Dienstag, 17. November 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (40): Die Dominanz des Gehirns in der Sexualität



Diese Orientierung am Messbaren, diese Vorliebe dafür, sich mit anderen zu vergleichen (was ist normal?), dieses Arbeits- und Leistungsverständnis von Sexualität deuten nicht nur auf eine tiefer liegende Unsicherheit in der sexuellen Identität des Einzelnen. Sie zeigen ebenso die Dominanz des Verstandes, seiner Urteile und Kontrollzwänge in der gelebten Sexualität.

Das gilt insbesondere auch für die körperlich-seelische Begegnung und den Sexualakt als solchen. Das mechanische und beschleunigte Abarbeiten von mechanischen Stoßbewegungen, treffend als „Ficken“ bezeichnet, wird häufig ergänzt durch pornografische und zwanghafte Phantasietätigkeit und Zwangshandlungen. Beide repräsentieren das gehirndominierte und gehirnkontrollierte Verständnis der sexuellen Liebe.

Sie sind nicht frei, sondern zwanghaft. Sie sind – vielleicht abgesehen von der Phase des ersten Verliebt Seins – nicht von Offenheit und Liebe für einen anderen Menschen getragen, sondern deuten auf einen Gefühlswirrwarr von  sadomasochistischen Impulsen, Wut- oder sogar Hassgefühlen, Eifersucht, Macht- und Kontrollbedürfnissen mit dem gleichzeitigen Wunsch nach narzisstischer Spiegelung der eigenen Großartigkeit.

Eine oft zitierte Frage von Männern nach dem Sexualakt „War ich gut?“ – „Ja, Schatz, du bist der Beste“, über die gerne in Komödien und gelacht wird, erhält so eine durchaus tragische Komponente: auf einer tieferen Ebene deutet es auf das Gefangensein vieler Männer in Unsicherheit, Leistungsdenken und die Dominanz des Verstandes. In diesen Kontext passt komplementär die – um eine weiteres Klischee zu benutzen – scheinbar typische Frauenfrage nach dem Akt „Liebst du mich?“, die auf eine tiefe Unsicherheit im Gefühlsleben deutet, das durch die sexuelle Begegnung verändert wurde.

Beide, Mann und Frau, scheinen gefangen zu sein in den Rollen eines Dramas, in dem sie mit wachsender Unlust Texte zum Besten geben,  deren Sinn sie nicht verstehen.

Eine Suche nach der Verbindung auf einer tieferen Ebene als die des leistungsorientierten Verstandes führt uns zwangsläufig zu der Frage, was überhaupt Liebe und Sexualität jenseits der Dominanz und Kontrolle des Verstandes sein könnte.

Wohin sollte man schauen, um einen Blick auf eine von der Dominanz des Verstandes befreite sexuelle Liebe zu erhaschen?

(Fortsetzung folgt)