Samstag, 24. Februar 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (232): Die Maske herrscht, nicht die Wahrheit

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Ich beobachtete weiter, mich selbst und andere. In narzisstischen Verhaltensmustern zeigte sich ein augenfälliges Bedürfnis nach Anerkennung und Geliebtwerden. Selbst Fremden gegenüber und Menschen, zu denen keinerlei Beziehung bestand, ließ sich solches Gebaren beobachten.

Das ging soweit, dass das eigene Kind, der Freund oder Partner öffentlich beschämt oder beschimpft wurde, um gegenüber den anonymen Blicken Fremder zu bestehen. Hier zeigte sich nicht nur um ein situationsbedingtes Verhalten, sondern eine »Haltung«, die sich als »soziale Maske« (W. Reich) durch das Leben zog. Der Verrat, den jemand als Kind durch seine Eltern erlitten hatte, wiederholte sich so an denjenigen, denen man sich verbunden fühlte.

Das narzisstische Ego trat unbewusst als Racheengel des ungeliebtes inneren Kindes auf. Es traf nicht nur das eigenen Herz, sondern auch das Herz derjenigen, mit denen man in Liebe verbunden war. Zudem suchte es fatalerweise nach Antwort in der Außenwelt, statt in der Beziehung zu sich selbst. Die Strategie führt genauso wenig zur Liebe wie der bei manchen Menschen lebenslange Versuch, von den Eltern im Nachhinein die heilende Liebe zu erfahren, die man als Kind vermisste.

Bei denjenigen, die scheinbar auf gesellschaftliche Konventionen pfeifen, fand sich dieser stumme »Schrei nach Liebe«, nur bezog er sich nicht mehr auf die Gesellschaft, sondern auf die Subkultur, der man sich zurechnete und deren Bedeutung für die eigene Identität bis hin zum Fanatismus anwachsen konnte.
 
Ein weiteres Merkmal des narzisstischen Egos fand sich in den kommunizierten oder verborgenen Grandiositätsphantasien. Im üblichen Sprachgebrauch gibt es für die offene Variante viele Worte dafür: »Schaum schlagen«, »aufschneiden«, »angeben«, »prahlen«, »protzen«, »sich aufplustern« usw. Das Selbstbild, das sich hierin präsentierte, besaß Eigenschaften eines Werbeclips. Der versprach eine heile Welt, von der alle Beteiligten, die Macher und die Zuschauer, wussten, dass sie verlogen war. Ein einzigartigen Heldenepos, ein Werbeclip, der rund um die Uhr läuft, und dessen einzige Funktion darin bestand, Erwartungen zu erfüllen, durch die man sich eine Antwort von Geliebtwerden erhoffte.

Schwieriger zu erkenen als der Prahlhans erwiesen sich diejenigen, die bescheiden, zurückhaltend auftreten und bei denen die Grandiosität verborgen im Inneren aufschien und nur im Verhalten erkennbar wurde. Das Muster war das gleiche: Der Schrei nach Liebe verbarg sich hinter der Maske der Bescheidenheit und Zurückhaltung, um die verinnerlichten Erwartungen zu erfüllen, die Liebe versprachen. Ich gewann den Eindruck, dass all diesen Haltungen gemeinsam ein kleines, verlorenes, sich nach Liebe sehnendes Kind verborgen war, dass sich zum Ausgleich aufplusterte, großartige machen musste, um zu überleben. Das narzisstische Ego ließ sich also als ein Kompensationsmechanismus interpretieren, ein Heilungsversuch für ein Selbst, dass sich überhaupt nicht großartig, selbstbewusst und stark empfand, sondern klein, unsicher und schwach.

Dazu passten auch die ausgeprägten Schutz- und Kontrollmechanismen, die mit Empfindlichkeiten gegenüber jeder Art von Kritik verknüpft waren. Sobald ein Hauch von kritischer Sichtweise herüberwehte, traten Abwehrmechanismen unterschiedlicher Couleur hervor: Wutausbrüche, Halsstarrigkeit, rechthaberischer Trotz, Beleidigtsein, Beschimpfungen, Rückzug, Kontaktabbruch, Überheblichkeit, Verachtung. Sie stellten nur einige Varianten dessen dar, wie Menschen in sozialen Zusammenhängen auf kritische Äußerungen reagieren.

Doch in der alltäglichen Kommunikation zwischen Menschen stand eines im Vordergrund, ein unausgesprochenes »Rührmichnichtan«, bezogen auf das narzisstische Ego. Wir nannten es »Konvention« oder »Höflichkeit«, Reich sprach von der »sozialen Maske«, in der Politik hat man es als Kunst der »Diplomatensprache« zur höchsten Stufe der Abstraktion von jeglicher Gefühlsäußerung entwickelt.

Offensichtlich existiert ein stillschweigendes Übereinkommen, das narzisstische Ego, das Bild, die Geschichte, die jemand sich selbst und anderen vermitteln will, nicht infrage zu stellen. Es gilt, zu verhindern, dass der andere »sein Gesicht verliert«. Gemeint ist die Maske, denn fiele die Maske, kämen authentische Emotionen zum Vorschein (s. o.). Was es um jeden Preis zu verhindern gilt. So verrückt sind wir Menschen, »verrückt« von der Wahrheit, der Authentizität. Die Maske herrscht, nicht die Wahrheit.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 19. Februar 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (231): Die narzisstische Kollusion

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Dies legte die Vermutung nahe, dass durch die Veränderungsprozesse, die unsere Methoden auslösten, ein unzureichend funktionierendes Selbstsystem durch ein korrigiertes und optimiertes ersetzt wurde. Immerhin, das war ja schon was. Aber wenig von dem, für das es sich hielt.
Ich diskutierte manche dieser Fragen damals mit meiner Kollegin, der Körpertherapie-Trainerin Bettina Schröter. Wir hielten ein Seminar mit dem Titel »Narzisstische Schattenwürfe in der Körpertherapie« auf dem Jahreskongress der DGK 2003.

»Rekurrierend auf den Paartherapeuten Markus Möller, betrachten wir die narzisstische Kollusion mit einer anderen Person, spezifisch die Therapeut-Klient- oder die Therapeut-Trainee-Beziehung.
Dabei bedarf es eines Zusammenspiels eines unbewussten überhöhten Therapeutenselbstbildes mit einem Klienten, der sich durch tiefe, aber bewusste Selbstzweifel und regressive Fixierung auszeichnet.
Beide Systeme komplettieren sich in der narzisstischen Kollusion und bilden somit ein stabiles dyadisches System. Der Klient delegiert in dieser Kollusion seine Selbstressourcen weitgehend an den Therapeuten, der Therapeut seinen spezifischen Mangel an Selbstressourcen an den Klienten.
Dabei bildet die narzisstische Gratifikation des Gebrauchtwerdens auf Seiten des Therapeuten das Gegenstück zur regressiv-fixierten Bedürftigkeit des Klienten, d. h. je abhängiger und bedürftiger sich der Klient zeigt, desto besser fühlt sich der Therapeut in seinem verzerrten Selbstsystem. Beide (miss)brauchen sich gegenseitig, um die eigene Identität zu stabilisieren und im Gleichgewicht zu halten. Dass unter diesen Umständen eine Entwicklung hin zur Autonomie und Unabhängigkeit des Klienten kontraindiziert ist, dürfte ein nahe liegender Effekt sein ... »(*FN*Unveröffentlichtes Manuskript, im Archiv des Autors*FN*)

Es war offensichtlich, dass das alte schulmedizinische soziale Modell einen bedeutenden Anteil an diesen »Schattenwürfen« besaß. Denn es wies nicht nur eine soziale Hierarchie und ein deutliches Machtgefälle auf, sondern basierte auf einer fundamentalen Trennung zwischen Subjekt und Objekt.

Der Patient und in abgemilderter Form auch der »Klient« erwiesen sich als Objekte der therapeutischen Strategien und Techniken, in der Körpertherapie repräsentiert durch die vorgegebenen Übungen oder technischen Interventionen. Die Gefahr eines narzisstischen Missbrauchs war also strukturell vorgegeben. Wiederholten damit die Therapien der Seele genau das, was bereits im neurotischen Familiensystem angelegt war? Deuteten sich nicht einige beunruhigende Parallelen an durch die Anpassung an die Erwartungen der Eltern hier und der Therapeuten dort? Fand sich in der »narzisstischen Kollusion« ein Wirkmechanismus, der darüber hinaus in allen sozialen Systemen zu finden war?

Samstag, 10. Februar 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (230): Grenzen körpertherapeutischer Transformation

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Die körpertherapeutischen Herangehensweisen halfen dabei, diese zurückgedrängten, blockierten Emotionen in die Persönlichkeit zu reintegrieren. Eine Identifizierung mit den Gefühlen des »inneren Kindes« ging mit diesem Prozess einher.

Das narzisstische Ego, das ließ sich immer wieder beobachten, lernte, sich in körpertherapeutischen Prozessen mit den individuellen emotionalen Programmen zu identifizieren. Verdrängte oder abgespaltene Emotionen ließen sich so im Laufe des Prozesses reintegrieren. Soweit, so gut.
Damit war ein Transformationsprozess der Persönlichkeit allerdings nicht abgeschlossen. Denn was hier geschah, dürfte im besten Fall eine Umstrukturierung des narzisstischen Egos im Sinne einer Korrektur darstellen. Die vorher blockierten Gefühle zeigten sich erweitert, komplementierten im besten Fall das zwanghafte Denken und die Identifizierung mit den Konstruktionen des Ego-Verstands.

Was körpertherapeutische Therapien ermöglichten und der Klient lernte, bestand darin, vorher abgespaltene, verdrängte Gefühle und ihren emotionaler Ausdruck in die Persönlichkeit zu reintegrieren. Das Ich-Bewusstsein schloss das »innere Kind« liebevoll in die Arme. Doch war damit alles gut?

Beobachtungen an mir selbst und meiner Umgebung zeigten etwas anderes: Das Ich-Bewusstsein und die Selbst-Bezogenheit verloren nicht etwa an Intensität und Präsenz, sondern gewannen. Man erhielt den Eindruck, von lauter Egozentrikern umgeben zu sein, die sich nur mt sich selbst beschäftigten, deren Bezogenheit nur um ihr eigenes Wohlbefinden, ihre seelischen Wetterumschwünge und die sie selbst betreffenden Irritationen ihrer Umwelt kreisten. Die narzisstischen Persönlichkeitsmuster nahmen nicht ab, sie zeigten sich potenziert. Nur mit anderen Etiketten. Wo vorher »die anderen sind an allem schuld« draufstand, las man »ich bin viel geiler als die anderen«. An der Grundhaltung,
diese »Anderen« als Gradmesser der eigenen Identität zu betrachten, hatte sich nichts geändert.

Hier stieß man an eine Grenze dessen, was eine Körperpsychotherapie oder die Psychotherapie überhaupt zu leisten imstande war. Das alte »neurotische Gleichgewicht« ersetzte man durch ein korrigiertes seelisches Konstrukt. Die alte Geschichte dessen, wer man glaubte zu sein, ersetzte man durch eine neue Story. Eine Geschichte, die man sich und anderen in allem erzählte, was in der Persönlichkeit aufschien.

Doch fühlte sich der Klient automatisch in Einklang mit sich selbst und der Umwelt? Vermochte er jene Heimat und jenen Frieden in sich wahrzunehmen, die er einst verloren hatte? Lebte er Freiheit, innerlich und äußerlich, in seiner Lebensumwelt, Beziehungen und Bindungen? War die Spiegelungssucht, also der ständige Drang nach Anerkennung und Bewunderung durch andere, das fundamentale Defizit an Liebesfähigkeit, damit aufgehoben? Ließ sich dieser Weg als Beitrag zur Transformation der Persönlichkeit, zur Aufhebung der Selbstentfremdung, zur Befreiung aus der narzisstischen Falle betrachten?

Es fehlte ein entscheidender Schritt: die Des-Identifizierung der Person mit allen Gefühlen, die nach Dominanz, Macht, Kontrolle, obsessiver Artikulation oder zwanghaftem Ausdruck strebten. Solange das Gefühlsleben das Ego nährte und beherrschte, verhinderte das Ego die innere Freiheit und die Liebesfähigkeit.

Denn die Stimme des »inneres Kind« konnte im Alltag durchaus obsessiv machtbesessen und vollkommen egozentrisch und asozial agieren, als Abwehr und Widerstand im Therapieprozess wirken. Es ließ sich ein auffälliger Egozentrismus in der gesamten Körpertherapieszene beobachten, bei mir selbst, bei Klienten und Therapeuten, das mit einem deutlichen Mangel an sozialem Einfühlungsvermögen einherging. In den Verhaltensmustern und hinter allen Worten hörte ich Kinder, die verzweifelt schrien: »Ich, ich, ich!«

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 3. Februar 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (229): Annäherung an das Phänomen des Narzissmus

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Der Mammon erwies sich in der Szene als Tabuthema, man sprach nicht darüber. Dennoch schien es ein Gradmesser dessen zu dienen, was man für Erfolg hielt. Also alles wie im Leben, wie in der Gesellschaft, die uns umgab. Wie sollte es anders sein?

Nur: Befriedigend, erfüllend, glücklich machte das alles nicht. I can’t get no satisfaction blieb eine unausgesprochene Wahrheit, auch in den Transformationsversprechen der modernen Körpertherapien.

Später fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Der Antrieb all dieser Ambitionen fand sich in den Konstruktionen meines Ego-Verstands, jenen Rationalisierungen, die all das schön redeten, was an Widersprüchen und Unbehagen aufschien. Die sich nur daran interessiert zeigten, sich die konventionellen Symbole des Geliebtwerdens einzuverleiben und diese zu vermehren: soziale Anerkennung und Geld. Zeigte sich hier nicht die Bankrotterklärung von Liebesfähigkeit?

Ich sprach und lehrte über die Transformation der Persönlichkeit, über das energetische Strömen in Körper und Seele. Aber, Hand auf Herz, ich selbst fühlte mich nicht ständig lebendig und frei, sondern häufig gestresst, arbeitswütig und verbissen. Befand ich mich also auf dem besten Weg, als wichtigtuerischer »Wahrheitskrämer« (W. Reich) zu enden, der Körper und Lebensenergie in seine Wirklichkeitskonstruktion eingebaut hatte anstatt zum Beispiel Aktienhandel oder Gesetzesinterpretationen?

Denn in Wahrheit deutete alles darauf hin, dass ich aus narzisstischen Bedürfnissen nach Anerkennung und Erfolg agierte. Meine Aufmerksamkeit richtete sich nach außen, auf die phantasierten Blicke und antizipierten Urteile anderer. Meine Persönlichkeit erwies sich nicht als frei, trotz jahrelanger Therapie, Orgasmusreflex und vegetativem Strömen. Etwas stimmte hier nicht. Ich fühlte mich in einer Falle, gefangen in einem narzisstischen Teufelskreis aus Gedankenkonstrukten und der Gier nach Anerkennung.

Bei Weggefährten, in Beziehungen, wie sah es denn da aus? Offenbar auch nicht anders. In den sozialen Zusammenhängen, in denen ich mich bewegte, spielten bei genauem Hinsehen Rivalitäten und Machtambitionen eine ebenso zentrale Rolle wie die endemischen Bedürfnisse nach Anerkennung und Bewunderung. Hörte ich meinen eigenen Reden und denen anderer genau zu, dann stand hinter allem eine unausgesprochene Botschaft: »Finde das, was ich sage, toll. Halte mich für wichtig, bewundernswert, einzigartig, besonders, speziell, liebenswert. Liebe mich.«

Eigenartig. In mir wuchs allmählich die Erkenntnis heran, dass Narzissmus, die Gier nach den anerkennenden Blicken der Anderen, verbunden mit innerer Leere oder Armut, mehr darstellte als nur die Pathologie einer »Persönlichkeitsstörung«, wie es die vorherrschende Lehrmeinung seit Kohut suggerierte. Phänomene des Narzissmus schienen in jeder Persönlichkeit auf, in unterschiedlichen Ausprägungen. Sie präsentierten sich ubiquitär, überall um mich herum. In ihnen zeigte sich zudem eine Schattenwelt, die sich durch die Geschichte der Psychotherapie zog.

Grandiositätsphantasien zogen sich wie ein roter Faden von Freud über Jung und Reich bis hin in die aktuelle Generation von Psychotherapeuten. Nebenher, aber nicht zu verleugnen, ging dies einher mit Varianten subtilen narzisstischen und bisweilen sogar offenen sexuellen Missbrauchs von Klienten, ebenso tabuisiert wie verbreitet.

Wie wirkten sich narzisstische Persönlichkeitsmuster auf die therapeutische Arbeit aus? Welche Fragestellungen ergaben sich hierfür insbesondere in der Körpertherapie?

In der Kindheit lernte der Mensch, Gefühle und Emotionen in sich zu kontrollieren. Dies entsprach den jeweiligen Erwartungen und Rollenzuweisungen des sozialen Systems, in dem er aufwuchs. »Ein Junge weint nicht, ein braves Mädchen lächelt immer nur, aber wird nicht aggressiv.«

Entsprechende charakterliche und körperliche Blockierungen entwickelten sich, um bio-emotionale Impulse zurückzuhalten und zu kontrollieren. Letztere standen später dem erwachsenen Menschen nicht mehr zu Verfügung. Wenn der Junge lernte, den Ausdruck von Trauer in sich zu chronisch zu kontrollieren, um sich niemals mehr verletzlich zu zeigen, vermochte er als erwachsener Mann nicht mehr zu weinen. Das Mädchen, das lernte, aggressive Impulse zurückzuhalten, um »brav« zu erscheinen, lächelnte als erwachsene Frau auch dann noch, wenn ihre Grenzen massiv überschritten wurden. Der zum Mann herangewachsene Knabe ließ weiche, zarte Gefühle nicht mehr zu, das zur Frau erwachsene kleine Mädchen vermochte nicht mehr klar und vehement für seine Interessen kämpfen.

(Fortsetzung folgt)