Samstag, 5. September 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (34): Beschämung, Scham und die Stimme des Herzens


Ein Mensch, der sich der Stimme seines eigenen Herzens schämt, wird die Stimme des Herzens eines anderen Menschen beschämen. Damit, vor allem wenn es sich um ein Familiensystem handelt, wird er neue Scham erzeugen. Betrachten wir diesen Prozess genauer:

Das, was von Kindesbeinen an beschämt zu werden droht, ist letztlich die Stimme des Herzens, sind jene spontanen liebevollen Impulse, die wir bei lebendigen Kindern vorfinden: liebende Impulse und Mitgefühl in Beziehung zu anderen Menschen, zu anderen Lebewesen, spontane authentische Berührtheit durch Begegnungen mit den Wundern der Schöpfung, Gefühle von Verbundenheit, Frieden, Heimat usw.

Diese und andere Erscheinungsformen einer lebendigen Stimme des Herzens werden von den Erwachsenen, ignoriert, belächelt, beschämt, gedemütigt, verachtet oder gehasst. Der Erwachsene spricht in der Regel aus seinem Kopf, aus seinem Verstand und ist mit dieser Instanz voll identifiziert, aber weniger mit seinen Gefühlen und kaum mit seinem Herzen. Der Erwachsene spricht häufig losgelöst von der Stimme seines eigenen Herzens, dies, umso deutlicher, je tiefer er diese Stimme in sich verschlossen hat.

Das Kind lernt, sich dieser Beschämung zunächst anzupassen, später sich ihr zu unterwerfen. Zunächst wird es vermeiden, der Stimme seines Herzens Ausdruck zu geben, wird an sich halten, wohl wissend, sie dem Belächeln oder der Missbilligung des Erwachsenen auszusetzen. Später, soweit die beschämende Haltung der Erwachsenen seine Gefühle immer mehr der Lächerlichkeit preisgegeben werden, werden sich (soziale) Schamgefühle immer dann entwickeln, wenn ein entsprechender Impuls auftaucht.

Am Ende dürfte sich das Kind, denn anders gibt es kein Überleben in einer neurotischen Lebensumwelt, nach und nach mit der beschämenden Stimme des Erwachsenen identifizieren. Das Kind beginnt sich seiner selbst, seines So-Seins zu schämen.

Das Kind beginnt allmählich jenen Teil in sich zu verachten, zu belächeln oder abzulehnen, welche die Stimme seines Herzens repräsentiert. Es beginnt, sich der Stimme seines Herzens zu schämen. Ein schmerzhafter Prozess, denn der Kampf gegen die Beschämung ist ein aussichtsloser Kampf für das Kind. Es kann seine organismische Wahrheit, es kann sein Herz nicht retten. Das Herz und seine Stimme müssen geopfert werden, um zu überleben. Um nicht zerrissen zu werden.

Wo vorher Frieden herrschte, bricht der Krieg aus. Die Selbstbeziehung wird bestimmt durch die Beschämung. Das Kind schämt sich seiner selbst. Es verliert seine natürliche Würde, seine Anmut, sein Gefühl des Einsseins mit sich selbst.

Äußerer Halt, der Halt der Äußerlichkeit kompensiert das nur scheinbar. Denn innen, im Grund seiner Seele, herrschen nun Wüste, Kälte, innerseelischer Bürgerkrieg. Das Herz kann nicht herausgerissen werden. Es kann nur ignoriert werden. Es kann nur abgespalten werden. Es kann nur abgelehnt und verachtet werden.

(Fortsetzung folgt)

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