Sonntag, 23. August 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (30)



Die Unfähigkeit des Säuglings, sich zu entspannen, zur Ruhe zu kommen und Entregungsprozesse (die ich als das Gegenteil der Erregungsprozesse ansehe) zuzulassen, tritt in extremer Form in Verbindung mit dem sog. Schreibabysyndrom auf. Hier zeigt sich das Baby in höchstem Maße alarmiert, was u.a. mit lang anhaltenden Schreianfällen, chronischen Schlaf- und Einschlafstörungen, organismischen Blockierungen und Kontaktstörungen einhergeht.

Bei diesem Syndrom zeigt sich das Phänomen, dass der Körper, welcher nicht ausreichend Halt erfährt, sich zwangsläufig selbst Halt in Gestalt von akuten Blockierungen auf der energetischen und muskulären Ebene verschafft. Dies basiert auf der Tatsache, dass die Mutter über die inneren Ressourcen verfügt, um ihrem Kind notwendigen Halt und Ruhe anzubieten, denn sie leidet unter innerer und äußerer Haltlosigkeit. [Diederichs 1999]

Die organismische Botschaft, die Konditionierung, die hier vermittelt wird, könnte aus der Sicht des Babys (und in der Sprache der Erwachsen) lauten: „Das Bedürfnis nach tiefer Entspannung ist eine einsame Erfahrung, die niemand mit mir teilt, am wenigsten meine Mutter. In dieser Einsamkeit verliere ich die Verbindung zu ihr und zu allem um mich herum. Dazu wirken dauernde Störungen, Geräusche, Hektik, Unruhe und machen es mir schwer, loszulassen, mich zu entspannen, in diese wohltuenden tranceartigen Zustände zu gehen.“

Derartige Prägungen auf der Seinsebene werden als resonanz-, respekt- und (ver)bindungungslos erfahren. Sie werden als falsch erlebt.

Der Herzcode der Mutter zeigt sich von den eigenen Selbstbeziehungsdefiziten geprägt. Diese werden so an die nächste Generation weitergegeben. So entsteht ein Phänomen, das wir (kulturelle) Tradition nennen, eine Tradition, die sich auf allen Stufenleitern der Gesellschaft widerspiegelt und, vereinfacht gesagt, eine Quelle in der tiefen Entspannungsunfähigkeit und Ignoranz gegenüber den Seinsaspekten des Lebens hat. Die subtile Botschaft, die bereits dem jüngsten menschlichen Lebewesen in unserer Kultur vermittelt wird, lautet: „Du bist nur etwas, wenn du machst, handelst, agierst, du bist nichts, wenn du einfach nur so da bist.“

Was zunächst auf den archaischen Stufen der Entwicklung als rein organismische Information existiert, wird später zur durchgängigen charakterbildenden Botschaft: Liebe wird gewährt aufgrund von Erwartungserfüllung, einem von der Lebensumwelt formulierten Anspruch, aber nicht um des Seins, der Existenz  als solcher willen. Diese charakterbildende Liebe will erarbeitet sein. Es gibt keine Liebe auf der Stufe des „Einfach-nur-Da-Seins“, es gibt keine Liebe auf der Seinsebene.
Was ist diese charakterbildende Liebe für eine Liebe? Ist sie eine Liebe, die mir ermöglicht, mich selbst anzunehmen und zu lieben, wie ich bin, den anderen anzunehmen und zu lieben, wie er ist?

(Fortsetzung folgt)

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