Montag, 7. September 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (35): Der Verstand wird zum absoluten Herrscher des Seelenlebens



In jenen Augenblicken, in denen das heranwachsende Kind die Stimme seines Herzens vernimmt, steigt die alte Erfahrung der Beschämung, dann die der Scham hoch.

Der Verstand entwickelt die Funktion der Selbstkontrolle und inszeniert diese durch Distanzierung und Verachtung der Stimme Herzens und der entsprechenden Gefühle. Der Verstand enthebt sich, plustert sich auf, macht sich groß und größer. Damit kompensiert er den neurotisch-chronischen Zustand seines Abgeschnittenseins von seinen seelischen Wurzeln. Die Neigung des Verstandes zur Grandiosität kompensiert die leiser werdende Stimme des Herzens.

Der Verstand verhält sich in dieser Weise feindselig gegen die Stimme des eigenen Herzens und gegen die Stimme des Herzens in anderen Menschen. Er spreizt sich stolz und selbstverliebt in die Inszenierung der eigenen Grandiosität: Alles zu wissen, alles zu verstehen, alles zu denken. Der Verstand wird so zum absoluten Herrscher des Seelenlebens.

Was als Erfahrung von Beschämung durch die Erwachsenen begann, zur Scham geworden ist, wird zu Quelle der Beschämung überall dort, wo sich die Stimme des Herzens artikuliert: in der eigenen Seele, in der Seele der Kinder, der anderen Menschen.

Solche Hintergründe werfen einen neuen Blick auf viele Bereiche des menschlichen Daseins. Die Bedeutsamkeit und Rätselhaftigkeit eines Herzcodes, die Beschämung und Verleugnung des Herzens eröffnen neue Türen, neue Verständnisebenen. Sie könnten helfen, diesen Bereichen des menschlichen Daseins mit einer anderen Haltung zu begegnen. Beispielhaft möchte ich dies nachfolgend den Bereich der Sexualität, des Gefühlslebens und der Kognition erörtern.

(Fortsetzung folgt)

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