Mittwoch, 22. Dezember 2021

 

Wege zur Hingabe des Herzens

Das Elysium aus Leib und Seele singen

Annäherungen an das Phänomen
Diana Ankudinova (4. Teil)

 


 
 Bei diesem Strom der Herzenergie handelt sich um den Energiefluss, der sich in jeder zärtlichen Berührung ausdrückt, z. B. innerhalb der Mutter-Kind-Beziehung oder in der Umarmung zweier Liebender. Bei einem Gesangsauftritt, sei er live oder Aufzeichnung, gilt er nicht einer Person, sondern strahlt, einem unsichtbaren Licht vergleichbar, in den Raum auf das Publikum. Dem Tenor Luciano Pavarotti wurde von vielen, die ihn live erlebten, kolportiert, dass der Zuschauer den Eindruck hatte, er sänge nur für ihn. Was in meinen Augen ein deutlicher Hinweis auf die Intensität des Herzkontaktes, den Pavarotti während seiner Auftritte herzustellen in der Lage war.

Die Hände repräsentierten das zentrale Organ der Berührung und des direkten Kontakts mit unserer Umwelt. Mithilfe unserer Hände »begreifen« wir die Welt, mithilfe des Mundes verleiben wir sie uns ein, was sich anschaulich im Babyalter beobachten lässt. In den späteren Entwicklungsphasen trennen sich diese Funktionen, der Akt des »Begreifens« verlagert sich auf die abstrakte Ebene der Verstandesfunktionen. Verbindet sich der Fluss des Herzens mit der Berührung eines anderen Menschen, in der liebevollen Berührung zwischen Mutter und Kind oder der Berührung von Liebenden, dann nähert sich der Erwachsene wieder dieser frühkindlichen Berührungsqualität, in dem Herz, Mund und Berührung zur Einheit zurückfinden. Die Resonanz des im Brustkorb schwingenden Lebendigkeit, die sich von hier stimmlich ausdrückt, spielt gerade in Liebesliedern eine entscheidende Rolle und kann dem sog. »Brustregister« oder »Bruststimme« zugeordnet werden.

Der erste, fundamentale Energiefluss führt also vom Herzen durch die Arme bis in die Hände und Fingerspitzen und darüber hinaus, ist körpersprachlich mit der Geste eines sich Öffnens, des Ausgreifens, des »Hin-zur-Welt« assoziiert.

Auf dem Hintergrund der seinsorientierten Körpererfahrung lässt sich dieses Modell erweitern und spezifizieren. Es existieren 4 »Kontaktorgane«, ich bezeichne sie auch gern metaphorisch als »energetische Fenster«, mithilfe derer ein Mensch in bio-emotionalen Kontakt mit einem anderen Organismus treten kann: Augen, Mund, Hände und Genitalien. Für alle 4 gilt, dass sie mit dem energetischen Zentrum, dem Sitz der Seele, dem menschlichen Herzen mehr oder weniger spürbar oder sogar bewusst verbunden sind. Das bedeutet, es existieren substanzielle bio-emotionale Verbindungen zwischen dem Herzen und den Augen, zwischen dem Herzen und den Händen, zwischen dem Herzen und dem Mund und zwischen dem Herzen und den Genitalien.

Bei allen handelt es sich um energetische Zentren, erogen, erregbar, vital. Gleichzeitig bilden sie authentisch den inneren Gefühlszustand eines Menschen ab. Betrachten wir diese Funktionen im Einzelnen.

Die Augen stellen bekanntlich den »Spiegel der Seele« dar, der »augenblickliche« oder chronische Gefühlszustand (Im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung kann sich eine bestimmte bio-emotionale Ausdrucksbewegung chronifizieren. Zum Beispiel findet sich in hysteroiden Persönlichkeitsstrukturen ein chronischer Ausdruck von Sehnsucht in den Augen, welche der betreffenden Person nicht bewusst ist, aber von anderen Menschen als erotische Botschaft missinterpretiert werden kann. Manche chronisch-unbewusste körpersprachliche Botschaft zieht kommunikative Missverständnisse nach sich, nicht nur in den Augen, z. B. chronische Angst oder chronische Wut, die sich in den Augen abbildet) lässt sich ebenso leicht in den Augen ablesen, wie generell der Erregungszustand eines Menschen. Im Grunde lässt sich jedes Gefühl in den Augen erkennen. Die Varianzbreite des Augenausdrucks steht in Abhängigkeit von der bio-emotionalen Vitalität eines Menschen und findet sich typischerweise bei Kindern am deutlichsten ausgeprägt. Das »Strahlen« der Augen zeigt sich bei Kindern und später bei Liebenden in seiner ganzen Intensität und Lebendigkeit.

Auch der Mund sendet ein weites Spektrum von bio-emotionalen Signalen aus: Zusammengepresste Lippen zeigen Zurückhaltung, zusammengebissene Zähne zurückgehaltene Wut, die nach unten gezogene Unterlippe vermittelt Distanz, geöffnete Lippen, über die die Zunge streichen, vermitteln erotische Signale, ein Zittern und Zucken emotionale Erregung usw. Das Küssen, die Überlagerung der Münder zweier Liebender, gilt als Geste von Zuneigung und Liebe. Es repräsentiert den substanziellen Energiefluss vom Herzen zum Mund.

Hinzu tritt das weite Spektrum bio-emotionaler Ausdrucksbewegungen der menschlichen Stimme, die über den Mund den Weg in die Außenwelt findet. Sprache und Gesang repräsentieren ein einzigartiges individuelles Abbild der Persönlichkeit. Wie es Milliarden von Menschen auf dieser Welt gibt, so existieren Milliarden unterschiedlicher Stimmen auf diesem Planeten. Jede dieser Stimmen ist einzigartig.

Über das energetische Fenster des Munds tritt die Stimme mit der Lebensumwelt und der sozialen Welt in Kontakt. Ist die Stimme deutlich und klar? Oder klingt sie undeutlich nuschelnd, als ob derjenige, der spricht, nicht so richtig von dem, was er sagt (oder möglicherweise auch von sich selbst) überzeugt ist? Zeigt sich emotionale Präsenz, ein Beteiligtsein in der Stimme, die durch den Mund in die Außenwelt dringt, oder wirkt sie gefühllos und mechanisch? Ist sie voller Zugewandtheit und Mitgefühl oder verführerisch, abgegrenzt und kühl?
 
(Fortsetzung folgt)

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