Es wäre allerdings verwunderlich, wenn der Bereich der
sexuellen Intimität abgekoppelt wäre von einer gesellschaftlichen Realität, die
den Menschen über viele Generationen zum homo faber formte. Die Messbarkeit
seiner Arbeitsleistung und die Leistung selbst erwuchsen zum globalen gesellschaftlichen
Wertmesser.
Die Orientierung an der perfekten Mechanik der Maschinen
entpuppte sich darüber hinaus als Ideal des Menschen und eines perfekten
menschlichen Funktionierens, das auf viele Lebensbereiche – gewollt oder
ungewollt – übertragen wird. Perfekt zu sein oder etwas als perfekt bezeichnen
zu können, das sind die Ideale, denen man Lemming artig neigt hinterherzurennen.
Messbarkeit, Leistung und Perfektionismus spielen in der Identität
des modernen Menschen deshalb nicht zufällig eine dominierende Rolle. In ihnen
spiegelt sich die Basis der Wertschätzung, die der moderne Mensch sich selbst
und anderen Menschen schenkt: Ein Mensch, der viel und erfolgreich arbeitet, der
viel leistet, viel verkauft usw., dessen Bankkonto große Zahlen aufweist, ein
solcher Mensch ist ein bewunderter Mensch, unabhängig davon, was seine
Tätigkeit ist. Stets geht es darum, das schnellste oder teuerste oder neueste
oder älteste oder hellste oder dunkelste was auch immer zu haben, zu tun, zu
machen, stets quantifizierend, um zu vergleichen: Um damit seinen Selbst-Wert
oder den Wert in den fiktiven Augen des anderen zu definieren.
Wer hat so etwas nötig? Jemand, der nicht weiß, wer er in
Wahrheit ist?
Die Abstraktion der Zahl, mit Vorliebe gespiegelt im Maßstab
des Geldes, die überall präsenten Quantifizierungen wirken wie Beschwörungsformeln
überall dort, wo der Kontakt und die intuitiven Fähigkeiten des Menschen
verkümmert sind. Die Penislänge, die Körbchengröße, die Zahl der Orgasmen pro
Woche, pro Tag oder was auch immer, alles braucht seine Zahl, die Sicherheit
suggeriert, wo Unsicherheit herrscht. Das gilt besonders bei jungen Menschen.
Liebe und Sexualität sind von diesem Phänomen am
deutlichsten geprägt, wie die Qual und das Scheitern im Liebesleben, das damit
verbundene seelische und sexuelle Elend der Männer und Frauen und nicht zuletzt
die Trennungs- und Scheidungsraten zeigen. Da helfen auch keine
Beschwörungsformeln vom Olymp Hollywood, die gebetmühlenartig der romantischen
Liebe und ihren Glückversprechen in immer neuen Varianten propagieren.
Die mehr oder weniger stark eingeschränkte Unfähigkeit des
modernen Menschen zur Liebe ist eine Tatsache. Eine Tatsache, die gerne tabuisiert,
verleugnet oder ignoriert wird. Weil diese Wahrheit zu schmerzhaft ist?
(Fortsetzung folgt)
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