Al Baumann (1919 – 1998) |
Al kannte den inneren Kreis um Reich aus eigener Anschauung. Er sollte der Erste in der Reihe von Lehrern sein, die ich im Laufe der Jahre kennenlernte, welche Reich persönlich erlebt hatten, in denen sein Geist weiterlebte. Das verlieh Al in meinen gläubigen Augen jene Aura, die ihn zum "Jünger des Herrn" adelte.
Ich glaube, Al Baumann zählte etwa 66 Jahre, als ich ihn kennenlernte. Er trug einen eindrucksvollen weißen Bart, zeigte strahlende, wache braune Augen, mit denen er stets etwas verschmitzt in die Welt schaute. Al trug einen Piratenohrring in einem Ohr, was ihm jenen Hauch von Verwegenheit verlieh, die nicht so recht zu seiner Altersgruppe zu passen schien. Er sah wie jener Großvater aus, den sich ein aufrechter Reichianer wünschte: lebendig, humorvoll, präsent. Al konnte fesselnd erzählen und zahllose Anekdoten zum Besten geben. Seine Vertrautheit mit der Bühne ermöglichte es ihm, mit theatralischen Effekten, Pausen und Pointen seine Zuhörer dermaßen in dem Bann zu ziehen, dass die praktische Arbeit und Übung häufiger ins Hintertreffen geriet.
Al sah auf ein abwechslungsreiches Leben zurück, nicht nur, was seine Zeit mit Reich betraf. Er kam aus der Kunst, trat als professioneller Konzertpianist auf, hatte Tanz und Malerei studiert, u. a. bei Robert Motherwell.
Aufgrund einer beruflichen und persönlichen Krise nahm er 1948 Kontakt zu Reich auf, der damals in Künstlerkreisen hoch im Kurs stand. Reich verwies ihn an Simeon Tropp, einem seiner engsten Mitarbeiter. Der Meister führte die ersten und die abschließenden Einzelsitzungen mit Al selbst aus, den Mittelteil delegierte er an Simeon Tropp. Ein bemerkenswertes Vorgehen, das Reich eingeführt hatte und ihm ermöglichte, die Qualitätsstandards direkt an seinen Schülern zu überprüfen.
Al erzählte, dass er später Reich im Klavier- bzw. Orgelspiel unterrichtete. Als ich in den 80-er Jahren Orgonon, heute das Wilhelm-Reich-Museum, besuchte, bewunderte ich die ausladende Hammond-Orgel, die Reich besaß. Reich liebte es, das erzählte mir später seine Tochter Eva, während des Spielens sämtliche Fenster im Haus zu öffnen, um seine Musik mit der atmosphärischen Lebensenergie verschmolzen zu fühlen.
Eine weitere Anekdote, an die ich mich erinnere, betraf die Begegnung mit dem arabischen Dichter der Liebe, Rumi. Al und Reich versuchten gemeinsam, Gedichte Rumis zu vertonen. Reich zeigte sich verwundert darüber, dass Al einen persischen Dichter des 12. Jahrhunderts nicht kannte. Was aus diesen Versuchen geworden ist, weiß ich nicht, aber Rumi sollte später in meinem Leben noch Bedeutung gewinnen. Damals wusste ich nicht, dass Rumi nicht nur ein ekstatischer Lyriker der Liebe, sondern auch als Sufi der ersten Stunde gilt.
Es gäbe noch viele wundersame Anekdoten, die mir in den Sinn kommen, weil Al sie faszinierend erzählen konnte. Sie alle stellten ein unterhaltsames Beiwerk für den Lernenden dar, beeindruckten den Suchenden in mir, der sich teilhaftig fühlen durfte an erzählter Geschichte, die sonst, wenn überhaupt, nur über Bücher zugänglich bliebe.
Mit Al und seiner Lebenspartnerin, der Opernsängerin Emily Derr, trat der künstlerisch-kreative Aspekt der Skan-Arbeit machtvoll hervor, ein Aspekt, der eine besondere Anziehung auf mich ausübte. Zudem kontrastierte er die vorherrschend naturwissenschaftlich-medizinische Reich-Auslegung, mit der ich mich häufig konfrontiert sah. Meine Künstlerseele erwachte mit Skan zu neuem Leben.
(Fortsetzung folgt)
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