahlen.

In diesem Verhaltensmuster dürfte leicht erkennbar sein, was die unbewusste Botschaft dieser Inszenierung ist. Eigentlich wollte er mir sagen: »Ich bin so besonders, so einzigartig, dass ich die Therapie im Grunde bei dir kostenlos bekommen sollte. Niemand erkennt diese Besonderheit meiner Person. Ich muss ich mir die Mühe machen und in der U-Bahn betteln. Das ist ein schweres Opfer! Aber die Art und Weise, mit der ich bezahle, zeigt deutlich, wie einzigartig ich bin!«

Dass sich hier schlecht kaschierte Aggressionen und ein subtiles Machtspiel verbergen, liegt ebenso auf der Hand, wie die Tatsache, dass es sich um ein ausgesprochen grandioses Ego handelt, dem wir dabei begegnen.

Psychoanalytiker nennen derartige Verhaltensmuster im organisatorischen Umfeld »Agieren« und betrachten es als wertvolles Material für die therapeutische Arbeit. In diesem Details des Agierens findet sich somit ein eindrucksvoller Reichtum an Themen, die viele Stunden lang mit den Methoden der seinsorientierten Transformation bearbeitet werden können.

In den Regeln des väterlichen Haltesystems ist vor allem eine Botschaft enthalten: Der Therapeut ist der Kapitän auf dieser Reise, der den Kurs vorgibt. Diese klare Struktur auf dem Schiff der Transformation mag autoritär erscheinen. Ist sie nicht gleichzeitig eine Widerspiegelung von Sicherheit und Halt, derer es bedarf, wenn man sich auf die Reise in unbekannte Ländern macht?

(Fortsetzung folgt)