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Die erste Stufe des mystischen Weges, die Reinigung, via purgativa, erinnerte unmittelbar an das Phänomen der energetischen Katharsis, wie ich sie aus der reichianischen Körpertherapie, der Crisis bei Mesmer und ähnlichen Methoden kannte. Der befreiende Effekt der Katharsis bestand darin, dass blockierte Emotionen, vegetative Ausdrucksbewegungen und zurückgehaltene Impulse in befreiender Weise artikuliert werden. Man fühlte sich energetisch und seelisch gereinigt, erleichtert und entspannt, häufig dem Herzen als Zentrum tief empfundener, transpersonaler Liebe verbunden.
Mir sind keine Schilderungen kathartischer Erfahrung von Mystikern des Mittelalters in Detail bekannt, die vorhandenen Zeugnisse deuten an, dass es sich um ähnliche Phänomene handelte. Hatten Grenzerfahrungen jeder Art, Selbstkasteiungen und religiöse Praktiken hier einen Einfluss? Welche Anteile besaßen Beten und andere christliche Rituale an solchen kathartischen Erlebnissen? Hier lässt sich nur spekulieren.
Offensichtlich erscheint, dass durch wiederholte Erfahrungen dieser Art sich eine Erhellung des inneren Lichts von den den verdunkelnden Schatten des Egos entfaltete. Ein veränderter Blick auf die Wirklichkeit eröffnete sich: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.«(Matthäus 5, 8)
Diese »via illuminativa« entsprach jenem Aufwacherlebnis [Wehr, Gerhard (2006), S. 35], in dem die Natur des Herzens als Instanz der Verbindung mit dem ganzen Sein aufscheint und präsent wird.
Erleuchtungserlebnisse bilden kein Privileg östlicher spiritueller Wege, sondern finden sich ebenso in der christlichen Tradition. Sie scheinen ähnlich eng an die geistige Welt des Christentums angebunden zu sein wie die der Sufis an den Islam.
Die Gnade der Erleuchtung wurde in der dritten Stufe des mystischen Weges gekrönt durch die »via unitiva« oder »unio (communio) mystica«, die mystische Gemeinschaft mit Christus, oft als »mystische« oder »geistliche« Hochzeit bezeichnet. Die Vereinigung mit Christus und Gott repräsentiert das Ende des Weges der Gottsuche, in ihr vollzieht sich Gottfindung.
Es wird deutlich, dass der mystische Weg, das mystische Erkennen einhergeht mit tiefgreifenden Veränderungen der Person. Dies gilt für alle Stufen oder Entwicklungsschritte.
(Fortsetzung folgt)
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