Freitag, 28. Oktober 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (123): Berührung und Haltung

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In der Kindheit, in der die wesensbildenden Prägungen erfolgen, macht jeder Mensch die ersten Erfahrungen mit Berührungen und den mit ihnen einhergehenden Haltungen und Informationen.

Das neurosenbildende Element hierbei besteht in der grundlegenden Erfahrung, dass Berührung überwiegend nicht aus der Präsenz des Herzens erfolgt, sondern sich aus Quellen des Ego-Verstandes speist oder mit ihnen vermischt ist. Die dominierende Erfahrung, dass Berührung aus der Präsenz der Liebe erfolgt, dürfte eher eine seltene Ausnahme bilden.

Daraus resultieren zwei wichtige Konsequenzen:
  • Die Erfahrung, aus der Haltung des Ego-Verstandes heraus berührt zu werden, wird als »normal« angesehen und entspricht den gesellschaftlichen Konventionen. Wie bereits ausgeführt wurde, liegt der Schwerpunkt hier auf dem Machen, dem Leisten, der sozialen Rollendefinition (»eine perfekte Mutter sein«) und der Dominanz der Zeitstruktur. Berührungen mit diesen Eigenschaften werden später in der Körperarbeit als selbstverständlich angesehen und wirken weniger bedrohlich als diejenigen, die mit der Intuition, Authentizität und der Energie des Herzens verbunden sind. Ein praktisches Beispiel bildet hier das Gegensatzpaar der »klassischen« und der »intuitiven« Massage oder das einer »gymnastisch-übungsorientierten« oder »intuitiv-energetischen« Körperarbeit.
  • Das psycho-biologische Programm, die organismische Wahrheit, sich in einer Berührung in Liebe und Geborgenheit, also im Halt verbunden zu fühlen, bleibt ein offener, niemals geschlossener Kreis in der Körperseele des Menschen. Wenn jemand etwas niemals oder nur rudimentär erfahren hat, dann ist ein solches grundlegende Bedürfnis allerdings nicht ausgelöscht.
    In Wahrheit strebt das Unbewusste – möglicherweise ein Leben lang – danach, diesen Kreis zu schließen, bisweilen auf ziemlich schrägen oder sogar gefährlichen Wegen. Häufig weisen erst drastische Symptome der Körperseele auf diese Zusammenhänge hin und machen einen Menschen für die Wahrheit der Liebe, die in allem wirkt und nach der alles strebt, zugänglich.
(Fortsetzung folgt)

Sonntag, 23. Oktober 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (122): Die Körperseele sucht Berührung

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"Es ist das Herz, das sich mit einem anderen Herzen verbinden will. Der Verstand trennt, er trennt alles in seinen Gedanken, trennt scharf wie das Messer des Chirurgen."


Wenn man von »Berührung« spricht, dann beschreibt dieses Wort eine Dualität: das Körperliche und das Seelische. Eine körperliche Berührung kann unmittelbar mit einem seelischen Berührtsein einhergehen – oder auch nicht. Eine seelisches Berührtsein mag mit bio-emotionalen Reaktionen einhergehen, mit einem Gefühl inneren Schmelzens, Wärmeempfindungen in der Brust u. ä. – oder auch nicht.

Es ist mir und meiner eigenen Persönlichkeit und deren Prägungen geschuldet, ob ich unter dem Begriff Berührung den körperlichen Aspekt, den seelischen oder beide gleichzeitig in meinem Bewusstsein wahrnehme. Dieser begriffliche Zusammenhang weist darauf hin, dass Berührung im Kern die Körperseele, also unsere ganzheitliche Natur, den ganzen Menschen, betrifft.

Jede Berührung verbindet sich mit einer Information, die man gern mit der Worthülse »energetisch« umschreibt. Je jünger der Mensch ist, desto feinfühliger reagiert er auf diese in einer Berührung enthaltene Information. Man kann durchaus die Auffassung vertreten, dass Kinder und auch Tiere über ausgeprägtere Wahrnehmungspotentiale für derartige energetische Informationen verfügen als der durchschnittliche Erwachsene.

Aber selbst im Erwachsenenalter können wir durchaus unterscheiden, ob eine Berührung mit Einfühlsamkeit und Zuwendung ausgeführt wird oder mit der Fahrigkeit eines Termin- oder Leistungsdrucks, mit Unlust oder Widerstreben. Allgemein lässt sich festhalten, dass die Haltung, aus der heraus Berührung geschieht, unterschiedlichen Quellen entstammen kann. Die eine Quelle findet sich in meinem Ego-Verstand, in der Welt meiner Gedanken, Kategorien, Vorstellungen und Selbstbilder, die andere Quelle entspringt der Intuition, der Präsenz und liebevollen Zuwendung des Herzens und seiner Wahrheit.

Jeder, der körpertherapeutisch mit anderen Menschen arbeitet, sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese unterschiedlichen Quellen, aus denen eine Berührung entstammt, vom Berührten wahrgenommen wird. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob es dem Berührten bewusst ist oder nicht. Denn die Botschaften erreichen in jedem Fall das Unbewusste und die Körperseele des Betreffenden. Dies ist von zentraler Bedeutung.

(Fortsetzung folgt)

Donnerstag, 20. Oktober 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (121): Sessions ohne Zeitlimit

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Typischerweise findet sich bei diesen Klienten die Phantasie, dass ihre Sehnsucht nach Halt dermaßen unermesslich ist, dass sie keinerlei Ahnung oder Vorstellung darüber haben, jemals »satt« zu werden, genug davon bekommen zu können.

In solchen Fällen rege ich eine sog. »open-end Haltsession« an. Dabei geht es darum, dem Klienten solange körpertherapeutischen Halt zu geben, bis er das Gefühl »satt« zu sein und »genug« bekommen zu haben körperlich und seelisch erlebt hat. Diese Erfahrung zieht eine umfassende Korrektur des Selbstbildes nach sich, dass ja beeinhaltet hat, "meine Sehnsucht nach Halt ist so unendlich groß, dass sie niemals gestillt werden kann ..."


Dieser Sättigungspunkt in der Haltearbeit geht in der Regel einher mit motorischen Impulsen, z.B. sich zu strecken, aufzustehen oder einfach in die Welt zu gehen. Man könnte es vielleicht mit der Situation vergleichen, wenn man sich nach ausreichendem Schlaf und Ausruhen im Urlaub voller Neugier und Lebenslust der neuen Umgebung zuwendet und dieser mit frischem Blicken begegnen möchte. Ich habe auch erlebt, dass z. B. nach einer längeren Haltearbeit ein Klient den unmittelbaren Drang verspürte, auf eine Party zu gehen oder zum Tanzen. Wie auch immer, wir orientieren uns, was die Dauer der Interventionen angeht, an genau dieser inneren, organismischen Uhr, an der organismischen Wahrheit.

Dabei ist zu beobachten, dass nur wenige Stunden solcher intensiven Körpererfahrung in den verschiedenen Phasen des Prozesses ausreichen, um die entsprechende organismischen Erfahrungen zu verankern.

Die Sitzungen ohne Zeitlimit zeigen sich in der Praxis meist auf 2-4 Stunden beschränkt, bis dieser Sättigungspunkt erreicht ist. So lassen sich typischerweise eine bestimmte Anzahl von Trancezyklen beobachten, die ca. 20-25 Minuten umfassen. 

All diese Erfahrungen zeigen, dass die biologischen Gesetze in der Tiefe des Organismus der Gattungsgeschichte des Menschen und nicht den Prinzipien der bürgerlichen Ökonomie gehorchen.

Das Prinzip der nicht-intentionalen Berührung bildet ein fundamentales Element der seinsorientierten Körpertherapie. Es geht hier nicht um technische Interventionen, nicht darum, mit dem Körper des Klienten irgendetwas zu machen, etwas zu forcieren oder zu invadieren, es geht um die Erfahrung des Seins und die Reorganisierung grundlegender Körper- Seele-Rhythmen und Körper-Seele-Potentiale.

Wir berühren die Körperseele, wie sie ist, nicht, wie sie sein soll. Wie das im einzelnen geschieht, und welche weiteren Prinzipien hier wirken, dem widmen wir nun unsere Aufmerksamkeit.

(Fortsetzung folgt)


Sonntag, 16. Oktober 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (120): Halt ist der Raum der Stille, in dem das Selbst den Herzschlag des Du wahrnimmt

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Wie lässt sich nun dieser Tendenz des dominierenden Ego-Verstands in der körpertherapeutischen Praxis entgegenwirken, wenn man ein einfacher Bodyworker oder Körpertherapeut ist, der sich nicht in einem quasi-erleuchteten Bewusstseinszustand befindet und nicht in einem Zustand von Zeitlosigkeit lebt?

Wir bereits dargestellt wurde, sucht die Körperseele nach Halt. Halt als liebevolle Geborgenheitserfahrung stellt eine ontogenetische Matrix und ein frühkindlich-menschliches Grundbedürfnis dar.

Halt entgeht potentiell, ähnlich wie die Berührung von Liebenden oder dem liebevollen Kontakt der Mutter-Kind-Dyade, den Gesetzen der Zeitökonomie. Halterfahrungen reduzieren den Aspekt des Intentionalen in der Berührung, weil eigentlich nichts geschieht im Sinne von Veränderung oder programatischen Abläufen.

Die Betonung liegt in diesen Erfahrungswelten eindeutig auf dem Sein und nicht auf der Tätigkeit. Halt ist der Raum der Stille, in dem das eigene Selbst den Herzschlag des Du wahrnimmt.

Berührung und Halt auf der Stufe der organismischen Wirklichkeit des Kindes wird durch die Erfahrung von Befried(ig)ung definierbar. Das bedeutet auch, dass in unserem Organismus eine innere Instanz existiert, die angibt, wann ein Körperkontakt, eine Berührung, eine Halterfahrung, »satt« gemacht, d. h. Befriedigung im Sinne eines spürbaren inneren Friedens, bewirkt hat und die Körperseele deutliche Anzeichen aufweist, sich in einen anderen Zustand zu bewegen, z. B. von der Entspannung und Trance in den der Aktivität und der Hinwendung zur Umgebung o. ä.

Dieser »Sättigungspunkt« ist individuell unterschiedlich und scheint mir in deutlichem Zusammenhang zu stehen mit den biografischen Prägungen der frühen Kindheit.

Er kann bereits nach ca. 20 Minuten eintreten, was dem Zeitabschnitt entspricht, den ich als »Trancezyklus« bezeichne, oder aber einem zwei- oder dreifachen Trancezyklus mit kleinen Pausen dazwischen (auf die körpertherapeutischen Einzelheiten komme ich später zurück). Es gibt allerdings auch Fälle, und dies trifft insbesondere auf die sog. Frühstörungen zu, bei denen der Sättigungspunkt ein Vielfaches des einfachen Trancezyklus beansprucht.

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 12. Oktober 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (119): Liebe in Berührung

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Was unterscheidet eine körpertherapeutische Berührung von der Art und Weise, in der eine Mutter ihr Kind berührt oder zwei Liebende sich zärtlich berühren?

Die Antwort ist ebenso frappierend wie banal. In den letzten beiden Szenarien repräsentiert die Berührung nicht nur die gelebte Liebe zwischen diesen Menschen, die dem Hier und Jetzt und den Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Beziehung entspringt, sondern die Berührungen tragen auch das Potential der Zeitlosigkeit in sich. Niemand der Beteiligten schaut innerlich und äußerlich  auf die Uhr, die willentliche Kontrolle der Zeit steht, wenn überhaupt, im Hintergrund.

Im Vordergrund steht die Berührung als unmittelbarer Ausdruck der Zuwendung und Liebe, welche die Beteiligten sich fühlen und in der Berührung zum Ausdruck bringen. Berührung ist hier weitgehend Ausdruck von liebevoller Zuwendung, die dem Herzen entspringt.

Gilt dies auch für eine körpertherapeutische Berührung? Auch wenn wir positive Übertragungsgefühle und Liebe identisch setzen oder erst einmal außer Acht lassen: Das Potential der Zeitlosigkeit von Berührung fehlt hier weitgehend, weil, wie wir gesehen haben, nicht nur die Einschränkungen der intentionalen Berührung, sondern auch der ganz banale Zeitrahmen einer Session oder Sitzung klare Grenzen setzen und das Gegenteil eines Potentials von Zeitlosigkeit kreieren.

Berührung geschieht hier im Rahmen einer Dienstleistung. Wenn sie darüber hinaus im Rahmen einer Beziehung erfolgt, dann im Rahmen einer Übertragungsbeziehung und innerhalb vorgegebener und definierter sozialer Rollen (Therapeut/Patient, Lehrer/Schüler usw.).

Wenn jedoch, wie unsere Ausgangsthese lautet, das Unbewusste und die Wirklichkeit von Körperseele und Herzenergie über die Qualität von Zeitlosigkeit verfügt, dürfte es unter diesen Rahmenbedingungen schwierig sein, mit dieser Dimension in Kontakt zu treten. Denn diese Rahmenbedingungen mobilisieren von sich aus die Instanzen des kontrollierenden Ego-Verstandes und erschweren den Zugang zur Wirklichkeit der Körperseele und der Herzenergie.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 10. Oktober 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (118): Die dialogische Berührung

Vergiss den Tänzer, das Zentrum des Egos. Werde zum Tanz. (Osho)

Aus diesen Erkenntnissen stellt sich naheliegenderweise die Frage, wie denn eine körpertherapeutische Berührung aussehen könnte, die überwiegend nicht-intentional wirkt und den o. a. Fallstricken zu entgehen vermag.

Grundsätzlich sei angemerkt, dass es eine 100%ige Absichtslosigkeit und damit Abwesenheit von Intention sicherlich in praxi selten geben dürfte und schon gar nicht regelhaft. Aber es lassen sich Tendenzen und Voraussetzungen beschreiben, welche die Wirkungslogik des Intentionalen deutlich verringert, neue Räume und Möglichkeiten von Berührung eröffnen. Diese speisen sich aus anderen Quellen als denen der mentalen Logik und des Ego-Verstands.

Drei Prinzipien, deren Gemeinsamkeit in einer grundlegende veränderten Haltung in Bezug auf die körpertherapeutische Tätigkeit beruht, möchte ich thesenhaft voranstellen:

•    Das Unbewusste und die Wirklichkeit der Körperseele und der Herzenergie funktionieren nach dem Prinzip der Zeitlosigkeit.
•    Die Dekonstruktion des Egos und die Rekonstruktion der Liebe bilden das heilende Agens jeder Berührung,
•    Der Dialog mit der Körperseele des Klienten und nicht die Zeit schafft den Rahmen, innerhalb dessen Transformation stattfindet.

Betrachten wir nun diese Prinzipien einmal genauer und einzelnen.

(Fortsetzung folgt)

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Samstag, 8. Oktober 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (117): Aktionismus in der Körperarbeit

Je mehr der Therapeut "macht", desto fleißiger ist er und desto wertvoller ist seine Arbeit. Deutlich wird diese Logik bei der klassischen Massage. In der öffentlichen Darstellung wird das Bild eines kräftigen, muskulösen Masseurs oder einer entsprechend ausgestatten Masseurin kolportiert, die auch »ordentlich zupacken« können, nach dem Motto »je kräftiger, desto besser« und ein wahres Feuerwerk von Massagetechniken und Griffen auf ihren Kunden loslassen.

Oder, in der postmoderneren Version, wird der Interessent in der schriftlichen Selbstdarstellung des Masseurs mit einem globalen Feuerwerk von Massagetechniken konfrontiert, Massagetechniken, die aus unfassbar vielen Kulturen der Welt den Weg in die entsprechende Hinterhofpraxis gefunden haben.

Eine Überbetonung des Aktionismus wird auf beide Arten zur naheliegenden Konsequenz.
Wohlgemerkt, wir sprechen hier nicht nur über die Vorstellungen des »Körperarbeiters«, Masseurs oder Körpertherapeuten, sondern auch die seiner Klienten. Diese Vorstellungen suggerieren, dass eine Session umso besser ist, je mehr gearbeitet, geleistet wird.

So werden diese Vorstellungen zu einem Tätigkeits-Schema, zu einer Routine und Grundhaltung, die stetig reproduziert wird. Wobei sich die Frage stellt, welches die Terrains, die Erfahrungsbereiche, die therapeutischen Herangehensweisen sind, welche durch diese Routinen unzugänglich bleiben.

Welche körperlichen und seelischen Terrains verharren so im Status des Irredenta-Gebietes?

(Fortsetzung folgt)