Sonntag, 15. Januar 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (144): Der erste Augenkontakt und die Blicke der Liebe

Foto: pixabay
Neben dem ersten Stillen spielt der Augenkontakt für die ursprüngliche Bindung eine wesentliche Rolle. Der Augenkontakt stellt eine Verlängerung der Nabelschnur in die Welt dar, in welche der Säugling geboren wurde.

Neugeborene, die in einem Raum das "Licht der Welt" erblicken, der angenehm warm, abgedunkelt und ruhig ist, öffnen bereits nach wenigen Sekunden ihre Augen, wenn sie diese Welt draußen zum ersten Mal sehen. Ihre Augen suchen Begegnung, sie reagieren direkt auf den Augenkontakt, der Ihnen angeboten wird.

Diese erste Begegnung mit einem Neugeborenen im ersten "Augenblick" wird zu einer jener tiefen und wundervollen Erlebnisse, die man sein Leben lang nicht vergisst. In die Augen eines Neugeborenen zu blicken ist, wie in die Augen aller Menschen zu blicken, die jemals geboren wurden. Im Blick des Neugeborenen findet man Wahrheit, Weisheit, Mensch-Sein.

So entsteht ein erster, tiefer und langandauernder, entspannter Augenkontakt, in dem Liebe fließt. Ja, in diesem Augenkontakt wirken Blicke der Liebe, die sich verbinden und binden.Diese ursprüngliche Bindung direkt nach der Geburt besitzt also immense Bedeutung. Es ist naheliegend, dass etwa bei Kaiserschnittgeburten oder anderen operativen oder medikamentösen Eingriffen dieser Prozess erheblich irritiert oder gestört werden kann. Hier werden andere Weichen gestellt. Weichen für eine Beziehung, in der man irgendwie zusammen gehört, aber in man sich nicht so unsterblich ineinander verliebt wie im ersten Fall.

Geht diese ursprüngliche Bindung irgendwie schief, bedeutet das keineswegs, dass diese Chance für immer vertan ist. Niemals in der Entwicklung des Menschen trifft die Aussage, dass Liebe heilt, so sehr die Wahrheit, wie in den ersten Lebensmonaten. Man kann sich auch ineinander verlieben, wenn man sich langsam näher kommt und das gilt auch für die Bindung zwischen dem Säugling und seinen Eltern.

Allerdings, da wir es in unserer Kultur sehr häufig mit Menschen zu haben, deren Liebesfähigkeit Beschränkungen unterliegt, gelingt diese Art Heilung nicht automatisch. Die Bindungsstörung verfestigt sich. Fremdheit und vor allem die Abwesenheit von gelebter Liebe, sprich ein Mangel an Zuwendung, Einstimmung und Gefühlsanklang prägen die Beziehung.

Das Baby reagiert mit Protest, kämpft um die Liebe und resigniert irgendwann. Wie bereits ausführlich beschrieben, führt diese Mangel an liebevollem Halt zum Selbsthalt, zur Panzerung, zu Bindungs- und Beziehungsstörungen, zur Verleugnung seiner inneren Natur und zur Entwicklung einer darauf basierenden, vom Ego dominierten Persönlichkeit.

Die Bindungsstörungen der frühen Kindheit werden so zur Matrix zukünftiger Beziehungen der Erwachsenenwelt. Beziehungen, geprägt durch Spiegelungsbedürfnisse anstelle bedingungsloser Liebe, durch Vernunft und Kontrolle anstelle von Vertrauen und Hingabe.

(Fortsetzung folgt)

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