Sonntag, 27. September 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (38): Sexuelle Liebe als Arbeitsprozess




Oben beschriebene Erfahrungen zeigen, wie spezifische Blockierungsmuster zwischen Herz und Genitalien sich auf das Liebeserleben des Menschen auswirken können. Es mag an dieser Stelle deutlich werden, dass gerade die Leugnung dieser fundamentalen Wechselbeziehung Hintergrund für die augenfällige Verwirrung im Liebeserleben des modernen Menschen ist.

Es ist naheliegend und offensichtlich, dass das der moderne Mensch in seinem Verständnis dessen, was sexuelle Liebe ist, Kind seiner Kultur ist. Das, was den Menschen unseres Kulturkreises wesentlich erscheint, prägt auch seine sexuelle Liebe:

  • ·         Arbeit, Anstrengung
  • ·         Leistung, Messbarkeit
  • ·         Primat des Verstandes
  • ·         Vergegenständlichung
  • ·         Repräsentation
Lassen Sie uns diese Aspekte genauer betrachten.
Sexuelle Liebe wird in der Regel als ein „Akt“, eine Tätigkeit, eine Anstrengung betrachtet und wahrgenommen. So wie die Arbeit als solche in unserem Kulturkreis in der Tradition des christlichen Protestantismus als „Gottesdienst auf Erden“ verstanden wird (siehe die ersten Abschnitte von „Herz und Halt“) und als Vorbereitung auf die Jenseitigkeit, so erscheint der Liebesakt als solcher: je härter ich arbeite, je mehr ich mich anstrenge, desto verheißungsvoller scheint die Belohnung (der Orgasmus) am Ende auf.

Leider klappt es nach dieser Logik nicht so gut wie bei der Arbeit an der Maschine, deshalb sind Orgasmusschwierigkeiten in der Partnerschaft trotz aller Anstrengung ein Hinweis darauf, dass irgendetwas mit diesem Ansatz falsch laufen muss.

In den Darstellungen des Liebesaktes in Film und Fernsehen fehlen selten Belege solcher Anstrengung wie z. B. schweißgebadete Körper, schweres Atmen oder Atemlosigkeit. Hat sich ein Paar sexuell geliebt, dann erinnern ihre Körper bisweilen an einen Marathonläufer nach km 30.

Sind solche Darstellungen weit von der durchschnittlich gelebten Realität entfernt? Wahrscheinlich nicht. Die Grundhaltung, den sexuellen Liebesakt als Tätigkeit, Arbeit und Anstrengung zu betrachten, ist seit frühester Kindheit tief in die Persönlichkeitsmuster unserer Gesellschaft eingraviert.

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 16. September 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (37): Sex und Bindungsgefühl


Dass es eine fundamentale Verbindung zwischen Herz und Genitalität gibt, zeigen Erfahrungen, die viele Menschen in dieser oder ähnlicher Weise machen, wenn sie sich verlieben. Nach der oder den ersten intimen sexuellen Begegnungen kann die Bindung, die gefühlsmäßige Verbindung auf der Herzebene, in nahezu stürmischer Weise intensiviert werden.

Traditionelle Erklärungsversuche machen eine Veränderung des Hormonhaushalts (Zunahme der Oxytocin-Ausschüttung), die durch die sexuelle Begegnung ausgelöst wird, dafür verantwortlich.

Doch was geschieht, wenn der Sex unter gleichzeitiger Blockierung der Gefühle des Herzens stattfindet („Sexualität ohne Liebe“)? Der Sex mag noch so ekstatisch und lustvoll sein, am Ende bleibt in der Regel statt eines Bindungsgefühls eher das von Leere und Fadheit zurück.

Wird in diesem Fall etwa kein Oxytocin (das sog. „Bindungshormon“) ausgeschüttet? Weshalb finden wir in dem einen Fall emotionale Bindungs- und Liebesgefühle, in dem anderen Fall nicht?

Gibt es vielleicht einen fundamentaleren Prozess in Körper und Seele, von dem die hormonelle Veränderung nur ein Symptom ist, d. h. gibt es einen tiefer liegenden Steuerungsprozess, der das hormonelle Geschehen bestimmt?

Eine Antwort auf diese Frage ist plausibel: Bei der bereits oben ausführlich dargestellten Funktion der individuellen Herzcode-Informationen treffen wir auf eine (Lebens-)Energie, die derartige hormonellen Vorgänge beeinflussen könnte. Oder etwas lapidarer gesagt: Es ist die individuelle Liebesfähigkeit, der freie oder gehemmte Fluss der Herzenergie, welche die hormonellen Prozesse im Körper in die eine oder andere Richtung steuert.

Anschaulich kann das in der unterschiedlichen Art des Liebesaktes selbst und in dem, was nach dem Liebesakt geschieht, beschrieben werden.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 12. September 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (36): Sexualität und Liebe


 
Ebenso markant wie die Trennung zwischen Gehirn-Verstand und Herz erscheint in unserer Kultur die Trennung von Genital und Herz.

In der Minne des Mittelalters und den auf ihr basierenden Mythen der tragisch-romantischen Liebe findet eine idealisierende Abspaltung des Herzens von der genitalen Sexualität ihren Höhepunkt, heute können wir das Gegenteil beobachten: die genitale Sexualität zeigt sich idealisierend abgespalten ohne Verbindung zum Herzen.

Am markantesten zeigen sich diese Tendenzen in der Sexualisierung vieler Lebensbereiche, in  Pornographie und Prostitution, also in der Vermarktung der Sexualität als Ware und Warenästhetik, überall hier wird eine abgespaltene Sexualität ohne Verbindung zum Herzen, damit auch ohne Bindung, propagiert.

Dass beide Varianten einer Spaltung von Sexualität und Genitalität, von Genital und Herz, als „Liebe“ bezeichnet werden, weist auf ein tiefes Unverständnis für körperlich-seelische Dialektik in unserer Kultur.

Beiden Varianten gemeinsam ist die körperliche und kognitive Blockierung der ganzheitlichen bioenergetischen Verbindung zwischen Herz und Genitalien, basierend auf der Organisation des Körper- und Charakterpanzers des Einzelnen. Ob es uns bewusst, genehm oder plausibel erscheint: Jede intime sexuelle Begegnung beinhaltet auch den Kontakt und die Verbindung der Herzen zweier Menschen und damit auch den Austausch von Herzcode-Informationen (siehe die entsprechenden Abschnitte oben).

Jede sexuelle Begegnung hinterlässt informelle Spuren im Körper-Seele-System, die verständ- lich machen, weshalb unser (Liebes)Leben dermaßen stark durch die Sexualität beeinflusst werden kann.
In diesem Zusammenspeil ist allerdings nicht automatisch auch ein Kontakt zur Herzebene bewusst wahrnehmbar, er kann sogar völlig fehlen. In diesem Fall bleibt Sexualität weit- gehend der Herrschaft des Gehirns unterworfen, wird als Leistungssport, Selbstbestätigungsritual, Machtinstanz, Inszenierung des falschen Selbstsystems oder als Abwehr gegen Liebesgefühle gelebt.

Ob ein Kontakt zur Herzebene besteht oder nicht, ob die Stimme des Herzens in der Sexualität gehört wird oder nicht, in jedem Fall werden Herzcode-Informationen ausgetauscht, die Spuren hinterlassen.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 7. September 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (35): Der Verstand wird zum absoluten Herrscher des Seelenlebens



In jenen Augenblicken, in denen das heranwachsende Kind die Stimme seines Herzens vernimmt, steigt die alte Erfahrung der Beschämung, dann die der Scham hoch.

Der Verstand entwickelt die Funktion der Selbstkontrolle und inszeniert diese durch Distanzierung und Verachtung der Stimme Herzens und der entsprechenden Gefühle. Der Verstand enthebt sich, plustert sich auf, macht sich groß und größer. Damit kompensiert er den neurotisch-chronischen Zustand seines Abgeschnittenseins von seinen seelischen Wurzeln. Die Neigung des Verstandes zur Grandiosität kompensiert die leiser werdende Stimme des Herzens.

Der Verstand verhält sich in dieser Weise feindselig gegen die Stimme des eigenen Herzens und gegen die Stimme des Herzens in anderen Menschen. Er spreizt sich stolz und selbstverliebt in die Inszenierung der eigenen Grandiosität: Alles zu wissen, alles zu verstehen, alles zu denken. Der Verstand wird so zum absoluten Herrscher des Seelenlebens.

Was als Erfahrung von Beschämung durch die Erwachsenen begann, zur Scham geworden ist, wird zu Quelle der Beschämung überall dort, wo sich die Stimme des Herzens artikuliert: in der eigenen Seele, in der Seele der Kinder, der anderen Menschen.

Solche Hintergründe werfen einen neuen Blick auf viele Bereiche des menschlichen Daseins. Die Bedeutsamkeit und Rätselhaftigkeit eines Herzcodes, die Beschämung und Verleugnung des Herzens eröffnen neue Türen, neue Verständnisebenen. Sie könnten helfen, diesen Bereichen des menschlichen Daseins mit einer anderen Haltung zu begegnen. Beispielhaft möchte ich dies nachfolgend den Bereich der Sexualität, des Gefühlslebens und der Kognition erörtern.

(Fortsetzung folgt)