Donnerstag, 29. Dezember 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (140): Rhythmusstörungen in der vorgeburtlichen Entwicklung

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Bereits in der vorgeburtlichen Entwicklung können Rhythmusstörungen der Erregungs- und Entregungsprozesse, der Aktivitäts- und Ruhephasen auftreten. Dies geschieht durch die aktive oder passive Verleugnung der Schwangerschaft selbst, durch unangepassten, gehetzten Lebensstil, nicht reduzierte Arbeitsintensität, also vor allem durch negative Stressoren in der unmittelbaren Lebensumwelt der Schwangeren. Auffällige Arrhythmien im Aktivitäts-/Schlafzyklus zwischen Schwangerer und Fötus weisen darauf hin.

Neuere Forschungen zeigen, »dass Stress während der Schwangerschaft ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung von Depressionen im späteren Leben sein kann. Als eines der wenigen Zentren sind die Schlafmediziner im biomagnetischen Zentrum am Universitätsklinikum Jena in der Lage, die Hirnaktivität des Babys im Mutterleib und seinen Stressspiegel über magnetische Wellen aufzuzeichnen, die das Gehirn und das Herz durch die mütterliche Bauchwand aussendet.« (9monate.de, 21.10.2013)

»Ist eine erhöhte Stressempfindlichkeit [in der pränatalen Entwicklung, vkd] auch mit negativen Auswirkungen verbunden. Es gibt eine Reihe von Stress assoziierten Erkrankungen wie das ADHS, Depressionen und hohen Blutdruck und Hinweise darauf, dass eine erhöhte Stressempfindlichkeit das Schlaganfallrisiko erhöht, zu kognitiven Störungen und zu einer früheren Hirnalterung führt.« (Schwab, 15.09.2015)

Energetisch betrachtet ist negativer Stress eine Übererregung der Körperseele durch Stressoren, die über eine positive Stimulation hinausgehen. Eine Disbalance und verschiedene Abwehrreaktionen sind die Folge.

Emotionen wie Angstschreie, Weinen, der motorische und lautstarke Ausdruck von Schmerz oder Ärger, begleitet von entsprechenden körperlichen Ausdrucksbewegungen, sowie der gesamte Komplex der menschlichen Sexuualität repräsentieren die im Menschen verankerten Grundmuster, um Stressenergie abzureagieren, übermäßige Spannung und Erregung abzubauen. Damit kann die Körperseele zurück in den Bereich von Entspannung und Entregung schwingen und seine energetische Balance wiederherstellen.

Sind diese Wege versperrt, bleibt der emotionale Ausdruck durchgängig blockiert, ergibt sich daraus ein Ungleichgewicht. Entregungsprozesse werden verhindert, was sich u. a. in Schlafstörungen und der wachsenden Unfähigkeit zur Entspannung manifestiert.

In diesem Fall haben die äußeren Stressoren dermaßen an Wirkung gewonnen, dass die bio-emotionalen Kompensationsmechanismen nicht mehr zur Geltung kommen, um die Über-Erregung abzubauen. Dies kann nicht nur zu chronischen Ungleichgewichten in der Körperseele führen, sondern ist vermutlich auch dafür verantwortlich, dass der vegetative Kontaktimpuls empfindlich gestört wird oder ganz verschwindet. Als deren Spätfolge können Symptome seelischer und körperlicher Erkrankungen entstehen.

Die Ausprägung dessen, was »übermäßig« wirkt, scheint individuell definiert werden zu müssen. Wo die Voraussetzungen für die individuell unterschiedlichen Stressverarbeitungskapazitäten liegen, darüber lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Möglicherweise stellt das  "personale System des Herzcodes" (s. o.) einen Einflussfaktor dar.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 17. Dezember 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (139): Erregungs- und Entregungsphasen in der pränatalen Entwicklung

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In den Aktivitätsphasen der Mutter ist auch der Fötus häufig wach, die Schlafphasen der Mutter und des Fötus verlaufen nahezu identisch. Naheliegenderweise gilt dies auch für die Zwischenphasen zwischen Wachbewusstsein und Schlaf, nämlich denjenigen von Trance und tiefer Entspannung.

Untersuchungen haben nachgewiesen, dass ein signifikanter direkter Einfluss des Entspannungszustandes der Mutter(*FN*  Bei diesen Versuchen wurden die Schwangeren mithilfe von Methoden wie progressiver Muskelentspannung und Meditationsmusik in einen entspannten Zustand versetzt und dabei die verschiedenen Parameter bei der Mutter und beim Fötus gemessen.*FN*) auf die messbaren Parameter (fötale Herzfrequenz, fötale motorische Aktivität, Korrelation zwischen fötaler motorische Aktivität und Herzschlag) des Fötus besteht (DiPietro u.a., 2007).

Wenn die Schwangere zur Ruhe kommt und sich entspannt, dann wirkt sich das unmittelbar auf den Entspannungszustand des Fötus aus, auch er kommt zur Ruhe, sein Herzschlag verlangsamt sich und seine motorische Aktivität passt sich diesem veränderten Rhythmus an.

Halten wir also fest, dass es in der pränatalen Entwicklung die Grunderfahrung eines gemeinsamen und gleichzeitigen Erlebnisfeldes von Bewusstseinszuständen gibt, die zwischen Wachzustand, Erregung, Entregung und Schlaf hin- und her pendeln.

Man könnte diese Phase auch als eine grundlegende biologisch-energetische Kontakterfahrung bezeichnen, die als Grundmuster des vegetativen Kontaktimpulses und der Möglichkeit zur vegetativen Identifikation ein Leben lang latent vorhanden bleiben.

Der vegetative Kontaktimpuls und die Fähigkeit zur vegetativen Identifikation bilden gleichzeitig die biologisch-energetische Basis für die Wirksamkeit der Körpertherapien. Es scheint sich hier um ein phylogenetisches Erbe zu handeln, das grundsätzlich im vegetativen Kontaktimpuls, der Fähigkeit zu vegetativem Kontakt als solchem und in Tranceerfahrung und -neigung des Menschen verankert ist.

Soweit zu den Erkenntnissen über diese biologischen Grundmuster. Es muss allerdings eingeräumt werden, dass unsere Kultur noch wenig über die Bedeutung der Tranceerfahrungen weiß. Sie werden in der prä- und perinatalen Entwicklung häufig in Zusammenhang gebracht mit wichtigen Wachstumsprozessen des Gehirns. Welche Funktionen sie darüber hinaus besitzen und vor allem, welche davon im Erwachsenenalter noch von Bedeutung sind, darüber gibt es wenig Kenntnisse. Um so erstaunlicher, dass Trancetechniken und das Wissen um Trance bei Ritualen indigener Völker und denen religiöser oder spiritueller Sekten und Gruppierungen eine durchaus dominierende Rolle spielen.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass unsere Kultur wenig Interesse an solchem Wissen hat, denn Trancezustände, das Menetekel des Nichts-Tuns und die gehetzte Arbeitswelt passen überhaupt nicht zusammen. Siehe dazu auch meine Ausführungen zum Gegensatz von Machen und Sein in Kapitel »Familienphantasien therapeutischen Handelns«.

Auf diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass es in unserer hektischen Welt leicht zu »Rhythmusstörungen« im Kontakt zwischen Mutter und Kind kommen kann. Diese gilt es sowohl im pränatalen und perinatalen Umfeld als auch im Säuglingsalter zu wahrzunehmen.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 12. Dezember 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (138): Die Vertreibung aus dem pränatalen Paradies

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Der Mensch lebt bis zum 3. Lebensmonat in einem Zustand tiefer, vielleicht seliger Entspannung, der bereits im Mutterleib seinen Anfang nimmt. Findet sich hier die Matrix der Paradiesphantasien, die häufig mit der pränatalen Entwicklung assoziiert wird? Allerdings würde dieser Paradieszustand dann, entgegen diesen Thesen und Mythen, bis zum 3. Lebensmonat reichen und nicht unbedingt mit der Geburt beendet sein.

Bedeutsamer scheint mir allerdings zu sein, dass die vorzeitige »Vertreibung« aus diesem Paradies,  während der pränatalen Entwicklung oder später, nicht spurlos an Körper und Seele des Kindes vorbeigeht. Im Gegenteil, da frühe und erste Prägungen die tiefsten und schmerzhaftesten Spuren hinterlassen, ist die These wohl nicht allzu abwegig, dass der Mensch
  • Bis zum 3. Lebensmonat idealtypischerweise in einem quasi-ekstatischen Trancezustand lebt.
  • Der Beginn der Ich- und Egoentwicklung mit den Veränderungen der Gehirnwellenmuster und anderer bio-energetischer Veränderungen im Körper einhergeht.
  • Störungen in dieser Entwicklungsphase den Nährboden für jede Form von Persönlichkeits- und Bindungsstörungen bilden.
Wenn dieser Zusammenhang zwischen prä- und perinatalen Entregungsdefiziten und bestimmten Störungsmustern zutrifft, dann wird mit einem Schlag einer körpertherapeutische Herangehensweise  erkennbar, die auf diesem Modell basiert: die der seinsorientierten Körpertherapie.

Die Parameter der Gehirnwellenmuster stellen in unserer gehirndominierten Kultur naheliegenderweise ein überzeugendes Argument dar. Das klingt halt sehr wissenschaftlich und ausgesprochen bedeutsam.

Wesentlicher scheint mir allerdings zu sein, dass die Kategorie Alphawellen typischerweise diejenigen Gehirnwellenmuster repräsentiert, die mit Entspannungs- und Trancezuständen einhergehen. Nicht die Gehirnwellen sind wesentlich, sondern die Tatsache, dass sich der gesamte Organismus in einem tief entspannten Zustand sich aufhält, sobald diese Alphawellen sichtbar werden.

(Fortsetzung folgt)

Donnerstag, 8. Dezember 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (137): Vegetativer Kontaktimpuls und Gehirnwellenmuster

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Der vegetative Kontaktimpuls beschreibt auf den ersten Blick nichts anderes als die Hingabe an die Erfahrung, sich mit einem anderen Menschen gemeinsam und gleichzeitig in einen Zustand tiefer Entspannung und Trance fallen zu lassen.

Das klingt zunächst ziemlich banal, wenig spektakulär. Aber bisweilen verbergen banale Vorgänge ziemlich spektakuläre Wahrheiten.

Die Matrix des vegetativen Kontaktimpulses findet sich sowohl in der pränatalen Entwicklung als auch im ersten Lebensjahr während der Säuglingsphase. In der vorgeburtlichen Phase existiert physiologisch eine engmaschige Wechselbeziehung zwischen Fötus und Mutter. Dies gilt auch für den Schlaf-Wach-Rhythmus.

»Der andere wichtige Rhythmus, der zirkadiane Wechsel von Schlafen und Wachen, ist im Gegensatz zum REM/Non-REM-Rhythmus beim Fötus noch sehr schwach ausgeprägt; er wird anscheinend nicht vom eigenen Antrieb getragen. Zwar ist der zirkadiane Zeitgeber der Säugetiere, der Nucleus suprachiasmaticus (NSC), aber der 18. SSW vorhanden und oszilliert. Er unterhält aber noch keine synaptischen Verbindungen mit anderen Gehirngebieten und hat keine Einfluss auf die Aktivität des Fötus (...). Seine zirkadiane Aktivität hängt vollkommen vom Tag/Nacht-Rhythmus der Mutter ab und wird vermutlich durch einen mütterlichen Botenstoff, wahrscheinlich Melatonin ... eingespielt. ... Nachgeburtlich dauert es etwas 3 Monate ... [bis sich] das Neugeborene an einen autonomen Schlaf-wach-Rhythmus halten [kann].« (Herpertz-Dahlmann u.a., 2003, S. 28)

Von der biologischen Grundlage her gleichen sich die vegetativen Zyklen und Rhythmen zwischen Fötus und Mutter natürlicherweise an. Wie o. a. Zitat zeigt, deuten die Forschungen darauf hin, dass die vegetativen Zyklen der Mutter sich bis zum 3. Lebensmonat direkt auf den Fötus auswirken und erst von da an das Neugeborene autonome Rhythmen entwickelt.

Interessanterweise fällt dieser Zeitpunkt exakt mit dem eigenartigen Phänomen zusammen, dass sich die Dominanz der Gehirnwellenmuster ab dem 4. Lebensmonat grundlegend verändert. Bis zum 3. Lebensmonat überwiegen die Alphawellen, also jene Gehirnwellen, die mit Entspannung einhergehen, die Gehirnaktivität im Wachzustand des Neugeborenen. Dies ändert sich im 4. Lebensmonat, denn hier übernehmen die Betawellen, also die Gehirnwellen des "normalen" Wachbewusstseins, die Herrschaft. Diese Betawellen dominieren dann vom 4. Lebensmonat an das Wachbewusstsein des Menschen, und zwar bis zu seinem Tod.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 5. Dezember 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (136): Hingabe und Trance


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Wir waren bei der Frage nach der kognitiven Kontrolle durch den Therapeuten. Bei  körperpsychotherapeutischen Verfahren erscheint die Antwort naheliegend. Da hier regressive und karthartische Abreaktionen auftreten, sollte ein achtsames Auge des Therapeuten darauf gerichtet sein, dass der Klient sich nicht selbst verletzt oder die Praxiseinrichtung beschädigt, wenn er beispielsweise bei einem befreienden Wutausdruck heftig in ein Schaumstoffkissen schlägt.

Bemerkenswert ist, dass die Kontrolle, um die es hier geht, impliziert, dass der Therapeut durchgängig beobachtet, was geschieht. Er verharrt also in einem aufmerksamen, wachen Bewusstseinszustand, unabhängig von dem, was auf Klientenseite vor sich geht.

Dahinter verbirgt sich nicht nur das Tabu, als Therapeut zu regredieren, sondern auch die Forderung, die bewusste, kognitive Ebene, also die Instanz des beobachtenden, analytischen Verstandes, keineswegs zu verlieren.

Es existiert also ein Gefälle zwischen der kognitiven Bewusstheit des analytischen Körpertherapeuten und des in Regression befindlichen Körpertherapieklienten. Was dies für generelle methodische Fragen aufwirft, soll hier nicht erörtert werden. Uns interessiert etwas anderes.

Bei der Arbeit mit Entregungsprozessen wird nämlich deutlich, dass dieser wache kognitive Zustand schwer aufrecht zu erhalten ist. Es erscheint unnatürlich, in diesem zwanghaft wachsamen Status zu verharren, während der Klient gleichzeitig in tiefer Trance versinkt. Der Drang auf Seiten des Therapeuten, Entspannung bei sich selbst zuzulassen, wird übermächtig.

Ich hatte im ersten Teil dieses Buches bereits beschrieben, wie folgenreich der Schritt für mich war, diesem natürlichen Impuls nachzugeben und damit die bewusste Kontrolle über das aufzugeben, was sich körperlich-energetisch im Klienten abspielt. Denn in dieser Realität spielt sich rein äußerlich überhaupt nichts mehr ab. Der Klient liegt tiefenentspannt da und bewegt sich nicht.

Der Drang zur Hingabe an den Trancezustand, der auch auf Seiten des Therapeuten beobachtet werden kann, ist allerdings kein Zufall. Vielmehr treffen wir hier auf ein fundamentales energetisches Muster, nämlich das des vegetativen Kontaktimpulses.

(Fortsetzung folgt)

Freitag, 2. Dezember 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (135): Entregungsprozesse im therapeutischen Setting

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Das Entregungsphänomen weist einen Weg in das innere Universum der Körperseele. Es ähnelt in mancherlei Hinsicht der Meditation, allerdings mit dem Unterscheidungsmerkmal, dass die durchgängige geistige Zentrierung, die bei der Meditation eine zentrale Rolle spielt, bei Entregungsprozessen keine Bedeutung hat.

Dennoch gibt es, wie wir sehen werden, Übereinstimmungen, vor allem auf der Ebene dessen, was äußerlich sichtbar wird. In dieser Hinsicht könnte man also durchaus bei den Entregungsprozessen  als »Meditieren in Kontakt« oder »Meditation zu zweit« sprechen.

Das, was wir bis zu diesem Punkt als Anwendungpraxis von Körpertherapie beschrieben haben, bewegt sich noch »irgendwie« in dem traditionellen Modell  der Interaktionen von Therapeut und Klient. Der Therapeut bietet eine bestimmte Herangehensweise an, die den Klienten in seiner Entwicklung fördert. Das Setting, das daraus resultiert, reflektiert nicht nur definierte soziale Rollen, nicht nur eine subtile Machtstruktur. Auch die Prämisse einer definierten Ordnung des Bewusstseins und der Bewusstheit ist hier enthalten.

Diese Prämisse trägt nämlich in sich, dass der Therapeut derjenige ist, der die bewusste Führung und Kontrolle über alle Vorgänge im Rahmen des therapeutischen Settings besitzt. Der Klient hingegen darf im Rahmen dieses Arbeitsbündnisses, natürlich innerhalb bestimmter, bisweilen weit gefasster Grenzen; regredieren, agieren, übertragen, was das Zeug hält. Denn der Therapeut bleibt stets derjenige, der das Steuerrad des Fahrzeugs in den Händen hält.

Ein Regredieren oder Agieren des Therapeuten wäre kontraindiziert und arg unprofessionell, oder?

Das heißt aber auch, dass es hier um die Kontrolle dessen geht, was in einer Sitzung geschieht. Der unausgesprochene Konsens besteht also darin, dass der Therapeut nicht nur die professionelle Verantwortung, sondern auch die kognitive Kontrolle darüber besitzen sollte, was vor sich geht.

Was muss da eigentlich durch den Therapeuten kontrolliert werden? Wie stellt er das an?  Kontrolliert er den Klienten, sich selbst, oder beide?

(Fortsetzung folgt)