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Von Hans-Joachim Maaz erfuhr ich manches über die Geschichte der Psychotherapie in der DDR. Dabei nahm ich mit Erstaunen zur Kenntnis, dass die alte psychoanalytische Tradition dort durchaus in larvierter Gestalt über all die Jahre weiterlebte, obwohl es sie offiziell nicht mehr gab oder geben durfte. Ich brachte Maaz damals auch mit Eva Reich zusammen, die an seiner Klinik Fortbildungen anbot.
Dr. Agathe Israel, bereits vor der Wende eine engagierte Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in der DDR, zeigte starkes Interesse an unserer frühkindlichen Arbeit. Für einige Jahre begleitete sie Eva Reich als Weggefährtin und Schülerin. Ich erinnere mich an leidenschaftliche Diskussionen, die wir damals über die seelischen Folgen der frühen Krippenerziehung in der DDR führten, die ein schwerwiegendes Tabu in der öffentlichen Diskussion des wiedervereinigten Deutschlands darstellten.
Die Methoden der Humanistischen Psychologie faszinierten einen Teil der professionellen Szene der DDR. Bereits damals spürte ich, dass diese Faszination auch darauf zurückging, dass jemand oder etwas aus dem Westen kam. Durch die geistige Repression der Diktatur fühlte man sich dort ausgehungert und isoliert, neigte dazu, mit einer gehörigen Portion idealisierender Übertragung auf alles zu reagieren, was aus dem Westen kam.
Um diesen Hunger zu stillen, boten wir neben den Selbsterfahrungs-Workshops auch immer wieder Vorträge im privaten, bisweilen auch offiziellen Rahmen, an. Meine damaligen Kollegen aus dem Ströme-Zentrum Heike Buhl, Herwig Geister und andere reisten regelmäßig nach Ostberlin, um dort Seminare, Workshops und Vorträge anzubieten. Das Interesse erwies sich als überwältigend, man hatte das Gefühl, die Menschen dort reagierten wie ein trockener Schwamm, der alles aufsog, was wir aus dem Westen mitbrachten.
Es gab in der DDR weder Literatur von noch über Wilhelm Reich noch über Körpertherapie. Reich gehörte zu den Autoren, die man nur im »Giftschrank« der wissenschaftlichen Bibliotheken aufbewahrte. Einzig bei ausgewiesenem Forschungs-Interesse ermöglichte man einem handverlesenen Kreis von regimetreuen Forschern den Zugang zu seinen Schriften.
Doch die findigen DDR-Bürger, wie in allen Diktaturen des Ostens, wussten sich zu helfen und erzeugten sog. Samisdat-Literatur. Ich hielt damals ehrfurchtsvoll einige dieser Werke, u. a. auch die Funktion des Orgasmus von Wilhelm Reich, als Samisdat wie ein Heiligtum in den Händen. Ich konnte mir als Westler kaum vorstellen, wie viel Leidenschaft, Engagement und Arbeit in einem solchen Buch steckte. Deshalb sei das Prozedere im Zeitalter der Digitalfotografie hier noch einmal referiert:
Zunächst fotografierte man jede einzelne Seite des Originals ab, bannte sie auf einen Schwarzweißfilm. Diesen entwickelte man zunächst in einer Dose, fixierte und trocknete ihn. Dann musste jedes einzelne Negativ unter einem sog. Belichter auf Fotopapier übertragen werden. Das Papier, in der Regel dick wie Pappe, entwickelte und fixierte man in verschiedenen chemischen Bädern, trocknete und glättete es. Den daraus entstandenen Stapel Fotos band man zu einem dicken Konvolut zusammen ... und als Ergebnis hielt man die vollständige Reproduktion eines – verbotenen – Buches in den Händen.
Ein Verfahren mit Fotokopierern oder Matritzenabzugsgeräten blieb den DDR-Bürgern verschlossen, solche Geräte, wo immer sie standen, kontrollierte man engmaschig. Aber der menschliche Geist und sein Wissensdurst finden ihren Weg. Wie viele Stunden Arbeit und welcher Aufwand sich damit verbanden, lässt sich nach meiner Schilderung erahnen.
(Fortsetzung folgt)
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