Mittwoch, 30. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (80): Zuwendung


Lenken wir die Aufmerksamkeit als das, was in dem oben beschriebenen Szenario als nächstes geschieht.

Will der Körpertherapeut seinen Klienten darin unterstützen, den unter der Oberfläche zappelnden Fisch der unausgedrückten Trauer an die Oberfläche zu bringen, wird er versuchen, ein energetisches "Loch in das Eis zu schlagen". Im traditionellen reichianischen Sinne dürfte er bemüht sein, diejenigen Blockaden zu lösen, die verhindern, dass das Gefühl in die Wahrnehmung und die Emotion in den Ausdruck tritt. Auf diese Weise kann die energetische und emotionale Beweglichkeit wiederhergestellt werden. Wie erreicht er das?

Ein klassischer reichianischer Körpertherapeut wird die diagnostischen und charakteranalytischen Hintergründe kennen, welche die Trauer an der gefühlsmäßigen Wahrnehmung und am emotionalen Ausdruck behindern und das entsprechende körperliche Blockierungsmuster erkennen. Dabei gilt es, die Wahrnehmung auf die charakterlichen und körperlichen Mechanismen zu richten, die funktionell mit dieser Blockierung einhergehen.

Als nächstes wird der Körpertherapeut mithilfe einer Intervention, die meist die Gestalt einer Berührung haben dürfte, versuchen, diese Blockierungen zu lösen. Dadurch kann der Trauer als Gefühl und als Emotion zur Verlebendigung verholfen und in die Persönlichkeit des Klienten reintegriert werden.

Was geschieht nun in exakt jenem Augenblick, in dem der Körpertherapeut interveniert, d. h. seinen Klienten berührt? Was geht im Therapeuten vor?

Er wechselt die Bewusstseinsebene! Dies geschieht intuitiv, wie selbstverständlich, aber in jedem Fall handelt es sich um einen Wandel der Bewusstseinsebene. Er wechselt idealerweise von der kognitiven Ebene der diagnostischen Interpretation zur vollständigen bio-emotionalen Zuwendung.

Diese Zuwendung bildet eine wesentliche Voraussetzung derjenigen Qualität von Berührung, die den anderen Menschen erreicht und zu diesem Kontakt und Bindung herstellt. Zuwendung ist ein gleichzeitig körperlicher, energetischer und seelischer Vorgang.

„Ich wende mich einem anderen Lebewesen zu“ beschreibt, dass ich körperlich auf ein anderes Wesen meine Aufmerksamkeit richte. Ich richte die Vorderseite meines Körpers, mein Gesicht dem anderen Lebewesen zu. Diese Vorderseite meines Körpers repräsentiert nicht nur den Ort meiner energetischen Kontaktorgane (Augen, Hände, Mund, Genitalien), sondern auch gleichzeitig derjenigen Organe und Funktionen, die mein Gefühlsleben repräsentieren (Herz, Bauch).

Die energetische Dimension dieser Zuwendung impliziert eine gleichzeitige Mobilisierung der rezeptiven Wahrnehmungspotentiale und der sensitiven Kontaktfähigkeiten. Die energetischen Antennen sind ausgefahren für alle Aktionen und Reaktionen, die vom Klienten ausgehen, vergleichbar mit der Rezeptivität einer Mutter gegenüber ihrem Baby.

Die sensitiven Kontaktfähigkeiten ermöglichen eine hochsensible Wahrnehmungsöffnung für den anderen Menschen im Kontaktprozess. Die Präsenz in der Wahrnehmung, in der Berührung, in der Achtsamkeit bilden hier charakteristische Faktoren. In all dem zeigt sich die Fähigkeit des Therapeuten zur energetischen Präsenz im jeweiligen Augenblick, in dem die Präsenz der Sinne und des Herzens dominieren und die Welt der Gedanken und des Verstandes in den Hintergrund treten.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 28. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (79): Intuition in der Körpertherapie


Die Quelle dieser Töne, die sich zwischen Organismen austauschen und im Phänomen der Einstimmung zu einem gemeinsamen Ton verschmelzen können, ist das Herz, der Ton selbst der Herzcode (siehe Teil 18 ff.).

Dieses Phänomen interessiert uns natürlich besonders im Zusammenhang mit dem, was in der körpertherapeutischen Arbeit geschieht. Eine Beobachtung ist, dass Einstimmungsphänomene in allen energetischen Zuständen wirksam werden, unabhängig davon, ob es sich um Zustände höchster energetischer Erregung oder welche tiefster Entspannung handelt. In allen energetischen Stadien tauschen sich organismische Informationen aus.

Stellen wir uns ein konkretes Beispiel vor: In einer Sitzung gewinnt der Therapeut den Eindruck, dass im Klienten ein bestimmtes Gefühl zum Ausdruck drängt, z. B. Trauer. Für den Klienten selbst ist dieses Gefühl allerdings zunächst weder fühlbar, noch ist er in der Lage, es als Emotion auszudrücken, da er charakterlich dieses Gefühl in sich abzuschotten gelernt hat. Die Trauer scheint unter der Oberfläche eingesperrt zu sein, wie ein Fisch, der im See unter einer dicken Schicht von Eis seine Kreise zieht.

Was geschieht nun in einer körpertherapeutischen Sitzung? Das erste Element ist die Übertragung der Information „Trauer“ vom Klienten zum Therapeuten, das zweite die Wahrnehmung dieser Information durch den Therapeuten. Man könnte sagen, der Therapeut antizipiert das Gefühl des Klienten in sich selbst.

Wenn der Therapeut, und das hoffen wir, dieses abgeschottete, aber dennoch dominant unter der Oberfläche wirkende Gefühl der Trauer des Klienten wahrnimmt, wird dieser Vorgang  normalerweise mit dem Label „Intuition“ versehen.

Intuition ist ein der Alltagssprache entstammender Begriff. Er beschreibt ein unmittelbares Wissen, eine unmittelbare Erkenntnis, die jenseits des Wirkungsfeldes des analytischen Verstandes existieren. Intuitive Erkenntnis und intuitives Wissen scheinen eine metaphysische Kategorie zu repräsentieren, nach dem Motto … „hat man oder hat man nicht“. Ein typischer „Irgendwie-Begriff“ – irgendwie funktioniert das, aber was da vor sich geht, lässt sich nicht so genau sagen.

Man könnte bemerken, Intuition ist überall dort, wo der Verstand nicht benötigt wird, um zum Erkennen zu kommen. Leider funktioniert die Intuition nicht in jedem Fall, d. h. man kann auch falsche Intuitionen haben (z. B. als Gegenübertragungsphänomen). Auf diesem Hintergrund lohnt es sich schon, mal einen genaueren Blick auf dieses Phänomen zu werfen und die Frage zu stellen: Was geschieht eigentlich energetisch, wenn in der Körpertherapie eine Intuition die Bühne des Geschehens betritt?

(Fortsetzung folgt)

Freitag, 25. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (78): Einstimmung, Gefühlsanklang und Bindung


Als Einstimmung definiere ich also den Austausch von seelischen Informationen auf der Seinsebene. Dieser Austausch vollzieht sich auf der Grundlage des identischen energetischen Niveaus, man könnte etwas vereinfacht sagen, immer dann, wenn zwei oder mehr Menschen in der gleichen „Stimmung“ sind.

Einstimmung wird verhindert, findet nicht statt, wenn dies nicht der Fall ist, z. B. der eine ruhig und entspannt, der andere aufgeregt und voller Spannung ist.

Diese Einstimmung realisiert sich zwischen zwei und mehr Menschen, in Gruppenprozessen oder in sozialen Zusammenhängen. Sie realisiert sich in der Partnerschaft, in der Familie, in Teamsitzungen im Beruf, auf Massenveranstaltungen, seien sie ideologisch, religiös oder einfach nur moderne Popkultur.

Überall dort, wo nicht nur das Gehirn, sondern auch die bio-emotionale, seelische Wirklichkeit von Menschen angesprochen wird, kann es zu diesem Einstimmungsphänomen kommen. Wir finden es auf Demonstrationen, in der Kirche, im Fußballstadion, auf Rockkonzerten. Die Seele des Einzelnen verbindet sich auf der gleichen Frequenz mit der Seele anderer Menschen und kann sich zur Massenseele verbinden. Darum wissen auch jeder Popstar und jeder populistische Demagoge.

Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass es offenbar unterschiedliche Qualitäten von Einstimmung geben kann. Allen gemeinsam ist eine „emotionale Resonanz“, eine identische „Stimmung“, die sich herstellt.

Aber was geschieht hier eigentlich genau? Wie kommt es zu den unterschiedlichen Qualitäten dieser bio-emotionalen Verbindungen. Wann ist eine Einstimmung eine oberflächliche singuläre Erfahrung, wann hinterlässt sich bleibende Spuren in der Persönlichkeit, also wird zu einer transformativen Erfahrung?

Das erste wichtige Element, das in Einstimmungsprozessen zur Geltung kommt, nenne ich den Gefühlsanklang. Damit bezeichne ich ein authentisches seelisches Mitgefühl, das der inneren Wahrheit der authentischen Seele, des Herzens und nicht dem Gehirn entstammt.

Die rezeptive Fähigkeit, von außen kommende authentische bio-energetische Informationen aufzunehmen und in sich schwingen zu lassen, tritt im Kontaktprozess hinzu. Der Gefühlsanklang ist der Ton, der im Organismus erklingt. Er kann an- und abschwellen, kann sich verbinden mit den Tönen, die von außen kommen.

Dies geschieht in jedem Kontaktprozess. Die Töne zweier Organismen verschmelzen und erklingen in einem gemeinsamen Ton. Nur dann, wenn sich Menschen auf identischem Frequenzbereich verbinden und aufeinander einstimmen, findet also der Austausch authentischer bio-emotionaler Informationen, Kontakt und Verbindung statt. Wiederholt sich dieser Prozess mit bestimmter Verbindlichkeit, entsteht Bindung.

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 16. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (77): Der Augenblick, in dem Liebe fließt

Michael Smith (1937-1987)
Es ist deutlich geworden, dass sich eine funktionierende Einstimmung zwischen Menschen nicht auf der Ebene der Sprache oder der Interpretation, sondern auf derjenigen von Präsenz und Kontaktfähigkeit abspielt, also auf der Ebene des Seins.

Im therapeutischen Kontext bedeutet dies, dass nicht die Brillanz einer Intervention oder Deutung, sondern die Präsenz auf der Herzebene, in der Tiefe der Seele ein entscheidendes heilendes Agens darstellt. Oder, einfacher gesagt, es ist die erfüllende Präsenz der Liebe, die zwischen Klient und Therapeut fließt, welche letztlich heilt. Ein Beispiel:

Zurückblickend auf meine eigenen Erfahrungen als Klient unterschiedlicher therapeutischer Ansätze (von der Psychoanalyse, über Gestalt- und Familientherapie bis hin zu verschiedenen Körpertherapien) gibt es einige wenige unter Hunderten von Sitzungen, die Jahrzehnte zurück liegen, aber rückblickend die tiefsten und bleibenden Spuren in meiner Persönlichkeit hinterlassen haben.

Es waren meine Einzelsessions, die ich in den 80er Jahren bei dem leider viel zu früh verstorbenen Gründer der Körpertherapieschule Skan, Michael Smith, erfuhr. Ich hatte vorher bereits einige Jahre Einzeltherapie in Psychoanalyse und Bioenergetischer Analyse hinter mir, war also absolut kein Neuling, aber was mich in der Arbeit mit Michael im Gegensatz zu meinen vorausgegangenen Erfahrungen tief erreichte und mein vorher verschlossenes Herz öffnete, war Michaels Fähigkeit der Einstimmung, des Mitschwingens und der energetischen Präsenz in allen seelischen Vorgängen.

Er war einer jener Ausnahme-Therapeuten, die in unprätentiöser Präsenz sich tief berührt und authentisch zeigen konnten. Berührt von dem, was in der Regression an altem Leid in mir hoch stieg. Heilung fand z. B. in jenem heiligen Augenblick statt, als ich mit Tränen der Verzweiflung in meinen Augen in seine ebenfalls tränenfeuchten Augen Liebe erblickte und die Verzweiflung sich unmittelbar in Freude und Liebe auflöste.

Beschrieben habe ich hier einen Augenblick der Einstimmung: Michael und ich waren nicht nur auf dem gleichen Energieniveau, sondern auch im gleichen Gefühlszustand, authentisch, präsent, weit entfernt von Ritualen von Repräsentation, Berechnung oder Kontrolle. Die Präsenz war im Herzen, nicht im narzisstischen Ego. Damit ist der Boden bereitet, dass Liebe fließen kann. So einfach ist das.

Ein solches Erlebnis war für mich also nicht nur ein Stück Heilung meiner eigenen Seele, sondern auch ein Geschenk zu einem tieferen Verständnis dessen, was Heilung oder Transformation überhaupt ist oder sein könnte.

Es sind nicht in erster Linie die Worte, die Techniken und die methodische Exklusivität, die Heilung auslösen, sondern es ist die Präsenz der Liebe, die vor und hinter all diesen Elementen spürbar wird.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 14. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (76): Die Stimme aus der Tiefe der Seele


Das narzisstische Ego des Klienten ist bemüht, seine Integrität zu schützen und die Kontrolle über den Transformationsprozess zu behalten. Das vorhandene, mit Zähnen und Klauen (Widerständen, Abwehrmuster, Agieren etc.) verteidigte Selbstbild, das aus den charaktertypischen Verarbeitung biografischer Erfahrungen resultiert, bildet das Epizentrum dieses Vorgangs.

Auf der anderen Seite motivieren Symptom, Leidensdruck, Sehnsucht nach Befreiung und innerer Freiheit den Klienten dazu, sich dem transformativen Prozess anzuvertrauen und auf Überwindung seiner Symptome zu hoffen. In diesem Zusammenhang spielt die Wahrnehmung der Stimme der inneren Wahrheit, die ich hier als „Stimme des Herzens“ bezeichne, eine entscheidende Rolle. Diese Stimme erklingt aus der Tiefe der Seele, sie mag zwar verschüttet sein, doch in ihr ist der gesunde lebendige Kern beheimatet, der sich hinter den Dramen des Egos verbirgt. Dieser Wesenskern sucht Freiheit, lebendigen Ausdruck und ... Verbindung in Liebe.

Beide Polaritäten sind im Transformationsprozess durchgängig präsent, mal dominiert die eine, mal die andere. Welche dominiert, hängt auch von der Persönlichkeit des Therapeuten ab und seiner Fähigkeit, die Verbindung zur Herzensebene, zum Wesenskern im Klienten zu aufzubauen und damit die Beweglichkeit und Verflüssigung der Widerstände und Abwehrmuster des Klienten zu fördern.

Dies bringt uns zu der Fragestellung, was denn eigentlich umgekehrt die Informationsflüsse sind, die vom Therapeuten hin zum Klienten fließen. Ähnlich gut erforscht und beschrieben wie die Übertragung, sind, wiederum durch die Psychoanalyse und ihre verschiedenen Traditionslinien, jene Phänomene, die unter dem Begriff „Gegenübertragung“ subsummiert werden.

Hier unterscheiden wir Erscheinungsformen der Gegenübertragung, die einerseits unterschiedliche Reaktionsmuster auf die unbewussten seelischen Informationen des Klienten darstellen (z. B. komplementäre und konkordante Gegenübertragung) und jene, welche die unbearbeiteten bzw. unbewussten Übertragungsanteile eines Therapeuten repräsentieren.

Aber welchen Gesetzmäßigkeiten folgen eigentlich solche Übertragungs- und Gegenübertragungs-Informationsflüssen? Oder ist das alles nur zufällig, was sich hier überträgt? Welche Einflüsse sorgen dafür, dass in einem Fall eher die negativen Übertragungen einen Transformationsprozess stagnieren lassen, in dem einen anderen Fall rasche Fortschritte und Persönlichkeitsveränderungen verblüffen?
Eine energetische Betrachtungsweise dieser Phänomene, die ich unter dem Begriff „Einstimmung“ oben eingeführt habe, könnte hier erfrischende Anregungen geben.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 12. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (75): Einstimmung und Übertragung



Wir haben als Erstes gesehen, dass Menschen, die sich in einem gleichen energetischen und bio-emotionalen Niveau befinden, aufeinander „eingestimmt“ sind, d. h. in Verbindung, in Kontakt stehen.

Der zweite Punkt, der in Verbindung mit einer energetischen „Einstimmung“ beobachtet werden kann, ist, dass der Austausch von Informationen, insbesondere derjenige von Gefühlen und anderen seelischen Inhalten, weitaus intensiver und deutlicher stattfindet, als ohne Einstimmung. Dies ist von Bedeutung insbesondere für alle therapeutischen Prozesse. 
 
Betrachten wir diese Informationsflüsse im Einzelnen:

Da ist zunächst der Informationsfluss von Klienten zum Therapeuten. Herausragend ist hier der Begriff der Übertragung.

Übertragung kann als das Herzstück der psychotherapeutischen Technik der Psychoanalyse angesehen werden und ist dementsprechend umfänglich erforscht und beschrieben worden. An dieser Stelle soll es ausreichen, nur diejenigen Aspekte der Übertragung zu erörtern, die in Zusammenhang mit dem Einstimmungsphänomen in anderem Licht erscheinen.

Die Psychoanalyse und ihre Ableger unterscheiden traditionell zwischen der sog. „positiven“ und „negativen“ Übertragung. Hierunter subsummiert man die all jene Gefühle und Empfindungen, die der Klient aus den Prägungen seiner Vergangenheit auf den Therapeuten überträgt. Diese können sowohl positive, idealisierende, sehnsuchts- und liebevolle Gefühle darstellen, aber auch misstrauische, kritische oder aggressiv-destruktive.

Etwas sarkastisch könnte man sagen, dass die „positiven Übertragungen“ dem Psychotherapeuten und seiner Arbeit nützen und diese voranbringen, die „negativen Übertragungen“ beide behindern, ausbremsen oder sogar verunmöglichen.

Vertrackter wird dieses Modell dadurch, dass es nach der psychoanalytischen Theorie durchaus sein kann, dass hinter der positiven Übertragung eine latente negative Übertragung verborgen ist, die negative Übertragung durch eine positive kaschiert ist und der therapeutische Prozess stagniert.

Wilhelm Reich war meines Wissens der erste Psychoanalytiker, der diese Gefahr beobachtete und theoretisch (in seinem berühmten Buch Charakteranalyse) herausgearbeitet hat.

Deshalb begann Reich seine analytischen und später seine orgontherapeutischen Sitzungen häufig mit der Herausarbeitung negativer Übertragungsanteile seiner Klienten, die er z. B. fragte: „Was denken Sie über mich? Was haben Sie über den verrückten Professor gehört in ihrem Umfeld? Was sind Ihre Vorbehalte meiner Arbeit gegenüber? Was sagt Ihr Misstrauen gegen mich?“

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 9. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (74): Das Phänomen Einstimmung


Was dir jetzt dunkel erscheint,
wirst du mit glühendem Herzen erhellen
(Rainer Maria Rilke)

Einstimmung ist eines jener geheimnisvollen Phänomene, die im Kontakt zwischen Menschen auftreten, ohne dass es den Beteiligten immer bewusst ist, was da eigentlich geschieht oder nicht geschieht. Gleichzeitig ist die Einstimmung ein wertvolles Element im transformativen Prozess, denn es greift auf archaische Wirkkräfte zurück, die tief in unserem Körper-Seele-System verankert sind.

Mit Einstimmung bezeichne ich die Dualität einer energetischen Verbindung und eines gleichzeitigen Austausches von Informationen auf Grundlage dieser Verbindung. Was bedeutet das im Einzelnen?

Nehmen wir eine Situation, die jeder kennen dürfte: A kommt hochgradig aufgeregt, erregt, von einem stressigen Arbeitstag nach Hause, wo B hingegen ihn wartet. B befindet sich in einer anderen, nämlich eher ruhigen, entspannten Stimmung. Betrachten wir beide von einem rein energetischen Standpunkt, wird erkennbar, dass sich  jeder auf einem anderen organismischen und emotionalen Erregungsniveau befindet. Was passiert bzw. kann passieren?
  1.  A kommt energetisch runter, beruhigt sich, stimmt sich in die ruhige, entspannte Stimmung von B ein.
  2. B erregt sich ebenfalls, wird ebenso aufgeregt wie A, so dass sich beide auf einem hohen, aber gleichen Energieniveau  wiederfinden.
  3. A und B verharren jeweils auf dem gleichen Energieniveau, auf dem sie sich vorher befanden.
In welchen der 3 Konstellationen entsteht nach Ihren Erfahrungen energetischer Kontakt, in welcher keiner?

Antwort: Die ersten beiden Konstellationen machen es sehr wahrscheinlich, dass beide Personen miteinander in Kontakt treten, d. h. zusammen schwingen wie zwei Tänzer, die einen gemeinsamen Rhythmus finden (was nicht unbedingt bedeuten muss, dass sie sich in Variante 1 genau zuhören).

In der 3. Variante ist das eher nicht zu erwarten, weil jeder in seinem eigenen energetischen Status verharrt, deshalb keine Verbindung entsteht und das sich „Hineinversetzen in den Anderen“ deshalb sich eher schwierig gestalten dürfte.

Das erste, was wir also feststellen können ist, dass ein gleiches Energieniveau, ein gleicher organismisch-emotionaler Zustand die Verbindung zwischen Menschen erleichtert, weil es ermöglicht, sich mit dem anderen Menschen verbunden zu fühlen in seinem energetisch-emotionalen Zustand. Dies ist der erste Aspekt dessen, was wir hier als Einstimmung bezeichnen.

(Fortsetzung folgt)

Sonntag, 6. März 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (73): Des Pudels Kern

Wir haben es also in dieser Fallvignette mit drei Beziehungsmustern zu tun, die eine Schnittmenge der Persönlichkeit bilden: Die Beziehung zu sich selbst, die Beziehung zu anderen Menschen und die Übertragungsbeziehung im transformatorischen Prozess.

Das in der Übertragungsbeziehung und in der Gegenübertragung erkennbare Muster, welches in diesem Fall das eines grundlegenden Misstrauens repräsentierte, wies den Weg auf die entsprechenden psychischen Muster in der Selbstbeziehung und den Objektbeziehungen.

Es muss allerdings angemerkt werden, dass die Sichtbarkeit dieses funktionalen Parallelismus nicht immer so offensichtlich auf den Hand liegt wie in dem vorgestellten Fall. Oft bleibt das seelische Grundmotiv, mit der ein Mensch sich selbst und der Welt begegnet, verborgen unter einer Oberfläche von Symptomen und Verhaltensmustern, die das Wesentliche verbergen.

Deshalb bieten die Gegenübertragungsinformationen, also die Empfindungen und Gefühle, die beim Therapeuten in der Begegnung zum Anklang gebracht werden und die insbesondere in der ersten Begegnung typischerweise mit Deutlichkeit hervortreten, wichtige Hinweise auf dieses Grundmotiv.
Ja, man könnte sagen, dass bei entsprechender Achtsamkeit und Bewusstheit die gesamte Geschichte eines Menschen in seiner Biografie und die Geschichte seines kommenden Transformationsprozesses wie ein offenes Buch vor uns liegen.
  
Eine Wahrnehmung, die von Achtsamkeit und der Bewusstheit eines offenen Herzen bestimmt ist, wird in vielen Fällen zeigen können, dass dieses Grundmotiv jeder Persönlichkeit in der Regel die Art und Weise ist, in der ein Mensch gelernt hat, sein Herz zu schützen. Der orale Charakter hat hier z. B. völlig andere Persönlichkeitsmuster vorzuweisen als der hysterische, die analen Charaktere wiederum andere als die phallischen usw.

Ich behaupte, dass hier der Kern jeder Persönlichkeitsbildung gefunden werden kann. Es wird entsprechenden Ausführungen an anderer Stelle vorbehalten sein, diesen Zusammenhang aufzuzeigen.

(Fortsetzung folgt)