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Verachtung und Hass nähren sich aus dem Schmerzkörper, manifestieren sich grandiosen Konstrukten des Ego-Verstands, in denen die eigene Weltsicht mit aller Gewalt zur Absoluten erhoben wird. Sie entladen sich beispielsweise in fundamentalistischen Feldzügen, in Gewaltherrschaft und Terror.
Häufig verbinden sich die Schmerzkörper einer Gruppe von Menschen, definieren ein gemeinsames Hass-Objekt. Solche Vorgänge beginnen beim »Mobbing«, treten bei den sog. »Wutbürgern« zum Vorschein und enden im rechtsextremen oder islamistischem Terror. Der innerseelische Bürgerkrieg bildet auf diese Weise den Nährboden für den realen Bürgerkrieg. Nicht nur die Geschichte, auch die Gegenwart ist reich an Beispielen für dieses Phänomen.
Die soziale Verbindung der Schmerzkörper Einzelner funktioniert als Dominoeffekt. Reich nannte es »emotionale Kettenreaktion« oder »emotionale Pest«. Das phylogenetische Erbe, das sich in der gesellschaftlichen Natur des Menschen ausdrückt, präsentiert in solchen Erscheinungsformen seine Schattenseite. Ausgrenzungsprozesse von Minderheiten, ebenso die Zerstörung der Umwelt, gehen zwangsläufig einher mit der Verleugnung von Mitgefühl im Seelenleben des Einzelnen. Die jeweilige Ideologie, d. h. die Rationalisierungs- und Erklärungsmuster, setzt eine Attraktion von Zugehörigkeit in Gang und stabilisiert sich, indem sie andere Menschen zum Sündenbock erklärt. Eine Zugehörigkeit, die auf der Verbindung der Schmerzkörper beruht, welche sich in der jeweiligen Erzählung wiederfindet.
Das, was im Seelenleben des Einzelnen in Gestalt des »innerseelischen Bürgerkriegs« aufscheint, indem Gefühle oder Bereiche der Seelenlebens ausgegrenzt, verachtet oder diskriminiert werden, potenziert sich im sozialen Zusammenhang als gesellschaftliche Gewalt.
Kommen wir auf unser Gedankenexperiment zurück. Die Bezugsperson, die ihr Kind mit rationalen, beziehungslosen Erklärungen zu beruhigen versucht, ist ebenso befangen wie gefangen. Gebannt in ihrem eigenen psychischen Universum, zwischen Verstand und Schmerzkörper. Das Gefängnis ihrer Persönlichkeitsstruktur blockiert die Einfühlung in das seelische Erleben ihres Kindes.
Schmerzkörper, »sekundäre Schicht« und der damit verwobene innerseelische Bürgerkrieg verschließen die Ressourcen des Herzens und der liebenden, mitfühlenden Natur in uns. Wenn diese Verbindung blockiert ist, stehen nur Selbstentfremdung, Identifizierung mit Schmerzkörper und Ego-Verstand als Instrument der Selbst- und Weltwahrnehmung zur Verfügung.
Der verlorene Kontakt zum Selbst zieht eine tiefe Verunsicherung und Haltlosigkeit nach sich. Die Suche nach dem Verlust löst Sehnsucht nach Heil und Heilung aus. Sie wird zum Antrieb für die Sucht nach Aufmerksamkeit, Spieglung, Bestätigung.
Da der Weg in das innere Universum durch den Schmerzkörper versperrt ist, richten sich diese Anstrengungen nur noch auf die Außenwelt. Was man sich selbst nicht gibt, wird nun in den Reaktionen seiner Lebensumwelt herbei gesehnt. Dies erinnert an ein Kind, das seine Bindungsbedürfnisse dort adressiert, wo es Antwort erhofft.
Selbstbeziehungsdefizite entwickeln sich gleichermaßen zum Motor jener Verhaltensmuster, in denen die Suche nach Selbst-Bestätigung aufscheint. Dabei hat die Außenwelt die Aufgabe zu spiegeln, was man für seine Persönlichkeit hält: Jene Konstruktion, jene Erzählung, die man als Identität, »Ich«, setzt.
Doch Heilung findet nicht statt. Insgeheim spürt man, dass da etwas nicht stimmt. Wer sich selbst nicht liebt, nicht mit sich in Einklang lebt, der wird kein Vertrauen dazu gewinnen, von jemand anderem geliebt zu werden. Misstrauen und innere Selbstentfremdung verhindern es. Die Suche, Antwort von Außen, äußerliche Antworten zu erhalten, geht weiter. Das Spiegelungsbedürfnis entwickelt sich zur Sucht, zum Persönlichkeitsmuster, zum Lebensinhalt. Es gemahnt an die Strafe des Sisyphos.
(Fortsetzung folgt)
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