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Es erstaunte, dass fast jedes kleine Kind Vater und Mutter in einem Maße liebte, sie idealisierte und verklärte, das deutlich über eine Resonanz auf die Elternliebe hinausging. Dies blieb selbst dann zu beobachten, wenn die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind nicht gleichermaßen Liebe, Zuwendung und Achtsamkeit, sondern Egoismus, Abweisung und Missachtung prägte. Ein eklatanter Unterschied zwischen der Liebesfähigkeit von Eltern und Kindern schien wenig zu ändern an diesem fast naturgesetzlichen Phänomen.
Es erweckte den Eindruck eines nahezu unbegrenzten »Liebesvorschusses«, den die Kleinen Mama und Papa schenkten. Wirkten hier noch umfassendere Faktoren als eine Bindungsenergie, die sich nährte aus dem Schutzbedürfnis der Babys und Kleinkinder? Arbeitete hier eine Kraft, eine Lebenskraft, eine Energie, die über die Biologie einer Libido im Sinne Freuds und Reichs hinauswies?
Meine wachsenden Erfahrungen in der transformativen Arbeit verdeutlichlichten mehr und mehr: Selbst neurotische oder schwerere Störungen auf Seiten der Eltern verhinderten jenen »Liebesvorschuss« des Kindes nicht. Ein Kind wendeten sich nicht umgehend schaudernd ab, selbst andauernde seelische und körperliche Gewalt erstickten die kindliche Liebe nicht, formten sie jedoch maßgeblich.
Es versetzte mich in Erstaunen, unter welchen widrigen familiären Verhältnissen manche Kinder ihre innere Integrität bewahren konnten. Während andererseits Menschen bei scheinbar günstigeren Ausgangsbedingungen psychische Verwerfungen aufwiesen, deren Ausmaß verblüffte. Es stellte sich die Frage, ob neben tiefenpsychologischen Einflussfaktoren noch weitere Katalysatoren existierten, welche dafür verantwortlich zeichnen. Bildet allein die Erfahrungsgeschichte den Boden, in dem eine relative seelische Gesundheit im Erwachsenenalter wurzelt? Was definiert sie? Ich begann zu ahnen, dass die Liebesfähigkeit des Menschen damit in Zusammenhang steht. Aber auf welche Weise?
Das innere Kind im Erwachsenen suchte ein Leben lang jene Resonanz von Liebe, die es in der Beziehung zu den Eltern am Ende nicht fand. Es blieb ein Kreis offen, ein Bereich nicht beantworteter und nicht gelebter Liebe. Dieser bildete das Reservoir und den Ausgangspunkt aller Übertragungsprozesse.
Da sie nicht durch reale Bindungserfahrungen geerdet waren, vermischten sie sich mit den – kompensatorischen – Grandiositätsphantasien des narzisstischen Egos. Es steckte eine gehörige Portion Verzweiflung in der Grenzenlosigkeit solcher Vorstellungswelten, ein Hunger, eine Gier, die sich ins Unermessliche und gleichzeitig Irrationale steigern konnte.
Das Ego glich auf diese Weise die erfahrenen Defizite von Liebe mithilfe einer Persönlichkeitsstruktur aus, die unersättlich zu gieren schien nach der Anerkennung und Bestätigung durch andere, die gleichzeitig ein hohes Maß an bindungsloser und realitätsverleugnender Ich-Bezogenheit aufwies. Entkoppelt von der Realität, mussten sich sich diese Anstrengungen als Abstraktionen erweisen.
»Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören« bemerkte Hegel einmal in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Idealen. Es deutete auf ein markantes Merkmal nicht nur der vorherrschenden, vom narzisstischen Ego dominierten sozialen Prozesse, sondern unserer gesamten Kultur. So spiegelte sich im Gesellschaftlichen vieles von dem, was in den gemeinsamen Elementen der vorherrschenden Persönlichkeitsstrukturen angelegt war.
(Fortsetzung folgt)
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