Donnerstag, 1. Oktober 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (39): Die sexuelle Leistungsgesellschaft


Es wäre allerdings verwunderlich, wenn der Bereich der sexuellen Intimität abgekoppelt wäre von einer gesellschaftlichen Realität, die den Menschen über viele Generationen zum homo faber formte. Die Messbarkeit seiner Arbeitsleistung und die Leistung selbst erwuchsen zum globalen gesellschaftlichen Wertmesser.

Die Orientierung an der perfekten Mechanik der Maschinen entpuppte sich darüber hinaus als Ideal des Menschen und eines perfekten menschlichen Funktionierens, das auf viele Lebensbereiche – gewollt oder ungewollt – übertragen wird. Perfekt zu sein oder etwas als perfekt bezeichnen zu können, das sind die Ideale, denen man Lemming artig neigt hinterherzurennen.

Messbarkeit, Leistung und Perfektionismus spielen in der Identität des modernen Menschen deshalb nicht zufällig eine dominierende Rolle. In ihnen spiegelt sich die Basis der Wertschätzung, die der moderne Mensch sich selbst und anderen Menschen schenkt: Ein Mensch, der viel und erfolgreich arbeitet, der viel leistet, viel verkauft usw., dessen Bankkonto große Zahlen aufweist, ein solcher Mensch ist ein bewunderter Mensch, unabhängig davon, was seine Tätigkeit ist. Stets geht es darum, das schnellste oder teuerste oder neueste oder älteste oder hellste oder dunkelste was auch immer zu haben, zu tun, zu machen, stets quantifizierend, um zu vergleichen: Um damit seinen Selbst-Wert oder den Wert in den fiktiven Augen des anderen zu definieren.

Wer hat so etwas nötig? Jemand, der nicht weiß, wer er in Wahrheit ist?

Die Abstraktion der Zahl, mit Vorliebe gespiegelt im Maßstab des Geldes, die überall präsenten Quantifizierungen wirken wie Beschwörungsformeln überall dort, wo der Kontakt und die intuitiven Fähigkeiten des Menschen verkümmert sind. Die Penislänge, die Körbchengröße, die Zahl der Orgasmen pro Woche, pro Tag oder was auch immer, alles braucht seine Zahl, die Sicherheit suggeriert, wo Unsicherheit herrscht. Das gilt besonders bei jungen Menschen.

Liebe und Sexualität sind von diesem Phänomen am deutlichsten geprägt, wie die Qual und das Scheitern im Liebesleben, das damit verbundene seelische und sexuelle Elend der Männer und Frauen und nicht zuletzt die Trennungs- und Scheidungsraten zeigen. Da helfen auch keine Beschwörungsformeln vom Olymp Hollywood, die gebetmühlenartig der romantischen Liebe und ihren Glückversprechen in immer neuen Varianten propagieren.

Die mehr oder weniger stark eingeschränkte Unfähigkeit des modernen Menschen zur Liebe ist eine Tatsache. Eine Tatsache, die gerne tabuisiert, verleugnet oder ignoriert wird. Weil diese Wahrheit zu schmerzhaft ist?

(Fortsetzung folgt)