Sonntag, 19. April 2020

SEINSORIENTIERTE KÖRPERERFAHRUNG (265): Innerseelischer Bürgerkrieg und Schmerzkörper

Image by Alexas_Fotos from Pixabay

Die inneren Konflikte werden zum Teil der Persönlichkeit, manifestieren sich als »innerseelischer Bürgerkrieg«. Denn die abgelehnten, dem Verstand geopferten Seelenanteile bleiben unbequem. Sie wehren sich gegen die Diktatur des Rationalen, sind nicht auszulöschen. Sie verändern ihren Charakter, indem sie sich in wachsendem Umfang mit dem Schmerz der Ungeliebten vereinen. Erwachsen zu dem, was Eckart Tolle als »Schmerzkörper« bezeichnet.

Der Schmerzkörper wird im menschlichen Verhalten wahrnehmbar. In Beziehungen vermag er auf eine Weise getriggert zu werden, die verblüfft. Plötzlich verwandelt sich ein scheinbar friedlicher Mensch in sein schieres Gegenteil, verdunkelt sich, beißt, ohne vorher zu bellen oder zieht sich in sein Schneckenhaus zurück, erstarrt, bleibt unerreichbar.

Sei es, dass eine alte, unbewusste Wunde berührt, sei es, dass eine lapidare Bemerkung als existentieller Angriff erlebt wurde: Der Himmel verdüstert sich, ein destruktives emotionales Gewitter bricht hervor oder ein lebendiger Mensch erstarrt zur Salzsäule, verliert sich in Ritualen des Selbsthasses.

Betrachten wir diesen Vorgang genauer, wird erkennbar, dass solche überschießenden Aktions- im Grunde Reaktionsmuster darstellen. Ein Blick, eine unbedarfte Bemerkung, eine Geste reichen aus, um den Schmerzkörper zu aktivieren, um als existentielle Bedrohung wahrgenommen zu werden.
In Wahrheit sind es unbewusste schmerzvolle Erinnerungen, die getriggert werden, verdrängte Gefühle, die an die Oberfläche drängen. Sie richten sich gegen die Außenwelt, gegen andere, aber ebenso gegen die eigene Person: ersteres wäre die aggressive, letzteres die depressive Variante.

Die Intensität dieser emotionalen Reaktionen schenkt uns einen wertvollen Hinweis: Die kindliche Seele nahm sie damals schon existentiell bedrohlich wahr und ihre Anpassung an die Kultur ist nicht nur ein überaus schmerzhafter Prozess, sondern ein niemals fertiggestelltes Endlager des Leids: der Schmerzkörper.

Die sog. »soziale Maske«, wie Reich sie bezeichnete, repräsentiert jenen Teil von Zivilisierung, der normalerweise vor den allzu eruptiven Impulsen der »sekundären Schicht« schützt. Persönliche und soziale Krisen führen dazu, dass dieser Schutz nur unzureichend oder gar nicht mehr funktioniert. Kriminalität, Terrorismus, Rassismus, Krieg und Bürgerkrieg betrachte ich als Erscheinungsformen entfesselter »sekundärer Schicht« im sozialen Kontext.

(»Sekundäre Schicht« und »Schmerzkörper« setze ich hier identisch. Als sekundäre Schicht bezeichnete Reich das Sammelsurium all jeder unerwünschten und verdrängten Gefühle, die normalerweise unter der »sozialen Maske« verborgen bleiben und unter krisenhaften Umständen zum Ausdruck gelangen.)

(Fortsetzung folgt)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen