Montag, 5. April 2021

SEINSORIENTIERTE KÖRPERERFAHRUNG (279): Herz und Gehirn, Liebe und Sex

foto: Filipe Almeida, unsplash

Die westliche Wissenschaft neigte dazu, das Seelenleben vollständig dem Gehirn zuzuordnen. Selbst der Tod wurde nicht mehr mit dem Stillstand der Herz-, sondern der Gehirnfunktionen definiert. Das Herz hingegen erschien als mechanische Pumpe, als hochentwickelter Muskel, der, wurde er disfunktional, repariert oder ausgetauscht wurde.

Es drängte sich die Frage auf: Welche psychologische Implikation hatte diese merkwürdige kulturhistorische Abwertung der Funktion des Herzens?

Hinzu trat ein anderer Aspekt. Reich, Pionier der modernen Lebensenergieforschung, definierte nach meinen Empfindungen den von ihm postulierten »biologischen Kerns« unzureichend. Zwar deutete er eine Verbindung zur Liebe als Element der primären Persönlichkeit an. Doch wo er die energetische Quelle physiologisch ausmachte, darüber gab es nur vage Hinweise. »Irgendwie« ordnete er die sexuelle Energie und ihren ungehinderten Fluss im Organismus dem Wesen des Menschen zu, diagnostisch manifestiert in seinem Idealtypus des »genitalen Charakters«.

Wie hingen Sexualität und Liebe energetisch zusammen? Entsprang die Quelle der Liebesfähigkeit eines Menschen einem "ungepanzerten" Körper, insbesondere Becken, wie Reich nahelegte?

Seine Annahmen hatten mich nicht überzeugt, ich empfand innerlich die Gewissheit, dass seelische Gesundheit mehr charakterisierte als eine frei gelebte, ungepanzerte Sexualität (Reich sprach in diesem Kontext von der sog. »orgastischen Potenz«, die er als maßgeblich für einen nicht-neurotischen, psychisch gesunden Menschen betrachtete. Diesen bezeichnete er in seiner Terminologie als »genitalen Charakter«).

Eine Gemeinsamkeit sprang ins Auge: Wie das Herz (Ver)Bindung suchte, so fand sich auch in der Sexualität eine Triebkraft, die intensiv Vereinigung anstrebte. Herzen trachteten nach Verbindung, Genitalien ebenso. 

Blieben sexuelle Impulse abgespalten, herzlos, resultierte daraus die Tendenz zu Beziehungs-, insbesondere Bindungsstörungen. Im umgekehrten Fall, blieben Herzimpulse isoliert in Kontext gehemmter Sexualität, so potenzierte sich die Gefahr neurotischer Symptome. Liebe ohne Sexualität erwuchs zum Nährboden der Neurosen, ein Aspekt, auf den insbesondere Reich immer wieder hingewiesen hatte.

Nur, er hatte offenbar den Bindungscharakter des Herzens übersehen, damit den Wirkungszusammenhang von Liebe und Sexualität: Richteten sich beide, Herz und sexueller Trieb, auf das gleiche Liebesobjekt, verbanden sie sich, so entstand der Boden für Bindung, Beziehung, Liebesbeziehung.

Ein Unterschied zwischen Libido und Herzenergie war ohrenfällig: Die Stimme der Sexualität tönte oft machtvoll, unüberhörbar; die des Herzens hingegen leise, sie flüsterte eher. Es ist anzunehmen, dass auch hier eine Widerspiegelung patriarchalischer Strukturen zu diagnostizieren ist, wie überhaupt in der Dominanz des Ego-Verstands gegenüber jeder Art von Ressourcen des Gefühlslebens. Die Dominanz des Gehirns, des Ego-Verstands, spielten dabei eine wichtige Rolle.

Die Entdeckungen der Forschungen von Paul Pearsall rückte die Bedeutung des Herzens für das Leben insgesamt in ein völlig neues Licht. Paul Pearsall gab einleuchtende Hinweise:

»Da wir Manifestationen dieser Info-Energie sind, die von unserem gesamten Zellsystem absorbiert, intern weitergeleitet und ständig an die Außenwelt emittiert wird, ist das Wissen, wer wir sind und wie wir uns fühlen, eine physische Repräsentation von Zellerinnerungen, auf die wir Zugriff haben.« (Pearsall, Paul (1999), S. 39)

Pearsall bezeichnete seine Theorie »Kardioenergetik«. Dass das Herz nicht nur seelisch, sondern auch energetisch-funktionell eine derart zentrale Bedeutung im Leben des Menschen besaß, leuchtete mir umgehend ein.

(Fortsetzung folgt)

 

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