Mittwoch, 24. August 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (108): Spuren in Körper und Seele

Foto: vkd

In der vorsprachlichen Entwicklungsphase des Menschen sind neben der Körpersprache Laute, insbesondere das Schreien des Babys, Signale an seine Umwelt. Ein Baby drückt sein Bedürfnis nach Zuwendung und Halt instinktiv auf diese Weise aus.

Doch was geschieht, wenn es keine Reaktion auf seine Signale auslöst? Weil niemand da ist, weil die Eltern fernsehgucken oder statt ihrem Instinkt irgendwelchen Ratgebern folgen oder befürchten, ihr Baby zu „verwöhnen“, wenn sie es bei auf den Arm nehmen … was passiert dann eigentlich mit dem Baby?

Wiederholen sich solche Erfahrungen, ist zu erwarten, dass diese zu einem Erfahrungsmuster werden und sich in bestimmten Erwartungen verfestigen: z. B. „es kommt ja doch niemand und nimmt mich auf den Arm“. Wahrscheinlich verstummt dann das Baby nach einiger Zeit, resigniert, zieht sich zurück und hat eine Lektion für sein Leben gelernt: „Ich bin isoliert, niemand ist für mich da, ich bin nicht wichtig für andere usw.“

Ein solcher Rückzug findet gleichzeitig auf einer körperlichen und einer seelischen Ebene statt.

Körperlich ist zu erwarten, dass sich die Lebensenergie und Lebendigkeit aus den Gliedmaßen und den für den stimmlichen Selbstausdruck verantwortlichen Bereichen (Mund- und Halssegment) zurückzieht. Arme, Hände, Beine und Füße erschlaffen, was z. B. an einer niedrigeren Grundtemperatur in diesen Bereichen erkennbar wird. Chronisch kalte Hände und chronisch kalte Füße beim größeren Kind oder beim Erwachsenen, sowie ein leise, nach innen gerichtete Stimme bilden einen Hinweis auf derartige Erfahrungen und energetischen Rückzug in frühester Kindheit.

Auf der seelischen Ebene bilden sich parallel Entsprechungen im innerseelischen Universum und im äußeren Verhalten des Kindes. Es wird eher dazu neigen, sich von der Welt und seinen Objekten eher zurück zu ziehen, sich in der weiteren Entwicklung als Kind und später als Erwachsener brav und pflegeleicht zu präsentieren. Im innerseelischen Universum und in der Selbstbeziehung sind hingegen autoaggressive und depressive Weltwahrnehmungen und Haltungen zu erwarten.

Noch ein anderer Aspekt: In der Regel hat ein Mensch keine eigenen Erinnerungen an das erste Lebensjahr, aber dürfen wir ernsthaft annehmen, dass solche Erfahrungen der frühesten Kindheit spurlos an einem Menschen vorüber gehen? Das Baby mag zwar sein Schreien eingestellt haben, aber ist deshalb das Bedürfnis nach Zuwendung und Halt verschwunden?

Man wird kein Schreien mehr hören, aber es ist vorstellbar, dass dieser Mensch sein Leben lang Schwierigkeiten damit hat, seine eigenen Bedürfnisse deutlich zu artikulieren und für sie zu einzutreten. Ein Verhaltensmuster, das insbesondere für die oralen Charakterprozessen typisch ist.

Wir gehen also davon aus, dass frühkindliche Erfahrungen persönlichkeitsbildend sind. Je stärker sie den instinktiven Erwartungen des Menschen zuwiderlaufen und je früher sie sich ereignen, desto tiefer sind die Spuren, die sie in Körper und Seele hinterlassen.

(Fortsetzung folgt)

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