Montag, 31. August 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (32): Wie aus Liebe Hass wird ...


Die Stimme des Herzens, die Stimme des inneren Kindes und die Stimme des Körpers werden, so wie wir ihnen im „normalen“ erwachsenen Menschen begegnen, nicht stets als eine Stimme des Hellen und Erhellenden, der inneren oder höheren Wahrheit wahrgenommen.

Im Laufe der Entwicklung zum Erwachsenen verändern, verzerren sich diese Stimmen in der Selbstwahrnehmung. Sie mutieren zu dunklen, bisweilen hässlichen Anteilen der Persönlichkeit. Diese dunklen, ja sozial diskriminierten „Misstöne“ (Destruktivität, Neid, Hass, Verachtung etc.) nehmen in dem Maße zu, wie der Lebensraum der lichten Seiten eingeschränkt und blockiert wird. 

Der „biologische Kern“ wird so durch das, was Reich als „sekundäre Schicht“ bezeichnete, überlagert:
„Die oberflächliche Schichte der sozialen Kooperation ist ohne Kontakt mit dem tiefen biologischen Kern der Person; sie ist getragen von einer zweiten, einer mittleren Charakterschichte, die sich durchwegs aus grausamen, sadistischen, sexuell lüsternen, raubgierigen und neidischen Impulsen zusammensetzt. Sie stellt das Freudsche Unbewusste« oder »Verdrängte« dar, die Summe aller sogenannten »sekundären Triebe« in der Sprache der Sexualökonomie.” [Reich 1981a, S. 11]

Damit legt sich Dunkles, legen sich Schatten über die Stimme des Herzens: es entstehen Misstrauen (statt Vertrauen), Hass (statt Liebe), Scham (statt natürliche Anmut), Verachtung (statt Respekt) etc.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass das die Stimme des Herzens in seiner ursprünglichen Gestalt ein für alle Mal verloren oder verstummt ist – sie kann nur mehr oder weniger übertönt werden durch den „Lärm“ der von Reich beschriebenen „sekundären Schicht“. Die Impulse aus dem Kern werden durch die sekundäre Schicht verzerrt und dringen so in verzerrter Weise an die Oberfläche.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 29. August 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (31)

DAS KÖRPER-SEELE-MODELL DER SEINSORIENTIERTEN KÖRPERTHERAPIE

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet nicht ... sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer  auf, so doch die Weissagungen aufhören werden ... und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk.
(1. Korinther , 13)

DIE  STIMME  DES HERZENS

Das Herz ist also nicht nur der Kern, sondern auch der Motor der Entwicklung und des (gegenwärtigen) Seins des Menschen.

Ist das Herz nicht vergleichbar mit dem Göttlichen in der Natur des Menschen, seiner spirituellen Essenz? Findet sich in seinem Herzen nicht sein tiefster Wesenskern, aus dem sich Körper und Seele differenzieren, in den sie im Augenblick des Todes zurückkehren?

Dieser tiefe Wesenskern, der gleichzeitig das Entwicklungspotential des Menschen markiert, wurde von Tiefenpsychologen wie Kohut als „Kernselbst“, von Balint als „primäre Liebe“, von humanistischen Psychologen wie Rogers als das „Gute im Menschen“ und von Reich als „biologischer Kern“ beschrieben.
Dieser ist nach unseren bisherigen Erkenntnissen nichts anderes als das Herz, das von der seinsorientierten Körpertherapie als Herzcode in seinen personalen und transpersonalen Dimensionen, charakterlich als Beziehung zur Stimme des Herzens, definiert wird.

Die Stimme des Herzens ist gleichermaßen die psychische Repräsentation des Energieflusses vom Herzen zur Peripherie des körperlichen Zellsystems einschließlich des Gehirns. Die warmen oder heißen Strömungsempfindungen, jenes Dehnen und Sehnen in der Brust, die Enge („angusta“ = Angst) oder Weite sind Beispiele für die energetischen Dimensionen des lebendigen Herzens und gleichzeitig fundamentale Informationen im psycho-physischen System Mensch.

So wie das Herz rein körperlich durch eine Panzerung des Brustsegments eng gemacht werden kann, so mag die Stimme des Herzens verzerrt oder sogar in tiefer Sprachlosigkeit in der Wahrnehmung des Bewusstseins verstummt sein.

Ist diese Stimme stumm und leer geworden, können wir dies als „Herzlosigkeit“ bezeichnen. Denn ein stummes Herz hört auch nicht mehr die Sprache anderer Herzens und wäre in diesem Sinne taubstumm. Ist die Stimme des Herzens nur verzerrt oder eingeschränkt wahrnehmbar, dann ist damit die Normalität eines Selbstbeziehungsdefizits (zur Definition siehe die einleitenden Kapitel) beschrieben.

(Fortsetzung folgt)

Sonntag, 23. August 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (30)



Die Unfähigkeit des Säuglings, sich zu entspannen, zur Ruhe zu kommen und Entregungsprozesse (die ich als das Gegenteil der Erregungsprozesse ansehe) zuzulassen, tritt in extremer Form in Verbindung mit dem sog. Schreibabysyndrom auf. Hier zeigt sich das Baby in höchstem Maße alarmiert, was u.a. mit lang anhaltenden Schreianfällen, chronischen Schlaf- und Einschlafstörungen, organismischen Blockierungen und Kontaktstörungen einhergeht.

Bei diesem Syndrom zeigt sich das Phänomen, dass der Körper, welcher nicht ausreichend Halt erfährt, sich zwangsläufig selbst Halt in Gestalt von akuten Blockierungen auf der energetischen und muskulären Ebene verschafft. Dies basiert auf der Tatsache, dass die Mutter über die inneren Ressourcen verfügt, um ihrem Kind notwendigen Halt und Ruhe anzubieten, denn sie leidet unter innerer und äußerer Haltlosigkeit. [Diederichs 1999]

Die organismische Botschaft, die Konditionierung, die hier vermittelt wird, könnte aus der Sicht des Babys (und in der Sprache der Erwachsen) lauten: „Das Bedürfnis nach tiefer Entspannung ist eine einsame Erfahrung, die niemand mit mir teilt, am wenigsten meine Mutter. In dieser Einsamkeit verliere ich die Verbindung zu ihr und zu allem um mich herum. Dazu wirken dauernde Störungen, Geräusche, Hektik, Unruhe und machen es mir schwer, loszulassen, mich zu entspannen, in diese wohltuenden tranceartigen Zustände zu gehen.“

Derartige Prägungen auf der Seinsebene werden als resonanz-, respekt- und (ver)bindungungslos erfahren. Sie werden als falsch erlebt.

Der Herzcode der Mutter zeigt sich von den eigenen Selbstbeziehungsdefiziten geprägt. Diese werden so an die nächste Generation weitergegeben. So entsteht ein Phänomen, das wir (kulturelle) Tradition nennen, eine Tradition, die sich auf allen Stufenleitern der Gesellschaft widerspiegelt und, vereinfacht gesagt, eine Quelle in der tiefen Entspannungsunfähigkeit und Ignoranz gegenüber den Seinsaspekten des Lebens hat. Die subtile Botschaft, die bereits dem jüngsten menschlichen Lebewesen in unserer Kultur vermittelt wird, lautet: „Du bist nur etwas, wenn du machst, handelst, agierst, du bist nichts, wenn du einfach nur so da bist.“

Was zunächst auf den archaischen Stufen der Entwicklung als rein organismische Information existiert, wird später zur durchgängigen charakterbildenden Botschaft: Liebe wird gewährt aufgrund von Erwartungserfüllung, einem von der Lebensumwelt formulierten Anspruch, aber nicht um des Seins, der Existenz  als solcher willen. Diese charakterbildende Liebe will erarbeitet sein. Es gibt keine Liebe auf der Stufe des „Einfach-nur-Da-Seins“, es gibt keine Liebe auf der Seinsebene.
Was ist diese charakterbildende Liebe für eine Liebe? Ist sie eine Liebe, die mir ermöglicht, mich selbst anzunehmen und zu lieben, wie ich bin, den anderen anzunehmen und zu lieben, wie er ist?

(Fortsetzung folgt)

Montag, 17. August 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (29)


EINFLÜSSE NACH DER GEBURT

Die Herzcode-Informationen anderer Menschen und die Lebensenergie können wir als ubiquitär, d.h. als überall präsent, betrachten. Es findet ein ständiger, allerdings unbewusster Austausch  von Energie- und Herzcode Informationen zwischen allen Lebewesen statt. Auf diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass die Herzcode-informationen der unmittelbaren Lebensumwelt und der Familiengeschichte der werdenden Mutter auf Verlauf und Prägungen der Schwangerschaft Einfluss nehmen.

Eine Feststellung, die jedem, der auf diesem Feld arbeitet, durchaus vertraut ist. Auch für den Prozess der Persönlichkeitsbildung des Kindes wirken diese Einflüsse, die gesamte charakteranalytische Lehre in der Tradition Reichs gibt hierzu zahlreiche Hinweise. [Hierzu: Johnson 1990, Lowen 1992, Kurtz 1985, Baker 1980]

Darüber hinaus finden wir kulturspezifische und gesellschaftlich-soziale Faktoren zu tun, die typischerweise in der jeweiligen Generation auf alle Entwicklungsprozesse Einfluss nehmen und  sehr häufig historischen Veränderungen im Arbeitsprozess folgen.

Es existieren viele Faktoren, die in unserer Kultur auf Schwangerschaft und frühkindliche Entwicklung Einfluss nehmen und insbesondere für die deutliche Ausbreitung von Selbstbeziehungsdefiziten verantwortlich sind. Einer, der unser besonderes Augenmerk verdient, ist die wachsende Unfähigkeit des mütterlichen und familiären Systems zur Präsenz auf der Seinsebene.
Symptomatisch dafür ist eine Einschränkung der Fähigkeit zu lustvoller Entspannung, was eine blockierte Resonanzfähigkeit auf tiefer biologischer Ebene umfasst. Wir wissen heute, dass sowohl Foetus als auch Neugeborenes bis zum 5. Lebensmonat den größten Teil ihres Wachzustandes in einem tranceartigen Zustand verbringen.

Hieran schließt sich eine entscheidende Frage an: Was könnte es bewirken, wenn sowohl die Schwangere als auch die stillende Mutter aufgrund durchgängiger innerer Unruhe nicht in der Lage ist, eine energetische Verbindung und Resonanz zum Fötus oder Neugeborenen aufzubauen? Wenn eine Mutter große Schwierigkeiten hat, ihrem Kind auf der Ebene eines „Einfach-nur-Da-Seins“ den biologisch erwarteten Halt zu bieten ... ohne in die Unruhe des Machens oder im Bewusstsein antizipierten Machens zu verfallen?

Was könnte es bewirken, wenn der Foetus oder das Neugeborene jedes Mal, wenn sie in den Zustand seliger Trance zu gleiten versuchen, durch eine unruhige oder hektische Lebensumwelt daran gehindert wird?

Naheliegend ist, dass, wenn wir einmal vom postnatalen Leben ausgehen, das Baby jedesmal aus diesen durchaus lustvollen Trance-Zuständen herausgerissen wird bzw. sie gar nicht erst erfahren kann.

Die aus seiner „organismischen Wahrheit“ stammenden Impulse nach Tiefenentspannung werden von der Lebensumwelt blockiert, das Baby bleibt allein, unverbunden, ohne Resonanz, in diesen Erfahrungen. Es gibt kein Echo, keine Einstimmung, keinen Kontakt.

Das Baby mag dagegen protestieren, alarmiert sein, möglicherweise wütend und schreiend; am Ende jedoch wird es die organismische Wahrheit in sich abspalten müssen oder, je nach Intensität dieser Erfahrungen, verdrängen, resignieren und als ungestillte Sehnsucht nach Verschmelzung in sich zu vergraben wissen. (Ich spreche hierbei nicht von punktuellen, sondern von durchgängigen, strukturellen und strukturgebenden Erfahrungen.)

(Fortsetzung folgt)