Mittwoch, 20. September 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (198): Meine Lehrjahre bei Michael Smith, Teil 2

Foto: pixabay

Michael verfügte über einen beeindruckenden Umgang mit der Sprache. Sein Englisch erwies sich als einfach, bildstark und klar. Man konnte im stundenlang mit Faszination zuhören, allerdings hat er selten lange Vorträge gehalten, außer in den wenigen Interviews, die er gab.

In Michael Adern floß Indianerblut, er erzählte davon, dass er in der Gemeinschaft eines Reservats aufwuchs als Teil eines Stammes. Beiläufig erwähnte er, dass dies als eine schöne und prägende Phase seines Lebens empfand. Ich vermute, seine klare, bildhafte Sprache speiste sich aus dieser Quelle. Seine gestalttherapeutische Ausbildung bei »den Polsters«(  Miriam Polster und Erving Polster galten damals als exponierte Nachfolger des verstorbenen Fritz Perls. Ihr Buch »Gestalttherapie – Theorie und Praxis der integrativen Gestalttherapie« firmiert auch heute noch als ein Grundlagenwerk der Gestalttherapie) konnte man zwar in verbalen Interventionen erkennen, aber seine körpertherapeutische Arbeit zeigte sich deutlich an Reichs Orgontherapie orientiert. Michael Smiths eigenem Lehrer für die Reichianische Körpertherapie, Al Bauman, sollte ich im Laufe meiner Ausbildungen noch begegnen.

In der Zeit, als ich ihn kennenlernte, engagierte sich Michael auch als Gestalttherapeut an verschiedenen Ausbildungs-Instituten. Seine körper- und gestalttherapeutischen Trainingsgruppen liefen parallel. Während meiner eigenen Ausbildungszeit wechselte er vollständig zur Körpertherapie, denn dorthin zog ihn, wie er einmal erklärte, sein Herz.

Schließlich rief er sein eigenes neo-reichianisches Trainingsprogramm ins Leben. Dies nannte er »Skan«. Skan, ein Begriff aus der Sprache der Prärieindianer, bedeutet: »Das, was (sich) bewegt«. Skan trat als ein Wort für Lebensenergie der amerikanischen Ureinwohner auf die Bühne.

Michael trug eine soziale Vision in seinem Herzen: Die Gründung eines reichianischen Stammes, in der Menschen sich in Authentizität und liebevollem Respekt miteinander verbanden. Michael hatte, ebenso wie Al Baumann, lange Jahre in Communities gelebt und ihm schwebte ein internationales Netzwerk von Lebens- und Arbeitsgemeinschaften auf Grundlage lebensenergetischer Prozesse vor. Sein früher Tod sollte die Umsetzung dieser Idee vereiteln. Der Visionär Michael Smith sah in Skan mehr als eine neo-reichianische Schule.

Die Pflanze »Skan« wuchs. Trainingsgruppen in Hamburg, Wien, Bochum, Kassel und im Frankfurter Raum entstanden, Michael Smith und Skan waren innerhalb kürzester Zeit in Insiderkreisen bekannt und zeigen entsprechenden Zulauf.

(Fortsetzung folgt)

Sonntag, 17. September 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (197): Meine Lehrjahre bei Michael Smith, Teil 1

Michael Smith (1937 – 1989)
Nicht nur ich selbst zeigte mich angetan und überzeugt von dem Amerikaner, sondern die anderen Teilnehmer der Gruppe ebenso. Michael Smith entwickelte sich zu meinem wirkungsreichsten körpertherapeutischen Lehrer.

Das Basistraining, das ich zunächst absolvierte, begann 1981 und dauerte 3 Jahre. Dazu traten Einzelsitzungen, die ich bei ihm nahm, wenn er in Berlin weilte. Michael kam einmal im Monat für ein paar Tage in die Hauptstadt. Sein Lebensmittelpunkt wurde Hamburg, wo er allmählich einen großen Kreis von Schülern um sich scharte.

Den Schwerpunkt seines Trainings bildeten Einzelsitzungen, die er vor der Gruppe abhielt. Anschließend erläuterte er sein diagnostisches und therapeutisches Vorgehen und beantwortete die Fragen, die sich uns stellten. Wir saßen fasziniert dabei, schrieben eifrig Notizen in die Notizbücher und staunten Bauklötze.

Klar, wir wollten das Geheimnis seiner Magie ergründen, die sich da eindrücklich zeigte. Michael arbeitete völlig anders, als ich es jemals gesehen habe und wieder sah. Er saß einfach da mit seinem Buddha-Bauch, intervenierte hier und da mit einer Berührung, ein paar wenigen Worten (die tief berührten), einem Blick, einem Lächeln. Alles andere geschah wie von selbst. Tiefe Regressionen, erschütternde Erinnerungen an Traumata der Kindheit, heftigste emotionale Ausbrüche, vieles trat an die Oberfläche, ohne dass der Zusehende eine Technik oder eine logisch nachvollziehbare Interventionsstrategie erkennen konnte. Er »machte« nichts oder nur wenig, und es geschah so viel. Wie passte das zusammen? Was war das Geheimnis?

An der Oberfläche glaubte ich zu verstehen, dass er stark von dem therapeutischen Vorgehen in Reichs letzter Tätigkeitsphase geprägt war, als für Reich nicht mehr die Arbeit mit dem Charakter und den blockierten Emotionen, sondern allein die Verlebendigung des Energieflusses im Vordergrund stand. Ich verstand, dass Michaels eigene Persönlichkeit, wie das bei jedem Therapeuten der Fall sein dürfte, einen wichtigen Anteil an seinem Vorgehen ausmachte.

Er selbst beschrieb seine Arbeit mit folgendem Bild: »Stell dir einen stillen, bewegungslosen Teich vor. Einen Teich voller unbewegter Lebensenergie. Ich mache nichts anderes, als ein Steinchen hinein zu werfen. Was passiert? Es entstehen kleine Wellen, die sich immer weiter ausbreiten und schließlich das Ufer erreichen. Plötzlich ist Bewegung, ist Bewegung überall, im ganzen Teich. Das ist alles.«

Erst viele Jahre später verstand ich auf einer tieferen Ebene, was das Geheimnis ausmachte: Michaels energetische Präsenz und seine Fähigkeit, die Gefühle eines anderen Menschen in sich »anklingen« zu lassen, gehörte ebenso dazu wie die Zuwendung, das In-Beziehung-Treten vom Herzen her, jenseits jeder Attitüde des narzisstischen Egos.

Michael Smith verdanke ich es, dass ich das das Prinzip des »Gefühlsanklangs« (siehe Buch II) und der Herzenergie entdecken konnte, von dem noch die Rede sein wird. Von Michael lernte ich, was Kontakt im energetischen Sinne bedeutet, wie wesentlich er in der körpertherapeutischen Arbeit ist: Kontakt spiegelt Liebe, lebendige Herzenergie, Bindung und Verbindung. Wo sie fließen, zusammenfließen, geschieht Transformation.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 9. September 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (196): Meine erste Begegnung mit Michael Smith

Michael Smith (1937 – 1989)
Als ich den Raum zu unserem Kennenlernworkshop betrat, saß dort ein potentieller Zwillingsbruder des jungen Nick Nolte mit Buddha-Bauch. Ich hatte mir einen echten Reichianischen Therapeuten, zumindest, was seine äußere Gestalt anging, immer als eine Art Adonis vorgestellt, voller energetischer Spannkraft und erotischer Vitalität. Aber mit einem Wohlstands-Bauch?

Mit jeder Minute, die verstrich, verblasste dieser Eindruck. Es schwante mir, dass Michael über eine Präsenz verfügte, die nicht nur mich tief berührte. Das, was man als Charisma oder Ausstrahlung bezeichnet, davon verfügte Michael Smith reichlich. Seine Augen wirkten warm und hellwach, zeigten offenherziges, authentisches Interesse an anderen Menschen.

Er konnte auf magische Art Herzen berühren. Dies veranschaulichte Michael eindrucksvoll, wenn er mit Gruppenteilnehmern auf der »Matte«(*Im Gegensatz zur klassischen Psychoanalyse, in der die Couch den Ort repräsentiert, an dem »die Arbeit« stattfindet, steht im Zentrum der Reichianischen Körperarbeit eine Schaumstoff-Matratze, die auf dem Boden liegt: die »Matte«.*) arbeitete. Ich glaube, ich meldete mich als erster Kandidat für eine Session. Zwar hatte ich zu diesem Zeitpunkt durch die erwähnte Einzeltherapie und meine Teilnahme an Workshops und Selbsthilfegruppen bereits ein wenig Erfahrung mit Körpertherapie. Das, was ich mit Michael in dieser ersten Sitzung erlebte, stellte jedoch alles in den Schatten, was ich bis dahin kennengelernt hatte. Mein kopflastiges Verständnis dessen, was in der Körpertherapie passieren sollte, kam innerhalb weniger Minuten vollständig ins Wanken.

Es öffneten sich Kanäle, die mich in Verbindung brachten mit vergessenen ekstatischen Gefühlen, die plötzlich aus dem Nebel meiner Kindheit auftauchten. Die allumfassende Erotik, die ich verspürte, wenn ich als Kind im Wald spielte, erwachte zu neuem Leben: Bäume, Pflanzen, die gesamte Natur, Himmel und Erde erscheinen mir als pulsierende Lebewesen, mit denen ich mich Verbunden fühlte, die mich erhitzten, entgrenzten. Alles lebte, alles pulsiere vor Energie, voll süßer Erregung.

Ähnlich erging es mir nach dieser ersten Session mit Michael Smith, einer tiefgehenden körpertherapeutischen Erfahrung. Ich weiß nicht mehr, was Michael mit mir angestellt hat. Ich weiß auch nicht, welche Anteile idealisierender Übertragung an dem Ergebnis mitwirkten.

Ich erinnere mich allerdings gut an die Nacht nach dieser Session. Sie zeigte sich voller Erotik und ekstatischer Gefühle, verzückt betrachtete ich die Schönheit der Pflanzen im Park, des Nachthimmels auf dem Weg nach Hause. Und dann beglückte mich noch das Geschenk einer wunderschönen Liebesnacht mit einer Frau, in die ich mich auf einer Party im Haus verliebte. Das Leben zeigte sich verzaubert, wiederverzaubert, Glücksgefühle durchströmten mich wie Wellen, die nicht enden wollten. Es öffnete sich in dieser ersten Begegnung mit Michael das Tor zu einer körperseelischen Präsenz, die, wenn sie auch ein paar Tage später verblasste, als Geschenk, als inneres Gefühlsbild gegenwärtig blieb.

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 6. September 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (195): Das Scheitern des körpertherapeutischen Selbsthilfe-Modells

Foto: vkd
Nach einiger Zeit wuchs die Einsicht, dass der bisher beschrittene Weg einer Selbsthilfe-Therapie nicht zum Ziel führte. Im Grunde handelte es sich zwar um eine politisch korrekte Idee, aber eben auch um eine realitätsferne Kopfgeburt. In der Praxis überwog bald das Beziehungschaos die befreienden Erfahrungen der Körperübungen. Übertragungsinhalte lösten auf der Peer-Ebene nur Verwirrungen aus, Rivalitäten und Machtspiele des Egos bremsten das körpertherapeutische Selbsthilfekonzept dramatisch aus. In Wechselwirkung mit der Regressionen auslösenden Körperarbeit passte bald nichts mehr zusammen.

Eine andere Vorgehensweise musste her. Als Initiator und wesentlicher Teil dieser Selbsthilfebewegung firmierte die Redaktionsgruppe der Wilhelm-Reich-Zeitschrift »emotion«. Hier diskutierten wir die Frage, ob es nicht angebracht sei, sich selbst die originalen Methoden Wilhelm Reichs anzueignen, indem man sich entsprechend ausbilden ließ. Die einzigen bekannten Ausbildungsinstitute existierten damals in den USA, doch das stellte keine Option dar. Wie ließ sich das Problem lösen?

Der Zufall kam zur Hilfe. Eine junge Frau, frisch in die Redaktion eingestiegen, erzählte, dass sie kürzlich mehrere Wochen in Kalifornien an der Lomi-School (* Die Lomi-School war in jenen Tagen neben Esalen das bekannteste Zentrum der »Human Potential-Bewegung« in den USA, das auf seine Fahnen geschrieben hatte, eine Brücke zwischen westlicher Humanistischer Psychologie und den östlichen spirituellen Traditionen zu schaffen.*) verbracht und dort einen beeindruckenden Reich-Therapeuten kennengelernt hätte. Dieser plane, nach Europa überzusiedeln. Sein Name: Michael Smith.

Mithilfe unserer Vernetzungen innerhalb der Reich-Szene entwarfen wir in den nächsten Wochen und Monaten das ungewöhnliche Modell, qualifizierte Lehrer nach Berlin zu holen, statt in der Welt nach dem geeigneten Ausbildungsweg zu suchen. Aus einem großen Teil der Redaktionsmitglieder bildete sich eine Arbeitsgruppe, die auf das Ziel hinarbeitete, eine Ausbildung in Reichianischer Körpertherapie in Berlin auf die Beine zu stellen. Andere Interessenten aus unserem Umfeld traten hinzu, so dass bald eine feste Gruppe von ca. 15 Leuten existierte, die nur noch einen Trainer benötigte. So luden wir verschiedene Kandidaten nach Berlin ein, die als Ausbilder für Reichianische Körpertherapie infrage kamen.

Neben dem bereits genannten Michael Smith diskutierte man noch zwei andere Kandidaten: David Boadella und Ian Ratcliffe. Wir beschlossen, sie alle zu Kennenlernworkshops einzuladen, um danach zu entscheiden, wem die Ehre gebührte, unseren erlauchten Kreis Reich-Intellektueller zu einem »richtigen« Reichianischen Körpertherapeuten auszubilden.

(Fortsetzung folgt)