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Körpertherapien in der Traditionslinie von Wilhelm Reich lassen Interventionen auf der Rückseite des Körpers häufig außer Acht. Der Klient liegt in der Grundposition auf dem Rücken, entsprechend muten Eingriffe dort eher mühselig an. Deshalb veränderte ich das traditionelle Setting und wies die Klientin an, sich auf die Seite zu legen und mir dabei den Rücken zuzuwenden. Das ermöglichte eine Haltearbeit auf der Rückseite des Körpers (»Rückhalt«), ein Fokus, der bis heute ein zentrales Element des Seinshalts und der seinsorientierten Transformation repräsentiert.
Viel später erst verstand ich, weshalb diese Arbeit im Rücken in der Seitenlage derartig wirkungsvoll ist: Sie bildet die Grundlage für die pränatalen Zellerinnerungen jener Entwicklungsphase, in der der Fötus den direkten Kontakt und Halt der Gebärmutterwand in seinem Rücken erlebt.
Ich begann, die Methode des Seinshalts bei weiteren ausgesuchten Klienten anzuwenden. Zunächst praktizierte ich sie als punktuelle Ergänzung zur traditionellen Herangehensweise. Eine verblüffende Beobachtung rückte in mein Blickfeld: Wenn Muskeln oder Muskelgruppen über längere Zeit (10–20 Minuten) Seinshalt erfahren, verändert sich ihr Tonus. Die Muskulatur entspannt sich, beginnt zu pulsieren, selbst dann, wenn sie sich anfangs in der Berührung hypertonisch, kalt, hart und starr anfühlte. Eine weitere Erkenntnis bestand darin, dass offenbar jede Art von Seinshalt den Organismus tief entspannte, so dass er über kurz oder lang ein naturwüchsiger Trancezustand ausgelöste.
Ein grundlegendes Problem kristallisierte sich jedoch bald heraus: Die Vorstellung, dass »nichts« passierte, man keine Körper»arbeit« machte, der Therapeut kein Aktivitätsfeuerwerk abbrannte, irritierte zutiefst. All die verinnerlichten kulturellen Erwartungsmuster, die besagen, je mehr und intensiver gearbeitet wird, desto kürzer erweist sich der Weg zu Erlösung (»sich regen bringt Segen«), liefen ins Leere. Das konnte nicht nur deutliche Irritationen, sondern sogar Widerstände auslösen, die anfangs in einigen Fällen zum Abbruch des Prozesses führten. Auch bei mir meldete sich der Ego-Verstand mit Zweifeln: »Was mache ich hier eigentlich, wenn ich nichts mache! Werde ich jetzt für’s Nichts-Tun bezahlt?«
Die Rezeptivität, die zum Vorschein trat, stand im Gegensatz zur Tradition einer therapeutenzentrierten Arbeit. Denn hier herrscht das Gegensatzpaar einer Aktivität des Therapeuten und einer Passivität des Klienten. Ein polarisiertes, hierarchisches Beziehungsmodell musste ersetzt werden durch eines, in dem Zusammenfließen, Verbundensein und punktuelles Verschmelzen seinen berechtigten Raum besitzt. Dies galt zumindest auf der Ebene des energetischen Seinszustands.
Ich gewöhnte mir an, diese tief verwurzelten Vor-Urteile mit meinen Klienten ausführlich zu besprechen. Es ging darum, den Abwehrmustern entgegenzuwirken und die kognitive Erlaubnis für diese andersartigen Erfahrungen zu erwirken. Der analytische Verstand erwies sich dabei als Hemmnis, mein eigener und diejenigen meiner Klienten.
Die Identifizierung der Persönlichkeit mit dem Denken und den Gedanken ließ erahnen, dass unkonventionelle Wege, die den kulturellen Grundannahmen widersprechen, es erschweren, Erfahrungen zuzulassen und zu integrieren, sofern Widerstände nicht durchgearbeitet werden. Das Witzige lag ja darin, dass das, was vorher als »Widerstand« erschien, sich nun als des Pudels Kern darstellte. Dabei wurde deutlich, dass ein viel tieferer und umfänglicher Widerstandsmechanismus auf der Ebene des Ego-Verstands, seiner Denk- und Überzeugungsmuster zu diagnostizieren ist.
All dies lieferte ernsthafte Hinweise auf die Begrenzungen der Körper- und Psychotherapie, ihrer blinden Flecken als Produkt und Teil der Kultur, welcher sie entsprangen. Diese Aspekte werden uns in einem späteren Abschnitt noch ausführlich beschäftigen (siehe "Sein oder Machen")
(Fortsetzung folgt)
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