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Alle Beobachtungen liefen auf eine Frage hinaus: Existierte etwas Tieferes, ein Urgrund der Persönlichkeit, ein innerer Raum von Fülle jenseits der Ego- und Ich-Strukturen? Existierte ein (tieferes oder höheres) Selbst?
Wilhelm Reichs »biologischer Kern« firmierte als eine Art Grundausstattung, betrachtete den Menschen als energetisches System. Von frühester Kindheit an (über)lebte er nur in Beziehung. Bindung durch Gehaltenwerden und Halt durch Bindung wirkten und wuchsen dort, wo Liebe aufschien. Ohne sie verkümmerten sie, Liebe wie Seele.
Das Lebendige, die primäre unendliche Energie der Liebe, die in jedem Neugeborenen das Licht der Welt erblickte, repräsentierte eine phylogenetische Konstante. Fand sich hier jene unveränderliche, Inkarnationen überdauernde Wesens-Instanz der Persönlichkeit (»Atman«), wie Hindus glaubten?
Der Begriff »organismische Wahrheit«, den ich in meinen Veröffentlichungen verwendete, verknüpfte die biologistischen Ansätze Reichs mit der Instanz des Spirituellen, Physik mit Metaphysik. Gleichzeitig nahm ich ein Unbehagen wahr, denn all diese »Selbst-Konzepte« muteten etwas abstrakt an. Was sonst?
In allen Systemen, den westlich-psychologischen und den östlich-spirituellen, tauchten zwei Entitäten immer wieder auf: Liebe und Herz.
Zielten all die Bemühungen der narzisstischen Ich- und Weltkonstruktionen darauf ab, das eigene Herz zu schützen, Liebe(n) zu verhindern? Stellten das Gieren nach dem bewundernden Blick der Anderen, die Konstruktionen von Groß- und Einzigartigkeit die subtile Form einer Sehnsucht dar, die in der Kindheit unerfüllt blieb: Mit dem ganzen Sein geliebt zu werden?
Hat man auf der Seinsebene keine Liebe erfahren, verblieb eine offene Wunde, eine Leerstelle, die verhinderte ... zu lieben. Das stellte die Tragödie, die Sisyphos-Qualität der narzisstischen Persönlichkeit dar: Liebe erhalten zu wollen, ohne lieben zu können.
Aus dieser Ohnmacht resultiert der Hang zur Größe, zur Einzigartigkeit, zum beständigen Drang, sich aufzuplustern: Ein Junges, das dauernd auffällt im verzweifelten Bemühen, in seiner Sehnsucht, "wahr genommen" und in seinem wahren Sein geliebt zu werden.
Hinter der narzisstischen Tragödie verbarg sich ein Drama ... ein Liebesdrama.
Die Wunde des Ungeliebtseins verhinderte den Zugang zu einer tieferen Ebene in sich selbst, der des »biologischen Kerns« (Reich), der »primären Liebe« (Balint), zu ihnen wurde die »Bindung gestört«. Die Sucht nach Anerkennung, Bestätigung und Bewunderung kompensierte diesen entwurzelten Kontakt, die Vergeblichkeit des Versuches, eine Verbindung zur primären Liebe zu finden. In der frühesten (Objekt-)Beziehung ging sie einst verloren, in die Wiederholungszwänge des späteren Lebens adressiert die Seele ihre – unbewusste – Sehnsucht nach Heilung.
Von frühester Kindheit war Liebe im Menschen präsent. Sie wurde beschämt. Angst und Unfähigkeit wuchsen, authentisch in Liebe zu sein. Nur in den Phasen des Verliebtseins, das gleichzeitig »selbsttranszendente« (Joas) und regressive Eigenschaften aufwies, schien kurzfristig die primäre Liebe wieder auf. Doch wie hing dies zusammen?
Im therapeutischen Kontext begann ich, Persönlichkeitsmuster nicht mehr im Kontext psychosexueller Entwicklung zu betrachten, sondern als Ergebnis jener prägenden Erfahrungen, durch die ein Kind lernte, seine natürliche Liebesfähigkeit zu formen. Der Schizoide flüchtete sich beispielsweise in die Paradiesvorstellungen seines Intellekts, der Anale in Zwangsrituale, der Phalliker in dominante Grandiosität, der Hysteriker in die Flucht vor emotionaler Nähe usw.
Entsprechend erkannte ich in narzisstischen Verhaltensmuster ein ubiquitäres Phänomen, das in deutlichem Zusammenhang mit den menschlichen Bedürfnissen nach Halt, Bindung und Liebe stand. Sie standen also nicht mehr für eine Pathologie oder den Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung, sondern für die individuelle Art und Weise, wie ein Mensch gelernt hatte, sein Herz zu schützen.
(Fortsetzung folgt)
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