Mittwoch, 26. Juli 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (186): Abschied


foto: vkd

Am Ende des Transformationsprozesses stehen nicht mehr die Dramen der Vergangenheit und die Perspektive erlittenen Leids, sondern die Gegenwart der authentischen Gefühle aus der Tiefe des Herzens.

Die authentischen Gefühle aus der Tiefe des Herzens berühren. Sie berühren auch emotionale Muster und Erfahrungen von Abschied.

Ein guter Abschied einer Jahre andauernden therapeutischen Beziehung verstehen wir als einen Prozess, der sich über mehrere Sitzungen hinzieht und verschieden Phasen durchläuft.

Zunächst erscheint es hilfreich, die familiären und biografischen Programme zu kennen, welche durch diese Konstellation tangiert werden. Wie ging man in der Herkunftsfamilie mit Abschied um? Schob man Sachlichkeit, Rationalität oder Zwänge des Organisatorischen vor, um eine herzliche Umarmung zu vermeiden? Vermied man den Gefühlsausdruck von Trauer, indem Distanz oder gar Streit heraufbeschworen wurde?

Eine gute Vorbereitung des Abschieds kann ein Rückblick auf die Geschichte der gemeinsamen Zeit darstellen. Dabei rücken zwei Blickfelder in den Vordergrund: Wie habe ich als Klient und als Mensch die verbundene Erfahrungsgeschichte von heute aus betrachtet, erlebt? Was waren für mich therapeutisch und menschlich die eindrucksvollen Augenblicke?

Diese Blickwinkel bilden die Vorbereitung, um all das zu besprechen und zu beantworten, was ggf. noch unausgesprochen geblieben ist, noch gesagt werden will. Der Hinweis, dass es die letzte Möglichkeit darstellt, noch unerledigte Themen und offene Kreise zu schließen, richtet die Aufmerksamkeit stärker nach innen, auf die innere Wahrheit.

Damit nähert sich der Abschiedsprozess deutlich der Gefühlsebene. Wenn zwei Herzen, die eine intensive und langandauernde Bindung eingegangen sind, sich voneinander lösen, dann rührt dies viele Gefühle an: vor allem Liebe, Vertrautheit, Traurigkeit, Abschiedsschmerz. Tränen, die in einer Umarmung fließen, spiegeln die Bindung und den Fluss der Liebe zwischen zwei Menschen.
 
Authentisch und achtsam mit allem zu sein, was an Gefühlen in diesem Moment zum Ausdruck drängt, bildet den roten Faden eines Abschieds jenseits der Funktionen und sozialen Rollen. Ist das Vergangene kommuniziert, bleiben nur wenige Augenblicke, denn es gibt kein gemeinsames Morgen mehr. Die volle Gegenwärtigkeit des letzten Augenblicks beglückt als heilende Erfahrung eines Abschieds, in dem die Fäden der Liebe auseinandergehen mögen, doch nicht zerreißen.

DER LETZTE ABSCHIED

Bald ist alles gesagt.
In einer Umarmung,
die Worte erstickt.

Ein letztes Mal, das
Licht deiner Augen.
Der Blick verweht.

Ein Stein sinkt in die
Tiefe. Still stehen
wir in wunder Zeit.

Stehen einen ewigen,
unwiderruflichen
Augenblick in Fluten,

im Mahlstrom von Trauer
und Liebe. Da ist so viel,
überwältigend viel davon.

Ich zittere. Trete den ersten
Schritt, fort von dir, vor den
Vorhang unserer Tränen.

Das letzte Bild von dir gräbt
sich ins Stakkato der Gefühle:
Ein Mal des Augenblicks.

Nach Ewigkeiten hebt sich
mein Blick. Ein Vogel
flattert auf, zum Himmel.


(Fortsetzung folgt)

Samstag, 22. Juli 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (185): Der letzte Satz in der Symphonie des Herzens

foto: vkd
Einen anderen Menschen nah und durchgängig physisch an sein Herz »heranzulassen«, kann eine beunruhigende Vorstellung sein. Als ob der andere Mensch etwas wahrnehmen könnte, das man selbst nicht wahrhaben will. Die tiefen Geheimnis der Seele?

Abwehrimpulse und Ängste bilden ein Hinweis darauf, wie intimitätsblockiert der Mensch ist. Intimität, ist sie wahrhaftig, bleibt nah mit dem Herzen verbunden, im Allgemeinen intimer als mit der der Sexualität, sowohl in der Begegnung mit sich selbst als auch mit einem anderen Menschen.

Eines wird in der seinsorientierten Transformation deutlich: Wir begegnen in der Tiefe stets einem gebrochenen Herzen. Das gebrochene Herz bildet den Nährboden für die Entwicklung des Egos, und zwar bereits in den ersten Lebensmonaten.

Forschungen der letzten Jahre weisen darauf hin, dass bereits Babys über ein ausgeprägtes Mitgefühl verfügen. Einfühlungsvermögen, Kontaktfähigkeit und die Bereitschaft zur Hilfe gehören, wie bei allen sozialen Tieren, zur anthropologischen Grundausstattung. Die Forscher deuten dies als essentielle Überlebensstrategie, hilfsbereite und kooperative von bedrohlichen Individuen zu unterscheiden.

Diese natürliche Grundausstattung, das zeigen die Experimente, verändern sich, wenn die Babys älter werden. Vor dem 6 Monaten finden sich soziales Einfühlungsvermögen und Mitgefühl bei allen Babys, später, unter modellierenden Einflüssen der Umwelt, breitet sich mehr und mehr eine egozentrische Weltsicht aus, in der diese natürliche Sozialität verloren gehen kann (vgl. Hamlin, J. Kiley, Wynn, Karen, Bloom, Paul, 2007).

Diese Forschungen bestätigen unsere Prämisse, dass der »biologische Kern« (W. Reich) oder »Kernselbst« durch die Lebensumwelt geformt wird. Natur wird zur Kultur. Die Globalisierung findet sich auch in der kulturellen Gleichschaltung der Seelen, in der globalen Identifizierung mit dem narzisstischen Ego, die bereits in den Formungen der allerfrühesten Kindheit ihren Anfang nimmt. Den Nährboden dafür bilden Kontakt- und Bindungsstörungen, das früh gebrochene Herz und die verzerrte Wahrnehmung davon, was das Wesen eines Kindes ist (die sich erfreulicherweise zumindest im Bereich der Forschung in den letzten Jahren zu korrigieren beginnt).
 
Das narzisstische Ego, die Identifizierung mit dem Ego-Verstand lassen sich zunächst als Heftpflaster, dann als Wundverband und schließlich als fest verwachsenen Schutzpanzer interpretieren, der den Schmerz eines gebrochenes Herzens einstmals lindern sollte.

Herz und Schmerz, bei aller Banalität, bilden zwei Seiten derselben Medaille. Wenn wir das Herz authentisch fühlen, dann kontaktieren wir die tiefe Verwundung im Kern unserer Persönlichkeit. Dieser Schmerz ist es, der Abwehr, Angst und Schrecken auslöst, aber ebenso verhindert, das Herz in uns für uns selbst und andere Menschen zu öffnen und offen zu halten. Dieser Schutzpanzer bzw. die Identifizierungen mit dem narzisstischen Ego bringen eine Liebesunfähigkeit hervor, welche viel Leid auf der Seinsebene nach sich zieht.

Doch zurück zu den praktischen Konsequenzen. Der oben beschriebene »durchgängige Herzhalt« empfiehlt sich erst in der letzten Phase des Transformationsprozesses. Er bedarf der Durcharbeitung all dieser Abwehr- und Vermeidungsmuster, die noch wirken bzw. sich in der Endphase dramatisieren. Die gute Nachricht ist, dass sie bedeutend schneller und effektiver überwunden werden als in der Prozessphase. Es erklingt hier der letzte Satz der Symphonie des Herzens.

Wie auch immer er verläuft, spektakulär, ekstatisch oder in genussvoller Stille, der »durchgängige Herzhalt« wird zur tiefen Erfahrung zwischen zwei Herzen, die sich begegnen und verbinden. Er wird zur Matrix von Bindung und Liebe, die der Klient in sein Leben nimmt.

(Fortsetzung folgt)

Donnerstag, 13. Juli 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERERFAHRUNG (184): Körpertherapeutische Erfahrungsdimensionen der Abschlussphase

Foto: vkd
 Die Endphase stellt sich als Phase der Herzöffnung dar. Das Kernselbst, die liebende Natur der Persönlichkeit, die in der Regel verzerrt in der Selbstwahrnehmung gespiegelt ist, klärt sich. Das Wasser des Bewusstseins, zuvor getrübt durch die Identifizierungen mit demLeid der Vergangenheit, klart sich auf.

Dieser Klärungsprozess beinhaltet im Grunde die Wiedergeburt der authentischen Stimme des Herzens. Die Wahrheit des Herzens bleibt nicht länger eine sentimentale Marginale des Seelenlebens. Sie entwickelt sich zur gefühlten Heimat. Eine solcher Prozess geht einher mit dem Gefühl inneren Friedens, ja, dieser Status inwendigen Friedens und der Friedfertigkeit erweisen sich als Gradmesser für den Stand der Transformation. Was als innerseelischer Bürgerkrieg und Heimatlosigkeit auf dem Schlachtfeld der Seele begann, endet idealerweise in einem Zustand tief empfundenen Friedens und seelischer Heimat.

Auf der energetischen Ebene entspricht dem die Reorganisierung der »basalen Energieströme« zwischen Herz und Augen, Herz und oralem Segment, Herz und Bauch und Herz und Becken.

Bei den »basalen Energieströme« handelt es sich um jene energetischen Phänomene, die mit dem Kontakt zu anderen Menschen in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Wie frei oder gehemmt/blockiert ist der jeweilige Energiestrom? Der Energiestrom Herz-Augen ermöglicht den Ausdruck von Authentizität, Präsenz, Empathie und allen anderen Qualitäten »emotionaler Kompetenz«. Der Energiestrom Herz-Mund betrifft alles, was mit der Präsenz des gesprochenen Wortes, aber auch mit der Stimme im allgemeinen zu tun hat. Der Energiestrom Herz-Bauch beschreibt die Balance zwischen Empfindung, Gefühl und Emotion. Der Energiestrom Herz-Becken beschreibt die Verbindung von Herzgefühlen zur Sexualität.

Eine ebenso profane wie fundmentale Körpererfahrung ist der »durchgängige Herzhalt«, den ich hier exemplarisch vorstellen möchte. Profan deshalb, weil er im Grunde nichts anderes darstellt als eine Umarmung im direkten Brust-Brust-Kontakt zwischen Klient und Therapeut. Eine Umarmung, die jedoch einige Besonderheiten aufweist:
  • Es gibt keine Zeitbegrenzung für diesen Kontakt; d. h. sie kann ggf. eine halbe Stunde oder länger andauern.
  • Phasen der Umarmung im Augenkontakt wechseln organisch mit Phasen ohne Augenkontakt.
  • Der Selbstkontakt des Therapeuten und seines Klienten ist auf das eigene Herz und seine Reaktionen auf die Herzverbindung gerichtet.
  • Alles, was wahrgenommen wird, liefert Hinweise auf noch vorhandene Blockaden und damit verbundene Ängste und Phantasien, die anschließend thematisiert werden.
(Fortsetzung folgt)

Samstag, 8. Juli 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (183): Das Tauschgeschäft in der therapeutischen Beziehung

Foto: vkd
Erst dann, wenn Licht- und Schattenseiten des Therapeuten in der Wahrnehmung des Klienten nebeneinander existieren, können wir die wesentlichen Übertragungsanteile als aufgelöst betrachten.

Hier steht der Therapeut vor der Herausforderung, jene aus der Psychoanalyse stammende Abstinenzregel nicht nur zu kündigen, sondern ihr entgegenzuwirken, indem er sich offen und ehrlich auch mit seinen Schattenseiten und authentischen Persönlichkeitsanteilen zeigt. Auf diese Weise wird die Übertragungsbeziehung auf einer menschlichen Ebene geerdet und die Dominanz ihrer Regressionsanteile entscheidend gemindert.

Analog zu den idealisierenden Übertragungen nehmen also die Regressionen ab. Die Realitätsanteile von Beziehung überwiegen. Denn ein Aspekt der uferlos idealisierenden Übertragungen findet sich in dem Phänomen, dass der Klient den Therapeuten in erster Linie als Projektionsfläche seiner Ich-Ideale und Allmachtsphantasien inszeniert, als reine Kunstfigur. Auf einer subtilen Ebene findet sich in der grandiosen narzisstischen Übertragung auf den Therapeuten ein entscheidender Anteil von egozentrischer Selbstaufwertung. Indem ein Klient seinen Helfer großartig phantasiert, setzt er sich selbst als besonders und einzigartig.

In diesem Vorgang verbirgt sich eine Falle, nämlich dass es zu einem stillschweigenden Arbeitsbündnis zwischen dem narzisstischen Ego des Klienten und dem des Therapeuten kommt. Ein fataler Pakt, denn der Deal zweier Egos läuft darauf hinaus: »Ich, der Klient, idealisiere und verehre dich in deiner Großartigkeit und Genialität und dafür erwarte ich von dir, dass du mein Ego mit Samthandschuhen bzw. am besten überhaupt nicht anfasst.«

Man erkennt hier unschwer die Reinszenierung jenes Tauschgeschäfts, den man gemeinhin für »Liebe« hält, den jedes Kind mit den Eltern eingegangen ist: Es lernte, sich auf Mutter und Vater in einer Weise zu beziehen, die ihren Erwartungen und falschen Selbstbilder entsprach. Dafür verleugnete das Kind seine innere Wahrheit und bekam jene Dosis von Zuwendung, welche der Liebesfähigkeit der Eltern entsprach.

Für die Reinszenierung dieses Vorgangs in der Therapeut-Klient-Beziehung sprechen manche Hinweise:
•    Der Klient blendet egozentrisch alles aus, was den Menschen hinter der Funktion Therapeut betrifft.
•    Er empfindet es als störend und unangenehm, mit Faktoren in Berührung zu kommen, die an der glanzvollen Aura der Therapeuten-Kunstfigur kratzen könnten.
•    Der Therapeut unternimmt alles, um die Aura seiner Grandiosität und Vollkommenheit zu pflegen. Er inszeniert sich z. B. als Seher, der die Zukunft erkennt oder als brillanter Analytiker, der die Vergangenheit durchschaut. Dass sich in diesem Verhalten ein narzisstisches Ego spiegelt, ist unschwer zu erkennen.
•    Der Klient erhebt den Therapeuten zum Hollywood-Helden, zur unberührbaren Ikone, die er besitzt. Sein narzisstisches Ego bläht sich auf, statt zu schrumpfen. Ein Klient, der darin gefangen bleibt, verharrt in seiner Unfähigkeit zu lieben und im innerseelischen Bürgerkrieg.

Daraus ergibt sich die Aufgabe für den Therapeuten, die narzisstischen Ego-Programme im Auge zu behalten, um die neurotischen Anteile im Beziehungsverhalten des Klienten zu bearbeiten. Dessen regressiver Druck stellt die Indikation dafür dar, ob es Entwicklung gibt oder nicht.

Denn am Ende des Prozesses stehen nicht mehr die Dramen der Vergangenheit und die Perspektive erlittenen Leids, sondern die Gegenwart der authentischen Gefühle aus der Tiefe des Herzens.

(Fortsetzung folgt)