Ein Mensch, der sich der Stimme seines eigenen Herzens schämt, wird die Stimme des Herzens eines anderen Menschen beschämen. Damit, vor allem wenn es sich um ein Familiensystem handelt, wird er neue Scham erzeugen. Betrachten wir diesen Prozess genauer:
Das, was von Kindesbeinen an beschämt zu werden droht, ist
letztlich die Stimme des Herzens, sind jene spontanen liebevollen Impulse, die
wir bei lebendigen Kindern vorfinden: liebende Impulse und Mitgefühl in
Beziehung zu anderen Menschen, zu anderen Lebewesen, spontane authentische Berührtheit
durch Begegnungen mit den Wundern der Schöpfung, Gefühle von Verbundenheit,
Frieden, Heimat usw.
Diese und andere Erscheinungsformen einer lebendigen Stimme
des Herzens werden von den Erwachsenen, ignoriert, belächelt, beschämt,
gedemütigt, verachtet oder gehasst. Der Erwachsene spricht in der Regel aus
seinem Kopf, aus seinem Verstand und ist mit dieser Instanz voll identifiziert,
aber weniger mit seinen Gefühlen und kaum mit seinem Herzen. Der Erwachsene
spricht häufig losgelöst von der Stimme seines eigenen Herzens, dies, umso
deutlicher, je tiefer er diese Stimme in sich verschlossen hat.
Das Kind lernt, sich dieser Beschämung zunächst anzupassen, später
sich ihr zu unterwerfen. Zunächst wird es vermeiden, der Stimme seines Herzens
Ausdruck zu geben, wird an sich halten, wohl wissend, sie dem Belächeln oder
der Missbilligung des Erwachsenen auszusetzen. Später, soweit die beschämende
Haltung der Erwachsenen seine Gefühle immer mehr der Lächerlichkeit
preisgegeben werden, werden sich (soziale) Schamgefühle immer dann entwickeln,
wenn ein entsprechender Impuls auftaucht.
Am Ende dürfte sich das Kind, denn anders gibt es kein
Überleben in einer neurotischen Lebensumwelt, nach und nach mit der
beschämenden Stimme des Erwachsenen identifizieren. Das Kind beginnt sich seiner
selbst, seines So-Seins zu schämen.
Das Kind beginnt allmählich jenen Teil in sich zu verachten,
zu belächeln oder abzulehnen, welche die Stimme seines Herzens repräsentiert.
Es beginnt, sich der Stimme seines Herzens zu schämen. Ein schmerzhafter
Prozess, denn der Kampf gegen die Beschämung ist ein aussichtsloser Kampf für
das Kind. Es kann seine organismische Wahrheit, es kann sein Herz nicht retten.
Das Herz und seine Stimme müssen geopfert werden, um zu überleben. Um nicht
zerrissen zu werden.
Wo vorher Frieden herrschte, bricht der Krieg aus. Die
Selbstbeziehung wird bestimmt durch die Beschämung. Das Kind schämt sich seiner
selbst. Es verliert seine natürliche Würde, seine Anmut, sein Gefühl des Einsseins
mit sich selbst.
Äußerer Halt, der Halt der Äußerlichkeit kompensiert das nur
scheinbar. Denn innen, im Grund seiner Seele, herrschen nun Wüste, Kälte, innerseelischer
Bürgerkrieg. Das Herz kann nicht herausgerissen werden. Es kann nur ignoriert
werden. Es kann nur abgespalten werden. Es kann nur abgelehnt und verachtet
werden.
(Fortsetzung folgt)
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