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Jedenfalls gelangten Ergebnisse der damaligen publizistischen Tätigkeiten (Wilhelm-Reich-Zeitschrift Emotion, Ströme-Rundbrief etc.) auf unbekannten Wegen an die richtigen Adressaten in Ostberlin.
Eines Tages erhielt ich den Brief eines DDR-Bürgers aus der Ostberlin, der ein reges Interesse an Wilhelm Reich und der Körpertherapie für sich und andere artikulierte. Die daran anschließende Korrespondenz dokumentierte den Wunsch, dass jemand aus unserem Netzwerk in Ostberlin Vorträge oder Workshops dazu anböte. Interessenten und Teilnehmer an einem solchen Projekt seien reichlich vorhanden.
Mich begeisterte die Vorstellung, die Ideen des kommunistischen Häretikers Reich in den real existierenden Sozialismus zurückzutragen. Gern erinnere ich mich an meinen ersten Körpertherapie-Workshop in Ostberlin.
Er fand mitten im Winter, im Dezember 1986 statt. Draußen klirrte es vor Kälte, Schnee und Eis bedeckte die Stadt, die Temperaturen lagen um die 10° Minus. Die Veranstaltung sollte an einem Samstagmorgen im Jugendraum einer Kirchengemeinde in Prenzlauer-Berg beginnen. Als ich dort eintraf, traf mich der Schlag: Der Raum erschien dermaßen kalt, dass die Atemluft Nebelschwaden erzeugte. Die Heizkörper erwiesen sich als undicht und außer Betrieb, eine eindrucksvolle Wasserlache ergoss sich bedrohlich über den Linoleum-Fußboden. Das Mobiliar im Raum bestand aus zwei Tischtennisplatten und einem Dutzend Holzstühlen.
Etwa 20 potentielle Teilnehmer sahen mich erwartungsfroh an, den Exoten aus dem Westen. Jetzt sollte ich also hier, in diesem Raum, einen reichianischen Körpertherapieworkshop leiten?!
Ich machte deutlich, dass wir dringend zwei Probleme lösen mussten: Die Kälte und fehlenden Matratzen für die Körperarbeit. Dann geschah etwas Erstaunliches: Alle Teilnehmer besprachen sich kurz, verschwanden ohne großes Palaver und tauchten nach ca. 1 Stunde wieder auf: mit Heizlüftern, Radiatoren, Decken, Kissen ... und Matratzen.
Allerdings, diese Matratzen! Es handelte sich nicht um die gewohnten einteiligen Matten, wie wir sie im Westen kannten, sondern um 3-teilige, kurze Elemente, wie ich sie noch aus meiner Kindheit in den 50er Jahre kannte. Es stellte sich heraus, dass es in der DDR keine einteiligen Matratzen gab, sondern nur vorsintflutliche Dreiteiler.
Einige Monate später konnte ich über halboffizielle Kanäle der brandenburgischen Kirche mehrere einteilige Matratzen in die DDR hinüberschmuggeln lassen, die dann, als wir unsere Veranstaltungen regelmäßiger ausführten, für die Körperarbeit zur Verfügung standen.
Ich fühlte mich beeindruckt vom pragmatischen Improvisationstalent der Teilnehmer, eine Qualität, die mich auch später stets aufs Neue faszinierte, wenn ich in der DDR weilte. Mein erster Workshop konnte auf diese Weise zu einem gemeinsamen Erfolgserlebnis erwachsen und dazu beitragen, das Interesse an Reichianischer Körperarbeit in der DDR zum Leben erwecken.
(Fortsetzung folgt)
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