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Ich begann mich für die Schattenseiten der Geschichte der Tiefenpsychologie zu interessieren, für das Verdrängte, das Implizite. Ellenbergers Mammutwerk zur »Entdeckung des Unbewussten« verdeutlichte, wie umfänglich kulturelle und gesellschaftliche Faktoren auf ihre Entwicklung einwirkten. Arbeiten, die sich mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Psychotherapie und Psychotherapiegeschichte beschäftigten, öffneten die Augen für eine traurige Tradition von Grenzüberschreitungen.
Nebenher, aber nicht zu verleugnen, existierte das Phänomen narzisstischen Missbrauchs von Klienten. Ich gewann den Eindruck, dass es ebenso verbreitet wie tabuisiert war. In der Fachliteratur gab es zwar entsprechende Publikationen für den Bereich der Liebesbeziehungen, nicht aber im therapeutischen Kontext.
Die kulturelle Formung einer Überhöhung der Rationalität, die in der Psychoanalyse aufschien, ließ sich der Tradition der Aufklärung zuordnen (»wo Es war, soll Ich werden«): Verbarg sich dahinter nicht der Versuch, die Kontinente des scheinbar Irrationalen, des Wilden der Seele gedanklich zu erobern, zu entschlüsseln, sie der Kontrolle der Vernunft zu unterwerfen?
Kaschierten solche Vorstellungen die simplifizierende Formel: Denken = positiv – Fühlen etc. = negativ? Entsprach das nicht exakt den Prämissen, auf denen unsere (westliche) Kultur aufbaute?
Trafen sie das Wesentliche?
In meinen Erfahrungen als Körpertherapeut kam ich immer mehr zu der Wahrnehmung, dass die Welt der Gefühle, der Emotionen, der Intuition und des Instinktiven durchaus Klarheit, Eindeutigkeit und Gesetzmäßigkeit an sich besaßen, entwirrte man ihre Verstrickungen.
Die Welt der sog. Rationalität hingegen erschien mir zunehmend irrational, unberechenbar. Mit Worten und scheinbar rationalen Argumenten ließ sich offenbar jeder Wahnsinn und Irrsinn begründen, sei es im persönlichen oder gesellschaftlichen Lebensumfeld.
Das Bild des Irrationalen, das vom Gefühlsleben in unserer Kultur vorherrscht, ging auf ein grundlegendes Missverständnis zurück. Gab es nicht einen deutlichen Unterschied zwischen dem klaren, unvermischten Ausdruck authentischer Emotion und einer charakterlich verzerrten oder durchmischten Gefühlsäußerung?
Emotionen in der Kindheit wiesen zweierlei Qualitäten auf: Sie besaßen eine vegetative (Körpersprache, Mimik, Gestik, Laute) und eine qualitative Dimension (Eindeutigkeit, Klarheit). Der Gefühlsausdruck zeigte sich also gesamtheitlich. Wenn z. B. ein Kleinkind weinte, trauerte es in seinem ganzen Körper, in vollständigen Erleben. Freute es sich, lachte es vollumfänglich, alles im Kind drückte Freude aus, von den Augen bis in die Zehenspitzen.
Eindeutigkeit und Ganzheitlichkeit waren als (phylogenetische) Natur des emotionalen Gefühlsausdrucks zu betrachten, als universelle Sprache und biologisches Erbe. Diese Aussagen gelten unter Einschränkungen auch für die Tierwelt, z. B. ist ein Aggressionsausdruck bei Tieren leicht identifizierbar, insbesondere bei Säugetieren. Pionier dieser Forschungen war Charles Darwin. Sein Buch »Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren« darf als Pionierarbeit der Emotionspsychologie betrachtet werden. Auch Wilhelm Reich analysierte umfassend die Gesetzmäßigkeiten emotionaler Ausdrucksbewegungen. Er richtete seine Aufmerksamkeit bis auf die Ebene der Einzeller, beschrieb dort den Zusammenhang von Bewegungsausdruck und Emotion.
(Fortsetzung folgt)
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