»Wenn wir die Existenz eines Herzcodes ernsthaft in Erwägung ziehen, können wir die Brücke zwischen den biochemischen Errungenschaften der modernen Medizin und der Spiritualität der überlieferten, traditionellen Heilsysteme, zwischen den verschiedenen alternativen oder ergänzenden medizinischen Strömungen und der Weisheit der Religionsgelehrten und spirituellen Lehrer schlagen.« (Paul Pearsall)
Was war das Mysterium der Liebe? Wie formte sie sich? Wo ließ sich ihre Quelle verorten? Es ging mir weder darum, sie als unlösbares Rätsel zu verewigen, noch um Erklärungen und Analysen, sondern um die Frage nach ihrer Gleichzeitigkeit in Ursprung und Präsenz. Auf meiner Suche hatte ich noch immer das Gefühl, etwas Wesentliches übersehen zu haben.
In seinem bereits zitierten Buch erzählt Jack Kornfeld die Geschichte vom goldenen Buddha: In einem Tempel in Sukhothai im Norden Thailands stand eine ungewöhnlich alte, große Buddhastatue aus Ton. Sie hatte viele Jahrhunderte überdauert. Die Mönche, die sich um die Statue kümmerten, bemerkten eines Tages, dass Risse auf ihrer Oberfläche auftauchten, die sich in den folgenden Wochen erweiterten. Bald waren sie so weit vergrößert, dass sie hineinleuchten konnten und einen goldenen Schimmer entdeckten. Zu ihrem Erstaunen fanden sie unter dem Ton eine der eindrucksvollsten und größten Buddhastatuen aus Gold, die in Asien je geschaffen wurden.
»Wie die Menschen von Sukhothai den goldenen Buddha vergessen hatten, so haben wir unsere wahre Natur vergessen. Meist sind wir nur mit unserer schützenden ‚Tonschicht‘ befasst. Das wichtigste Ziel buddhistischer Psychologie aber ist es, uns den Blick hinter die Schutzschicht zu eröffnen, sodass wir unsere ursprüngliche Güte zum Vorschein bringen, die wir auch »Buddhanatur« nennen.«(Kornfield, Jack (2008), S. 22 ff.)
Die buddhistische Tradition sah Liebe aus einem friedvollen, gütigen Herzen erwachsen, betrachtete sie als das innere Gold, unser wahres Wesen, das es zu freizusetzen galt. Liebe erschien grenzen- und bedingungslos, transpersonal und gleichzeitig als tiefster Wesenskern des Menschen. Seine Quelle bildete das »erwachte Herz«.
Auf der anderen Seite des Spektrums standen die westliche Triebtheorie Freuds und die darauf basierenden Vorstellungen Reichs. Wo die buddhistische Psychologie eher den Menschen als Gattungswesen betrachtete, stand hier die einzelne Persönlichkeit, die individuelle Erfahrung im Fokus.
Die Biologie der Libido, der sexuellen Energie, erschien als diejenige Wirkkraft, die für Funktion und Formung der Liebe verantwortlich zeichnete. Das psychische Erleben der Liebe trat als Spiegelung des Trieblebens auf. Sexualität beeinflusste das Seelenleben nachhaltig, das stand außer Frage.
Und Liebesgefühle? Repräsentierten sie halluzinierte Tagesreste eines befriedigenden oder unbefriedigenden sexuellen Erlebens? Fand sich in ihnen ein eigenständiges bio-emotionales Grundbedürfnis? Das, was im Buddhismus als erleuchteter Wesenskern Liebe freigelegt würde, erschien im klassischen westlichen Triebmodell als banale Spiegelung libidinöser Triebkraft. Überhaupt, die augenfällige Spaltung von Sexualität und Liebe, brachte wenig Klärung.
Die Wahl der Worte suggerierte Nuancen: Erfuhr ich ein »befriedigendes Sexualleben« oder ein »erfülltes Liebesleben«? »Befriedigend« deutete auf das Triebhafte, im Sinne von Hunger und Sättigung. »Erfüllt« verwies schon eher auf eine seelische Komponente, die hinzutrat, ähnlich, wenn ich von »Liebesleben« statt »Sexualleben« sprach.
(Fortsetzung folgt)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen