In jenen Augenblicken, in denen das heranwachsende Kind die
Stimme seines Herzens vernimmt, steigt die alte Erfahrung der Beschämung, dann die
der Scham hoch.
Der Verstand entwickelt die Funktion der Selbstkontrolle und
inszeniert diese durch Distanzierung und Verachtung der Stimme Herzens und der entsprechenden
Gefühle. Der Verstand enthebt sich, plustert sich auf, macht sich groß und größer.
Damit kompensiert er den neurotisch-chronischen Zustand seines
Abgeschnittenseins von seinen seelischen Wurzeln. Die Neigung des Verstandes
zur Grandiosität kompensiert die leiser werdende Stimme des Herzens.
Der Verstand verhält sich in dieser Weise feindselig gegen die
Stimme des eigenen Herzens und gegen die Stimme des Herzens in anderen Menschen.
Er spreizt sich stolz und selbstverliebt in die Inszenierung der eigenen
Grandiosität: Alles zu wissen, alles zu verstehen, alles zu denken. Der
Verstand wird so zum absoluten Herrscher des Seelenlebens.
Was als Erfahrung von Beschämung durch die Erwachsenen begann,
zur Scham geworden ist, wird zu Quelle der Beschämung überall dort, wo sich die
Stimme des Herzens artikuliert: in der eigenen Seele, in der Seele der Kinder, der
anderen Menschen.
Solche Hintergründe werfen einen neuen Blick auf viele Bereiche
des menschlichen Daseins. Die Bedeutsamkeit und Rätselhaftigkeit eines
Herzcodes, die Beschämung und Verleugnung des Herzens eröffnen neue Türen, neue
Verständnisebenen. Sie könnten helfen, diesen Bereichen des menschlichen Daseins
mit einer anderen Haltung zu begegnen. Beispielhaft möchte ich dies nachfolgend
den Bereich der Sexualität, des Gefühlslebens und der Kognition erörtern.
(Fortsetzung folgt)
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