Dienstag, 30. Juni 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (4)


Um es in den Worten der Kardioenergetik auszudrücken: Es soll den nun folgenden Ausführungen illustriert werden, dass
„die Verknüpfung mit der subtilen L-Energie [Lebensenergie, vkd]... überraschend und spontan durch den Prozess zustande [kommt], einfach nur ‚zu sein’ statt dauernd ‚zu tun’.“ [Pearsall 1999, S. 180 f.]
Diese Auffassung stimmt mit der zentralen These der Orgontik überein, die grundlegend für ihr Menschenbild, ihre Theorie und Praxis ist: Wir begegnen dem Menschen in seinem Wesen nicht auf der Ebene des Gehirn und des Machens, sondern auf der des Herzens und des Seins.

PSYCHOLOGIE DER ORGONTIK
Das Herz hat seine eigene Logik, die der Verstand nicht kennt (Blaise Pascal)

SELBSTBEZIEHUNG  UND IHRE DEFIZITE ­-- EIN WACKELKONTAK T  IN DER  KÖRPERSEELE
Wie die Bezeichnung „Selbstbeziehung“ nahe legt, rückt die Beziehung, die ein Mensch zu sich selbst entwickelt, in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Gleichzeitig liegt in der Selbstbeziehung der Schlüssel, der die sozialen Beziehungsmuster des Menschen verständlich macht, was sowohl diagnostisch als auch therapeutisch von Bedeutung ist. Beziehungsdefizit möchte ich als anhaltende Störung der Kontaktfähigkeit definieren.

Um ein weiteres vorauszuschicken: Das Selbstbeziehungsdefizit ist keine Pathologie, keine Neurose, keine seelische Erkrankung und auch nicht ein Symptom derselben, kann aber ihre Grundlage sein. Das Selbstbeziehungsdefizit an sich lässt sich ohne weiteres als „Normalität“ des Seelenlebens und seiner sozialen Manifestationen in unserer Kultur bezeichnen und könnte ein Schlüssel zum Verständnis mancher Phänomene auf diesen Gebieten sein, die wir noch nicht verstanden haben.
Das Selbstbeziehungsdefizit erscheint also „normal“, tritt ubiquitär in Erscheinung und charakterisiert sich dadurch, dass man selten wahrnimmt, dass in dieser Normalität ein augenfälliges Ungleichgewicht der Körper-Seele-Beziehung repräsentiert ist.

Das Selbstbeziehungsdefizit beschreibt letztlich den Mangel an Bindung zu bestimmten Subsystemen innerhalb der Körper-Seele-Beziehung, die wir im Folgenden genauer definieren wollen.
  „Ich kann mich selbst nicht ausstehen, und zwar jeden Morgen, sobald ich wach werde.“
  „Ich mag meinen Körper nicht.“
  „Ich verachte mich, wenn ich so bedürftig bin.“
  „Ich habe den Eindruck, ich kann mich nie richtig abgrenzen.“
  „Ich kann einfach nicht zur Ruhe kommen.“
  „Ich kann mich eigentlich nicht lieben und akzeptieren wie ich bin“
  „Ich vertraue mir selbst nicht. Wie kann ich dann jemand anderem vertrauen?“

(Fortsetzung folgt)

Montag, 29. Juni 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (3)




Auch das von Pearsall im obigen Zitat benannte Element einer „feinstofflichen Energie“ knüpft letztlich an Reich und seinen Orgon-Begriff an. Dieser ist Pearsall offenbar nur unzureichend bekannt. Der Traditionslinie der auf Reich basierenden modernen Körpertherapien ist die Vorstellung einer zellulären Erinnerungsfähigkeit durchaus vertraut und ist tausendfach in der Praxis bestätigt worden. Das neue Element, das hier eingeführt wird, fndet sich in der These, dass es das menschliche Herz ist, welches die Matrix, den Code dieser lebensenergetischen individuellen Basisinformation enthält. Pearsall spezifiziert diese Vorstellung folgendermaßen:

„Jede Zelle ist buchstäblich ein energiegeladenes Miniaturherz, in dem es summt wie in einem Bienenstock. Die ultimative bio-medizinische Selbsttäuschung wäre die Überzeugung, dass der Körper lediglich aus fester Materie und flüssigen Substanzen besteht, durch den Körper gepumpt von einem Herzen ohne Bewusstsein, und einem machtvollen, bewussten Gehirn, das mehr oder weniger die alleinige Kontrolle über das gesamte System besitzt. Die Energiekardiologie betont gleichwohl, dass nicht das Gehirn, sondern das Herz dieses System durch eine Form der spirituellen Info-Energie zusammenhält: ein zeitweiliges, sich fortwährend wandelndes Zellgedächtnis, das wir als »Selbst« bezeichnen. Dieses ‚Selbst’ ist die dynamische Gestalt von Informationen, verschlüsselt in einem Code, der unsere Seele repräsentiert..“ [Pearsall 1999, S. 180 f.]

Bemerkenswert an diesen Ausführungen ist vor allem der Versuch Pearsalls, den Begriff des Selbst organismisch  zu erfassen: Das Selbst als individueller Herzcode, als einzigartige individuelle und dynamische Gestalt von Informationen, die unser Leben und Seelenleben bestimmt.
Dieser Selbstbegriff verfügt über die besondere Eigenschaft einer ontologischen Substanz, sofern sie das Leben des einzelnen Menschen betrifft. Das Selbst wird geboren und das Selbst erhält sich gleichermaßen als Konstante. Das Selbst bleibt vom ersten bis zum letzten Herzschlag der individuelle Seinskern, das Wesen des Menschen, unabhängig davon, was auch immer er an Anstrengungen unternimmt, dieser Tatsache zu entfliehen oder von ihr abzulenken.

Das Selbst besitzt, unabhängig von seinen Eigenschaften wie Dynamik, Wachstum, Entwicklung eine Konstanz, die sowohl in seiner organismischen Realität als in ihrer mehr oder weniger individuellen Wahrnehmung begründet liegt. Gelingt es, zu dieser Konstanz der in uns wirkenden Lebensenergie eine – bejahende – Beziehung zu entwickeln, dann treten wir in Kontakt mit jenen Tiefen unserer Existenz, welche wir als Seinsebene bezeichnen können. Eine Ebene, die sich häufig im Nebel einer  am Machen orientierten Kultur verliert und den Menschen damit von den Wurzeln seines Selbst und den in ihn ihm existierenden Potentialen entfernt oder abschottet.

(Fortsetzung folgt)

Sonntag, 28. Juni 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (2)

Was aber, wenn die Seele in ihrer Substanz nicht dem Gehirn zuzuordnen wäre? Was, wenn die Seele in ihrer Substanz im Herzen ihre Heimat hat? Neue Erkenntnisse aus dem Umfeld der Herztransplantationsforschungen (der sog. „Kardioenergetik“) deuten darauf hin [Pearsall 1999], dass das Herz nicht einfach eine austauschbare Pumpe ist, sondern auch Träger wesentlicher seelischer und zellulärer Informationen und eine fundamentale Quelle lebensenergetischer Vorgänge im Menschen.

Die Kardioenergetik vertritt entsprechend die Auffassung, dass das „Herz denkt, dass Zellen sich erinnern und das diese beiden Prozesse mit einer ... mächtigen feinstofflichen Energie in Zusammenhang stehen, [ein] Herzcode ... von jeder Zelle im Körper aufgezeichnet und gespeichert wird wie eine Informationsschablone der Seele, die vom Herzen ausgehend ständig ihre Schwingungen innerhalb und außerhalb ihres Körpers verbreitet.“ [Pearsall 1999, S. 25]

Das Herz denkt? Eine zunächst fremdartige Vorstellung, die hier formuliert wird. Wenn es eine Überzeugung gibt, die unsere Kultur, spätestens seit der Aufklärung, bestimmt wie kaum eine andere, dann doch wohl die, dass es, je nach begrifflicher Betrachtungsweise, die Vernunft, der Verstand, das Gehirn ist, welche den Prozess des Denkens determinieren.
Es war ja nicht zuletzt der bedeutende Beitrag Freuds innerhalb dieser Kulturgeschichte, jene unbewussten Kräfte zu benennen, welche die rationale Logik des Denkens einschränken und verzerren könnte.

Eine tiefe Einsicht Wilhelm Reichs zeigte, dass nicht nur die sexuellen, sondern auch die emotionalen und charakterlichen Abgründe des Menschen die Vernunft nur zu einem wankenden Schiff über der Tiefe des Ozeans des Unbewussten und seiner Prägungen herabstufen.[Anmerkung VKD 2015: Eine Tatsache, die durch die moderne Gehirnforschung eindrucksvoll in den letzten Jahren unterstützt wurde.]

Reich definierte den Begriff der Rationalität neu, in dem er Rationalität als eine Beziehung lebendiger Empfindungs- und Gefühlsfähigkeit mit dem Bewusstsein verstand. Das, was in unüberbrückbarem Gegensatz zu stehen schien, Gefühlsleben und Verstand, definierte Reich somit als eine lebendige innerseelische Beziehung. Diese Definition von Rationalität wurde ein wichtiges Bindeglied der von ihm postulierten „funktionellen Identität von Psyche und Soma“, die wir im Verlaufe unserer Ausführungen noch eingehender erläutern werden.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 27. Juni 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE - DAS BUCH HIER IM BLOG



Heute beginne ich damit, mein seit vielen Jahren vergriffenes Buch Herz und Halt - Einführung in die seinsorientierte Körpertherapie neuerdings der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es wird in kleinen, schnell lesbaren Abschnitten, in diesem Blog veröffentlicht.

Herz und Halt erschien im Jahr 2000 zum ersten Mal in Buchform, erlebte 3 Auflagen und geriet in Vergessenheit. Vor kurzem fiel es mir in die Hände, als ich mit meiner neuen Arbeit Halt, Selbsthalt und Transformation der Persönlichkeit begann. Dabei gewann ich den Eindruck, dass Herz und Halt heute durchaus noch aktuelle und interessante Ansätze enthält und es eigentlich schade ist, es weiterhin in der Schublade liegen zu lassen. Insbesondere die körpertherapeutischen Techniken, die hier vorgestellt wurden, haben sich in den 15 Jahren nach der Erstveröffentlichung bestätigt und weiterentwickelt und werden später in mein neues Buch einfließen.

Doch zunächst viel Freude, Anregung und Inspiration mit "Herz und Halt".

Volker Knapp-Diederichs


Teil 1:

Was ist Orgontik - seinsorientierte Körpertherapie?

Die Orgontik ist ein junges, vielleicht auch ungestüm jugendliches Modell der Körpertherapie. Es basiert u.a. auf der Orgonomie Wilhelm Reichs, der humanistischen Psychologie, der Säuglingsforschung und den neuen Erkenntnissen der Kardioenergetik („Herzenergetik“).

Dabei sucht die Orgontik nicht nur eine eigene Sicht auf die Dinge des Körper-Seele-Zusammenhangs, sondern fühlt sich auch in ihrer Sprache dieser Sicht verbunden: Der Verbindung von Körper, Herz und Verstand, die ihr zentrales Anliegen ist.

Der Begriff „Orgontik“ mag vertraut klingen. Sein Wortstamm bezieht sich auf den „Orgon“-Begriff von Wilhelm Reich. Die Bezugnahme auf „Orgon“ ist beabsichtigt. Zunächst, um der Inflation begrifflicher Anbändelungen an das Werk Wilhelm Reichs eine neuartige Variante hinzuzufügen. Andererseits, um anzudeuten, dass, bei mancher wohlwollend-kritischen Distanz zu einigen seiner Auffassungen, die ich an anderer Stelle formuliert habe [Knapp-Diederichs 1997], ich an Reichs Pionierarbeit einer westlichen Lebensenergieforschung anknüpfe und sie nach wie vor würdige.

Der 2. Teil des Begriffes entstammt dem Feld der Philosophie. Er zeigt sich inspiriert vom Terminus „Ontologie“, welcher die (philosophische) „Lehre vom Sein“, als „Lehre vom Sein im allgemeinen“ usw. bezeichnet [Buhr 1973, S. 806 ff.].

Was hat es mit dieser Betonung des Seins, die ja auch im Untertitel „Seinsorientierte Körpertherapie“ repräsentiert ist, auf sich?

Die Orgontik unterscheidet sich von therapeutischen Modellen, die sich am Machen, an der Leistung und am Interventionsaktivismus orientieren. Orgontik bezieht sich primär auf das Sein, nicht auf das Tun. Sie reflektiert damit den Antagonismus, dass sich seelische Wirklichkeit zwar auf der Seinsebene („ich bin verzweifelt“, „ich bin voller Selbsthass“ etc.) zeigt, ihre therapeutische Veränderung jedoch, wie alles in unserer Kultur, auf der Ebene des Machens und in der Haltung der Macher angestrebt wird.

Die Orgontik beschreitet einen anderen Weg. Die primär am Sein und nicht am Machen orientierte Orgontik trägt der Erfahrung Rechnung, dass die ursprüngliche seelische Wunde des Menschen auf der Seinsebene entstanden ist („ich wollte einfach nur geliebt und angenommen werden um meiner Selbst, aber nicht um einer erwarteten Leistung oder Erwartung willen ...“). Naheliegend erscheint mir, dass diese Wunde in seiner Tiefe auch nur auf der Seinsebene Transformation erfahren kann.

Allerdings überschreitet die Orgontik mit dieser Orientierung nicht nur hier und da festgeschriebene Terrains der in der Tradition Reichs positionierten Methoden der Körperpsychotherapie, sondern gewissermaßen westlicher Therapie überhaupt. Denn neben der an Handeln („Machen“ als Therapie) und Handlungsfähigkeit („Arbeitsfähigkeit“ als wichtiges Therapieziel) orientierten Grundhaltung basiert diese zudem auf einem Menschenbild, in dem das Gehirn sich als Sitz der Seele des Menschen, als Instanz des Seelenheils und als Heilmittel inthronisiert hat.

In unserer Kultur ist in der Regel das Gehirn gemeint, wenn man von der Seele spricht. Es ist das Gehirn gemeint, wenn man Leben und Tod definiert. Es ist das Gehirn gemeint, wenn man von „Vernunft“ als der Basis unserer gesellschaftlichen Bestimmung seit der Aufklärung spricht.

Wie das Gehirn in seinem Wesen auf das Tun, das Machen, die Intention des Gestaltens ausgerichtet ist, („sich regen bringt Segen“), so sind die Antworten einer sich daraus entwickelten Psychotherapie in erster Linie die des Tuns, des Machens, des Veränderns.

(Fortsetzung folgt)