Dienstag, 30. August 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (110): Halt und Entschleunigung


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Wenn wir uns vor Augen führen, dass Klienten in der Regel in ihrer frühkindlichen und späteren Entwicklung derartige Erfahrungen von Halt nicht ausreichend machen konnten, dann wird klar, wie wirkungsvoll eine positive oder negative Halterfahrung für Entwicklungen im Transformationsprozess sein dürfte.

Diese Mangelerfahrung stellt sich nicht nur als Mangel an Körperlichkeit, Kontakt und Zuwendung dar, sondern enthält auch defizitäre Erfahrungen von Entschleunigung, um einen Modebegriff zu verwenden. Im Halten und Gehaltenwerden betreten wir eine Insel der Präsenz und der Beruhigung inmitten des Sturms eines von Daueraktivität und Hektik bestimmten Lebens.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Defizite von Halt, Ruhe und Entspannung in der Mutter-Kind-Dyade Spuren in Körper und Seele hinterlassen und die Körperseele prägen. Dass Halt- und Ruhelosigkeit längst den Bereich der Säuglingsphase und frühen Kindheit erreicht haben, lässt sich an manchen modernen Symptomen ablesen, wie z. B. das Schreibaby-Syndrom, das ADHS-Syndroms und dir eklatante Zunahme der sog. frühen Störungen.

Es ist naheliegend, dass in vielen Fällen Menschen mit unterschiedlichen Themen den transformatorischen Weg (hiermit sind sowohl psychotherapeutische als auch spirituelle Pfade der Selbstveränderung gemeint) gerade deshalb beschreiten, weil sie unbewusst nach Halt, Ruhe und Sicherheit suchen, die sie in ihrer frühkindlichen Entwicklung nur unzureichend machen konnten.

Defizite an Halt zeigen sich in unterschiedlichen Ausprägungen von Haltlosigkeit. Diese manifestieren sich typischer Weise in Unsicherheit und Orientierungslosigkeit: im Bereich Liebe und Sexualität, in sozialen Beziehungen, in Beruf und Lebensperspektive.

Zentrales Anliegen der seinsorientierten Körpertherapie ist es, diese nicht geschlossen Kreise mangelnder Halterfahrung auf der energetischen und symbolischen Ebene zu schließen. Neben dem Aspekt des „haltenden Halts“ spielt in der körpertherapeutischen Arbeit die Dualität von Energie und Berührung, von energetischer Information und der haltenden Berührung selbst, eine zentrale Rolle. Wie dies in der praktischen körpertherapeutischen Arbeit aussieht, davon soll im Folgenden die Rede sein.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 27. August 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (109): Die haltende Haltung

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Führen wir nun einige Fäden zusammen, die in den letzten Abschnitten erörtert wurden: Die instinktiv-biologischen Erwartungen, insbesondere das frühkindliche Bedürfnis nach Halt, Geborgenheit und liebevollem Kontakt, bleiben, unabhängig von realen Erfahrungen, ein -- meist verborgener -- Selbstanteil, der ein Leben lang bleibt. Sie bleiben die Grundlage instinktiven Verhaltens des Erwachsenen gegenüber seinen Kindern, aber auch die Grundlage jedweder seelisch-psychischer und seelisch-spiritueller Transformation.

Die instinktiv-biologischen Erwartungen manifestieren sich, wie wir gesehen haben, gleichzeitig in der inneren Vorstellung einer „guten Mutter“ oder eines „guten Vaters“, welche in der seinsorientierten Körpertherapie ebenso mobilisiert wird und allgemein eine Grundlage positiver Übertragungen repräsentiert.

In der Körpertherapie kann dieser verborgene Selbstanteil zum Leben erweckt werden, indem der Klient darin aktiv unterstützt wird, die für ihn stimmige und wahre Berührung in sich abzurufen. In diesem Zusammenhang ist die Erfahrung des „richtigen“ Halts und Gehaltenwerdens von entscheidender Bedeutung. Eine haltende Berührung ist nämlich keine technische Intervention des Machens und Veränderns, sondern eine des Seins und der kontaktvollen Präsenz. Halt verstehen wir nicht nur als eine körpertherapeutische Herangehensweise, sondern als eine ganzheitliche, seelisch-energetische Kontaktqualität (siehe hierzu unsere Ausführungen 74 ff.). Nennen wir es die „haltenden Haltung“.

Wie lässt sich diese „haltende Haltung“ des Therapeuten bzw. der Therapeutin beschreiben? Beginnen wir beim Offensichtlichen. Dazu sind einige Stichworte sind bereits gefallen. Wir können von Begleitung sprechen, von „Bejahung des So-Seins“, also von einer Grundhaltung, die bestimmt ist von unmittelbarer, liebevoller Akzeptanz dessen, was ist – und eben nicht durch ungeduldigen und ruhelosen Aktivitäts- und Arbeitsdrang zur Herstellung dessen, was (noch) nicht ist – und möglicherweise nie sein wird.

Liebevolle, bejahende Akzeptanz, Halt und haltende Haltung werden naheliegender Weise besonders dort angebracht sein, wo sich im Verlaufe des Prozesses Situationen oder Phasen zeigen, in denen der Klient „schwierig“ wird, nicht mehr das pflegeleichte, brave Kind, sondern das rebellische, aggressive oder stoisch am Symptom festhaltende, also negative Übertragungsanteile an die Oberfläche dringen.

Dies sind entscheidende Phasen, in denen sich zeigt, ob Halt wahrhaftig, fühlbar vorhanden ist oder nur eine hohle Phrase, die verstummt, sobald der Donner grollt.

(Fortsetzung folgt)

Mittwoch, 24. August 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (108): Spuren in Körper und Seele

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In der vorsprachlichen Entwicklungsphase des Menschen sind neben der Körpersprache Laute, insbesondere das Schreien des Babys, Signale an seine Umwelt. Ein Baby drückt sein Bedürfnis nach Zuwendung und Halt instinktiv auf diese Weise aus.

Doch was geschieht, wenn es keine Reaktion auf seine Signale auslöst? Weil niemand da ist, weil die Eltern fernsehgucken oder statt ihrem Instinkt irgendwelchen Ratgebern folgen oder befürchten, ihr Baby zu „verwöhnen“, wenn sie es bei auf den Arm nehmen … was passiert dann eigentlich mit dem Baby?

Wiederholen sich solche Erfahrungen, ist zu erwarten, dass diese zu einem Erfahrungsmuster werden und sich in bestimmten Erwartungen verfestigen: z. B. „es kommt ja doch niemand und nimmt mich auf den Arm“. Wahrscheinlich verstummt dann das Baby nach einiger Zeit, resigniert, zieht sich zurück und hat eine Lektion für sein Leben gelernt: „Ich bin isoliert, niemand ist für mich da, ich bin nicht wichtig für andere usw.“

Ein solcher Rückzug findet gleichzeitig auf einer körperlichen und einer seelischen Ebene statt.

Körperlich ist zu erwarten, dass sich die Lebensenergie und Lebendigkeit aus den Gliedmaßen und den für den stimmlichen Selbstausdruck verantwortlichen Bereichen (Mund- und Halssegment) zurückzieht. Arme, Hände, Beine und Füße erschlaffen, was z. B. an einer niedrigeren Grundtemperatur in diesen Bereichen erkennbar wird. Chronisch kalte Hände und chronisch kalte Füße beim größeren Kind oder beim Erwachsenen, sowie ein leise, nach innen gerichtete Stimme bilden einen Hinweis auf derartige Erfahrungen und energetischen Rückzug in frühester Kindheit.

Auf der seelischen Ebene bilden sich parallel Entsprechungen im innerseelischen Universum und im äußeren Verhalten des Kindes. Es wird eher dazu neigen, sich von der Welt und seinen Objekten eher zurück zu ziehen, sich in der weiteren Entwicklung als Kind und später als Erwachsener brav und pflegeleicht zu präsentieren. Im innerseelischen Universum und in der Selbstbeziehung sind hingegen autoaggressive und depressive Weltwahrnehmungen und Haltungen zu erwarten.

Noch ein anderer Aspekt: In der Regel hat ein Mensch keine eigenen Erinnerungen an das erste Lebensjahr, aber dürfen wir ernsthaft annehmen, dass solche Erfahrungen der frühesten Kindheit spurlos an einem Menschen vorüber gehen? Das Baby mag zwar sein Schreien eingestellt haben, aber ist deshalb das Bedürfnis nach Zuwendung und Halt verschwunden?

Man wird kein Schreien mehr hören, aber es ist vorstellbar, dass dieser Mensch sein Leben lang Schwierigkeiten damit hat, seine eigenen Bedürfnisse deutlich zu artikulieren und für sie zu einzutreten. Ein Verhaltensmuster, das insbesondere für die oralen Charakterprozessen typisch ist.

Wir gehen also davon aus, dass frühkindliche Erfahrungen persönlichkeitsbildend sind. Je stärker sie den instinktiven Erwartungen des Menschen zuwiderlaufen und je früher sie sich ereignen, desto tiefer sind die Spuren, die sie in Körper und Seele hinterlassen.

(Fortsetzung folgt)