Samstag, 17. März 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (234): Warum liebt ein Kind seine Eltern?

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Es gab Fragen, die erschienen so banal, dass man sie gar nicht erst stellte. Ein Beispiel fand sich in dem Phänomen der Liebe zwischen Eltern und Kindern.

Es erstaunte, dass fast jedes kleine Kind Vater und Mutter in einem Maße liebte, sie idealisierte und verklärte, das deutlich über eine Resonanz auf die Elternliebe hinausging. Dies blieb selbst dann zu beobachten, wenn die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind nicht gleichermaßen Liebe, Zuwendung und Achtsamkeit, sondern Egoismus, Abweisung und Missachtung prägte. Ein eklatanter Unterschied zwischen der Liebesfähigkeit von Eltern und Kindern schien wenig zu ändern an diesem fast naturgesetzlichen Phänomen.

Es erweckte den Eindruck eines nahezu unbegrenzten »Liebesvorschusses«, den die Kleinen Mama und Papa schenkten. Wirkten hier noch umfassendere Faktoren als eine Bindungsenergie, die sich nährte aus dem Schutzbedürfnis der Babys und Kleinkinder? Arbeitete hier eine Kraft, eine Lebenskraft, eine Energie, die über die Biologie einer Libido im Sinne Freuds und Reichs hinauswies?

Meine wachsenden Erfahrungen in der transformativen Arbeit verdeutlichlichten mehr und mehr: Selbst neurotische oder schwerere Störungen auf Seiten der Eltern verhinderten jenen »Liebesvorschuss« des Kindes nicht. Ein Kind wendeten sich nicht umgehend schaudernd ab, selbst andauernde seelische und körperliche Gewalt erstickten die kindliche Liebe nicht, formten sie jedoch maßgeblich.

Es versetzte mich in Erstaunen, unter welchen widrigen familiären Verhältnissen manche Kinder ihre innere Integrität bewahren konnten. Während andererseits Menschen bei scheinbar günstigeren Ausgangsbedingungen psychische Verwerfungen aufwiesen, deren Ausmaß verblüffte. Es stellte sich die Frage, ob neben tiefenpsychologischen Einflussfaktoren noch weitere Katalysatoren existierten, welche dafür verantwortlich zeichnen. Bildet allein die Erfahrungsgeschichte den Boden, in dem eine relative seelische Gesundheit im Erwachsenenalter wurzelt? Was definiert sie? Ich begann zu ahnen, dass die Liebesfähigkeit des Menschen damit in Zusammenhang steht. Aber auf welche Weise?

Das innere Kind im Erwachsenen suchte ein Leben lang jene Resonanz von Liebe, die es in der Beziehung zu den Eltern am Ende nicht fand. Es blieb ein Kreis offen, ein Bereich nicht beantworteter und nicht gelebter Liebe. Dieser bildete das Reservoir und den Ausgangspunkt aller Übertragungsprozesse.

Da sie nicht durch reale Bindungserfahrungen geerdet waren, vermischten sie sich mit den – kompensatorischen – Grandiositätsphantasien des narzisstischen Egos. Es steckte eine gehörige Portion Verzweiflung in der Grenzenlosigkeit solcher Vorstellungswelten, ein Hunger, eine Gier, die sich ins Unermessliche und gleichzeitig Irrationale steigern konnte.

Das Ego glich auf diese Weise die erfahrenen Defizite von Liebe mithilfe einer Persönlichkeitsstruktur aus, die unersättlich zu gieren schien nach der Anerkennung und Bestätigung durch andere, die gleichzeitig ein hohes Maß an bindungsloser und realitätsverleugnender Ich-Bezogenheit aufwies. Entkoppelt von der Realität, mussten sich sich diese Anstrengungen als Abstraktionen erweisen.

 »Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören« bemerkte Hegel einmal in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Idealen. Es deutete auf ein markantes Merkmal nicht nur der vorherrschenden, vom narzisstischen Ego dominierten sozialen Prozesse, sondern unserer gesamten Kultur. So spiegelte sich im Gesellschaftlichen vieles von dem, was in den gemeinsamen Elementen der vorherrschenden Persönlichkeitsstrukturen angelegt war.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 10. März 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (233): Die Höllenangst vor der Liebe

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Die Maske herrschte, nicht die Wahrheit. Galt das auch in der Therapie? Fanden sich hier die gleichen Mechanismen wir wie im normalen Leben? Was galt es auf diese Weise, mit diesem Aufwand, zu schützen, zu kontrollieren?

Ging es um etwas Tieferes, das Selbst, den Kern der Persönlichkeit, jenen inneren Raum jenseits der Ich-Strukturen? Was aber kennzeichnete das Wesen dieses Selbst? Der »biologische Kern«, von dem Reich sprach, firmierte als eine Art Grundausstattung des Menschen, betrachtet man es als energetisches System. Damit grenzte er sich vom Bauchladen des Freudschen Unbewussten ab, in das alles hinein passte, was nicht dem Bewussten entsprach. Oder präsentierte sich das Selbst als jene unveränderliche, Inkarnationen überdauernde Wesens-Instanz der Persönlichkeit (»Atman«), wie Hindus glauben?

Der Begriff »organismische Wahrheit«, den ich in meinen Veröffentlichungen verwendete, verknüpfte die biologistischen Äußerungen Reichs mit der Instanz des Spirituellen, Physik mit Metaphysik. Gleichzeitig nahm ich ein Unbehagen wahr, denn all diese »Selbst-Konzepte« muteten etwas abstrakt an. Gab es einfachere Antworten?

In allen Systemen, den westlich-psychologischen und den östlich-spirituellen, tauchten zwei Begriffe immer wieder auf: Liebe und Herz.

Zielten all die Bemühungen der narzisstischen Ich- und Weltkonstruktionen darauf, das eigene Herz, die Quelle seiner liebenden Natur zu schützen? Sollte es so einfach sein?

Das narzisstische Gieren nach dem bewundernden Blick der Anderen, repräsentierte dies eine subtile Form des Bedürfnisses nach einem »Sich-Lieben-Lassen«, ohne dabei selbst zu lieben? Steckte hinter dieser Gier nach Anerkennung ein dramatisches Defizit, ein existentieller Hunger und Durst nach Liebe?

Spürte man aufmerksam hinter die Fassade der Worte und Verhaltensweisen, trafen diese Muster auf jeden Menschen mehr oder weniger zu. Menschen sehnen sich nach Liebe. Gleichzeitig verspüren sie eine Höllenangst davor, ihr Herz zu öffnen, bedingungslos und authentisch und aus dem Herzen heraus zu sein, ohne Netz und doppelten Boden Liebe zu leben. Abgesehen von kurzen Phasen des Verliebtseins, das oft regressive und realitätsverleugnende Eigenschaften aufweist. Doch wie hing dies zusammen?

Bezogen auf die psychoanalytische Charakterlehre und Charakteranalyse Reichs skizzierte ich erste Entwürfe, in denen ich den Kern des Charakters nicht mehr allein auf die Prägungen der psychosexuellen Entwicklung zurückführte, sondern auf die Erscheinungsformen dessen, wie ein Kind lernt, seine Liebe zurückzuhalten und zu verformen, sein Herz zu schützen. Der Schizoide flüchtet sich beispielsweise in die Paradiesvorstellungen seines Intellekts, der Anale in Zwangsrituale, der Phalliker in dominante Grandiosität, der Hysteriker in die Flucht vor emotionaler Nähe usw.

Bald betrachtete ich narzisstische Verhaltensmuster als ubiquitäres Phänomen, das in deutlichem Zusammenhang mit den menschlichen Bedürfnissen nach Halt, Bindung und Liebe stand. All das wurde bereits in der frühesten Entwicklung geformt und geprägt.

(Fortsetzung folgt)