Sonntag, 31. Dezember 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (223): Die Geburtsstunde des »Seinshalts«


Mit solchen Erfahrungen und Fragen im Hinterkopf wartete ich gespannt darauf, ob und wann ich dem Trancephänomen in der Praxis wiederbegegnete.

Bereits einige Wochen später fand eine Klientin den Weg zu mir, die depressive Persönlichkeitsmuster und energetisch-chronische Erschöpfung zeigte. Es ließ sich bei ihr eine spontane Neigung zu Trancezuständen beobachten, die sie gleichzeitig zu blockieren und zu kontrollieren versuchte. Die Halsstarrigkeit in der Körperhaltung sprang ins Auge. Eine deutliche Spaltung zwischen dem kontrollierenden Kopf und einem davon abgetrennten Körperbewusstsein manifestierte sich in ihrem einem, unbeweglichen Halssegment (»halsstarrig«), eine Versteifung, gerichtet gegen jede Art von Nachgeben, Loslassen und Hingabe.

Beim klassischen Vorgehen hätte ich zunächst eine ausreichende energetische Ladung über die Atmung forciert, um über die erhöhte Spannung die muskulären Panzerungen im Nackenbereich effizient zu bearbeiten. Doch welche Alternativen blieben, wenn ein Organismus chronisch unterladen und erschöpft wirkt? Sollte ich erst einmal wochen- oder monatelang versuchen, das Energiesystem zu mobilisieren, um die energetische Ladung deutlich zu erhöhen? Galt es die Atemhemmungen, die die Ladungsprozesse behinderten, mühselig zu bearbeiten und zu überwinden? Oder gab es Alternativen?

An diesem Punkt versuchte ich einen neuartigen, intuitiven Weg: den des Haltgebens. Ein erster Schritt bestand darin, die Tranceneigung umzudeuten als einen natürlichen und zu unterstützenden Impuls. Ich hielt meine Hände unter den Nacken der Klientin, ohne etwas zu tun, ohne Druck auszuüben, zu massieren oder in einer anderen aktiven Weise zu intervenieren. Ich nutzte meine Berührungen nur, um Halt zu vermitteln, da zu sein: die Geburtsstunde des »Seinshalts«. Seine Wirkung erwies sich als phänomenal. Innerhalb weniger Minuten fiel die Klientin in spontane und tiefe Trance. Es machte den Eindruck, als ob die Präsenz meiner haltenden Hände ihr die Erlaubnis gegeben hätte, loszulassen und sich ihren Impulsen hinzugeben.

Ich nahm meine Hände nicht weg, ließ sie dort, wartete. Der Trancezustand dauerte an. Der Atem zeigte die typischen Muster der Entspannungsatmung, die ich auch bei Neugeborenen beobachten konnte: flache, kaum sichtbare Atembewegungen, unterbrochen durch ein-zwei tiefe und ausgiebige Atemzüge.

Nach ca. 20 Minuten kam die Klientin spontan aus diesem Zustand, streckte und reckte sich, sah rosig und entspannt aus, lächelte mich an (was sie bisher nicht getan hatte). Auf mein Nachfragen berichtete sie, sie fühle sich erholt, wohlig und erfrischt, beschrieb also Gefühle, die denen, die ich selbst bei der Cranio-sacralen Therapie erlebt hatte, verblüffend ähnelten.

Wenn die Tranceerfahrungen zeigten, dass sie energetisch kräftigten, den Kontakt erleichterten, statt ihn zu blockieren, sprach alles dafür, dieses Phänomen ausgiebiger zu erforschen. Im Laufe der Zeit lernte ich, dass Unterschiede in der Tiefe der Trance existierten. Gedanken- und Bildmuster traten auf, die gehirndominierte Selbstkontrolle lieferte aufschlussreiche diagnostische Hinweise auf Abwehrmuster, die die Persönlichkeitsstruktur kennzeichneten. Also letztlich auf die Frage, mit welchen Rationalisierungen und Gedankenmustern der Verstand Hingabe zu verhindern pflegt.

Der Seinshalt, den meine Hände vermittelten, indem sie berührten, präsent, liebevoll, unterstützend, und mit der entsprechenden inneren Haltung, ohne zu manipulieren, ohne zu forcieren, all dies erwies sich als zentrales Element zur Induktion einer tiefen Entspannung. Ich fand bald heraus, dass es unterschiedliche Körperregionen gibt, in denen diese Art Halt eindrucksvolle Resultate nach sich zog. Neben dem Nackenbereich zeigte sich dieser Effekt insbesondere im Rücken.

(Fortsetzung folgt)

Freitag, 29. Dezember 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (222): Die Entdeckung des Entregungsphänomens


foto: pixabay
Als junger Körpertherapeut, später als Trainer, machte ich Erfahrungen, die erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der seinsorientierten Transformation auslösten. Sie veränderten meine Sicht auf die Körperseele. Gleichzeitig ließen sie die Bedeutung des Halts und die Funktion des Haltgebens und der Energieprozesse in anderem Licht erscheinen.

In der Praxis begegnete mir bisweilen das Phänomen, dass Klienten während der Körperarbeit in einen tranceartigen Zustand glitten. Nach gängigen Einschätzungen interpretierte ich es zunächst als Widerstand und Abwehrverhalten. Meine Interventionen erfüllten die Funktion, den Klienten gezielt zurück auf die Aktivitätsschiene zu bringen, ihn aus dem Zustand dieses widerständigen »Aus-dem-Kontakt-Gehens« zu »befreien«.

In diesen Jahren interessierte ich mich bereits brennend für andere körpertherapeutische Modelle und Traditionen, nicht nur für diejenigen, die auf Reich zurückgingen. Eines Tages hörte ich von einem amerikanischen Körpertherapeuten und Zahnmediziner Martin Allen. Er bot Workshops in Cranio-sacraler Therapie an, ein Verfahren, das damals noch wenig Verbreitung in Deutschland fand. Eine Zeitlang nahm ich bei Martin an Weiterbildungen und Einzelsitzungen teil. Die cranio-sacrale Therapie mit ihrem Pulsationsmodell schien gut zum vegetativen Verständnis der Orgontherapie zu passen und erweiterte ihr Energiemodell auf einer feinstofflicheren Ebene.

Bei den Einzelsessions mit Martin Allen machte ich die irritierende Erfahrung, dass ich häufig schon nach wenigen Minuten in einen Trancezustand geriet, den ich als angenehm, entspannend und erfrischend empfand. Nach einer Sitzung fühlte ich mich energetisch »erhellt«, sensitiver in meiner Körperwahrnehmung, erfrischt und geläutert. Solche Empfindungen und Wahrnehmungen passten allerdings überhaupt nicht zur gängigen Interpretation des Trancezustands als Abwehrverhalten, die damals in der reichianischen Körpertherapie vorherrschte.

Dazu kam, dass die Cranio-sacrale Therapie keinerlei psychotherapeutische Dimension implizierte, es sich also um eine rein funktionale Körpertherapie handelte. Das Erklärungsmodell der Abwehr und der Kontaktvermeidung griff also nicht.

Eine zweite Erfahrungsquelle bildeten meine Studien zur frühkindlichen Entwicklung der Säuglingsphase, zusammengefasst in dem Beitrag »Orgonomische Aspekte des Stillens«. Insbesondere das Phänomen des oralen Orgasmus beim Säugling und die daran anschließende Trancephase, aber auch die zu jener Zeit neuen Forschungen und Erkenntnisse zu den Gehirnwellenmustern der prä- und postnatalen Entwicklung, faszinierten mich. Dabei deutete vieles darauf hin, dass der Mensch in der vorgeburtlichen Entwicklung und in den ersten Lebensmonaten einen Großteil seines Wachzustands in tranceartigen Entspannungszuständen verbringt. Die Gehirntätigkeit dominieren Alpha- und Thetawellen (Alphawellen verweisen auf Gehirnwellenmuster, die in leichten, Thetawellen, die in tiefen Entspannungszuständen des Wachbewusstseins auftreten. Betawellen entsprechen einer erregteren Gehirntätigkeit, z. B. einem aktiv Zustand des Nachdenkens). Erst mit dem 4. Lebensmonat treten typischerweise Betawellen in den Vordergrund und bleiben die dominierenden Gehirnwellenmuster des menschlichen Wachzustands bis zum Lebensende.

Wichtige Hinweise gab ein damals in der Szene viel beachteter Aufsatz von Mona-Lisa Boyesen mit dem Titel The Infant and the Alpha.

Daraus ergaben sich aufregende Fragen: Welche Funktion verbarg sich hinter dem Phänomen, dass der Mensch in seiner prä- und perinatalen Entwicklung in einem Dauerzustand von Entspannung lebt, der sich später für immer verflüchtigt? Welche Funktion hatten diese Trancezustände in den Frühphasen der ontogenetischen Entwicklung? Traten sie ubiquitär auf? Konnten sie gehemmt werden? Vermochte man sie körpertherapeutisch zu unterstützen oder in Gang setzen? Welche energetischen und psychischen Prägungen und Störungsmuster könnten auf diesem Hintergrund anders betrachtet werden?

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 16. Dezember 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (221): Körpertherapie hinter der DDR-Mauer

foto: pixabay
In jenen Tagen vermochte sich niemand vorzustellen, dass die Mauer, welche beide Teile Deutschlands trennte, jemals fallen könnte. Die Gespräche, die ich mit professionellen Helfern in der DDR führte, verdeutlichten zu meiner Überraschung eines: Die therapeutische Methodenfreiheit in den Institutionen der DDR erwies sich als größer als bei uns im Westen. In der Bundesrepublik stand man der Körpertherapie, vor allem im klinischen Bereich, noch mit größter Skepsis gegenüber. In der DDR schien es schlichtweg gleichgültig zu sein, mit welchen Methoden Therapeuten arbeiteten, Hauptsache, sie funktionierte und der Plan, die Statistik stimmte. Zudem gab es weniger kontrollierende und auf Außenwirkung fixierte Hierarchien als in den Kliniken im Westen Deutschlands.

Auf diesem Hintergrundszenarium entwickelte sich die Idee, eine den Bedingungen der DDR angepasste körpertherapeutische Ausbildung zu organisieren. Sie sollte den Interessenten das notwendige Handwerkszeug vermitteln, perspektivisch die problematische Rolle des »West-Reisekaders« überwinden helfen und langfristig dazu führen, dass es in der DDR unabhängige körpertherapeutische Ausbildungsangebote geben konnte.

Da keine Chance bestand, Trainer aus dem Westen zu ihren gewohnten Honorarsätzen zu bezahlen, musste dieses Projekt auf freiwilliger, ehrenamtlicher und ökonomisch-symbolischer Ebene organisiert werden. Also hörte ich mich in Kollegenkreisen um, wer unter diesen Voraussetzungen bereit sein könnte, quasi kostenlos sporadisch in der DDR als Ausbilder zu arbeiten. Meine Idee fand eine erstaunlich großherzige Resonanz.

Ich koordinierte, insbesondere aus dem Kreis des Ströme-Zentrums, das durch seine personelle Zusammensetzung ja bereits einen schulenübergreifenden Ansatz vertrat, ein Trainerteam unterschiedlicher körpertherapeutischer Schulen, dem u. a. Rob Bennett (Biodynamik-Trainer), Herwig Geister (Vegeto- und Skan-Therapeut), Charlotte Schuster und Heike Buhl (beide Radix) und meine Person angehörten. Als Gasttrainer, die 1–2 Mal in die DDR fuhren, traten damals u. a. Will Davis, Eva Reich und David Boadella in Erscheinung.

Die erste körpertherapeutische DDR-Trainingsgruppe begann ihre Arbeit 1986 und fand 1989 ihren Abschluss, fast zeitgleich mit dem Mauerfall im November 1989.  Mit einem mehrtägigen rauschenden Fest in den Räumen des Ströme-Zentrums feierten wir die Wiedervereinigung Deutschlands auf energetische Weise.

Dieses aus der Not geborene Trainingsprogramm zeigte im Nachhinein betrachtet einige Schwächen. Insbesondere die fehlende Selbsterfahrung der Teilnehmer, die nicht geleistet werden konnte, führte dazu, dass die Lernprozesse kopflastig und abstrakt anmuteten. Charaktermuster und Widerstände blieben zwangsläufig unbearbeitet. Zudem wies die Gruppendynamik für uns Westler einige spezifische Fallstricke auf, die sich spätestens dann nahezu gespenstig in Szene setzen, als ein Gruppenteilnehmer bezichtigt wurde, Stasi-Spitzel zu sein.

Auf der anderen Seite verdeutlichten die Erfahrungen dieses schulenübergreifenden Körpertherapie-Trainings:
•    Ein integratives Trainingsprogramm realisiert sich, indem Gemeinsames und nicht Trennendes im Fokus der Aufmerksamkeit steht.
•    Für die Trainees erweist es sich als didaktisch wertvoll, da übereinstimmende Wurzeln und Essenz leichter erkennbar werden.
•    Für die Praxis bedeutet es eine Bereicherung, da in einem schulenübergreifenden Training ein breit gefächertes Handwerkszeug und praktische Herangehensweisen aus verschiedenen Traditionslinien vermittelt werden.
•    Jeder Therapeut und jede therapeutische Schule besitzt ihre Stärken und Schwächen, ihre Licht- und Schattenseiten. Ein integratives Modell ermöglicht, diese auszugleichen.
•    Übertragungsprozesse richten sich nicht mehr auf nur eine Person, den Gründer oder Leiter der jeweiligen Schule, sondern fächern sich auf, was ihren Einfluss verringert.

Auf diese Weise avancierte das aus der Not geborene Modell eines Körpertherapie-Trainings in der DDR zum Vorbild eines integrativen Trainingsprogramms, das 1990 im Westen begann: Das Körpertherapie-Integrativ-Training (KIT), welches ich zusammen mit dem Biodynamiker und Gerda Boyesen-Schüler Rob Bennett und meiner damaligen Frau Paula Diederichs ins Leben rief. Zahlreiche Gasttrainer aus anderen Schulen und Persönlichkeiten wie Myron Sharaf, Eva Reich, Will Davis, Jutta Becker, u. a. konnten wir in unser Programm integrieren. Aus den KIT-Trainings trat über ca. 15 Jahre manch versierter Körper- und Psychotherapeut hervor.

(Fortsetzung folgt)

Sonntag, 3. Dezember 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (210): Was die Funktion des Orgasmus mit Wilhelm Pieck zu tun hat ...


Eine besonders eindrucksvolle Lektion in Sachen DDR-Diktatur vermittelte ein eintägiges Seminar in Ostberlin mit dem Titel »Wilhelm Reich und die Funktion des Orgasmus«. Im Gegensatz zu unseren meisten Aktivitäten fand dies nicht im privaten, sondern im halböffentlichen Raum statt. Diese Aufgabe erfüllte in der DDR stets die evangelische Kirche, organisatorisch und physisch.

Die Veranstaltung sollte in einem erstaunlich modernen Kirchengebäude in Bezirk Lichtenberg stattfinden. Als ich hereinkam, waren bereits alle Plätze besetzt. Dutzende Zuhörer hatten keinen Sitzplatz gefunden, standen zwischen und an den Wänden oder saßen auf dem Boden. Einige Hundert Zuhörer interessierten sich für diesen Vortrag, den ich gemeinsam mit meinem damaligen Vorstandskollegen aus der Wilhelm-Reich-Gesellschaft, dem leider früh verstorbenen Heiko Lassek, halten sollte. Heiko und ich wechselten uns ab und referierten das gesamte Leben und Werk von Wilhelm Reich im Rahmen dieses eintägigen Seminars.

In der Pause wies man uns auf zwei auffällig unauffällige Männer in der letzten Reihe hin, die sich eifrig Notizen machten (was nicht weiter auffiel, denn Aufzeichnungen machten sich viele Anwesende). Bald kam ich auf die Phase von Reichs politischen Aktivitäten Anfang der 30er Jahre zu sprechen. Dazu muss man wissen, dass Reich der damaligen kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) angehörte, aber seine eigene »Massenorganisation« leitete, die Sexpol. Es handelte sich um eine sexualpolitische Organisation, die zeitweise bis zu 100.000 Mitglieder zählte und sich u. a. für kostenlose Verhütungsmittel, die Aufhebung des Abtreibungsverbotes, Sexualaufklärung von Jugendlichen u. ä. einsetzte. Diese sexualpolitische Organisation und Reichs Aktivitäten erschienen jedoch der herrschenden stalinistischen Parteiführung als Dorn im Auge. Mit großem Tamtam schloss man Reich aus der KPD aus. Als Hauptgegner im Politbüro der KPD zeichnete damals ein gewisser Wilhelm Pieck, der sich vehement dafür engagierte, Reich mit seiner Sexualpolitik kaltzustellen.

Die Ironie der Geschichte wollte es, dass dieser Wilhelm Pieck zwischen 1949 und 1960 das Amt des ersten und einzigen Präsidenten der DDR bekleidete, hochverehrt und überall mit seinem Namen präsent. Ich empfand eine gewisse Befriedigung darüber, dass die schmählich ausgegrenzte Wahrheit Wilhelm Reichs auf diese Weise in die DDR 50 Jahre später ihre verdiente Aufmerksamkeit erhielt.
Ich kann allerdings nicht verhehlen, dass eine gewisse Nervosität in der Wahl der Formulierungen bei diesen brisanten politischen Themen in meiner Stimme mitschwang. Ich bekam eine Ahnung davon, was es bedeutet, in einer Diktatur öffentlich seine Stimme zu erheben, wenn man weiß, dass der Zensor aufmerksam zuhört.

Aber ich hatte mir vorgenommen, keine Selbstzensur auszuüben, auch angesichts der Stasi-Überwachung des Vortrags. Mehr als ein Einreiseverbot hätte mir als Bürger des freien Teils Deutschlands glücklicherweise nicht passieren können.

Noch eindrucksvoller als die politischen Themen erwiesen sich die Reaktionen auf die Funktion des Orgasmus. Als ich Reichs Orgasmustheorie referierte, die sich ja von allen bekannten sexualwissenschaftlichen Modellen grundlegend unterscheidet (Reich sah in der Funktion des Orgasmus die zentrale Erkenntnis seines Lebenswerks. Die Orgasmusformel »mechanische Spannung - energetische Ladung - energetische Entladung - mechanische Entspannung« erklärte er später zur Lebensformel schlechthin. Reich betrachtete den Orgasmus als eine ganzheitliche Erfahrung, die den ganzen Körper und die Seele des Menschen betrifft. Orgasmusstörungen geben für Reich Hinweise auf körperlich-seelische Blockaden und bilden den Nährboden jeder Neurose), wurde es mucksmäuschenstill im Auditorium. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Dies vermittelte mir eine anschauliche Vorstellung darüber, wie es Anfang der 30er Jahre Reich selbst ergangen sein dürfte, als er im Rahmen der Sexpol in Berlin regelmäßige Vorträge vor Tausenden von jungen Menschen hielt.

Unsere Veranstaltung erzielte einen vollen Erfolg. Der Gemeindepfarrer zeigte sich am Ende der Vorträge so berührt, dass er alle Anwesenden bat, mit ihm gemeinsam das Lied »Der Mond ist aufgegangen« zu singen. Ich spürte deutlich: Die Herzen der Menschen hatten sich geöffnet, der Raum war erfüllt von menschlicher Verbundenheit und Wärme. Die Stasi-Beamten sangen nicht mehr mit, sie verschwanden kurz vorher. Heiko und ich fuhren glücklich, aber auch erleichtert zurück über die Friedrichstraße nach West-Berlin.

(Fortsetzung folgt)