Als meines Wissens erster und einziger Sexualforscher betont Wilhelm Reich die körperlich-seelische Bedeutung von „Hingabe“ als eine Erfahrungsdimension, die nicht nur dem weiblichen, sondern auch dem männlichen Erleben des Orgasmus potentiell zu geordnet wird. Denn Reich betrachtet Hingabe als fundamentale ganzheitliche, also psychische und physische Erfahrungsdimension.
Hingabe im Psychischen umfasst nicht nur die o. a.
Bewusstseinseintrübung, d. h. das vorübergehende Aussetzen der bewussten
Denktätigkeit, sondern auch die Hingabe an die Gefühle von Liebe und Bindung,
wie sie sich in der orgastischen Erfahrung zeigen können. Hingabe zeigt sich
darüber hinaus in der Auflösung all jener Widerstände, die sich als Flucht in die
Gedankenwelten der Vergangenheit oder Zukunft oder als zwanghafte
Phantasietätigkeit enthüllen und in all diesen Fällen ein Ausweichen vor dem
vollständigen Kontakt mit dem Partner und dem gelebten Augenblick der Liebe zu
interpretieren sind.
Hingabe im Psychischen
deutet auf das Loslassen all dessen, was Kontrolle und Selbstkontrolle im Seelenleben
darstellt. Die Funktion des Orgasmus im seelischen Erleben erschließt so die
Tiefen des menschlichen Seins jenseits der Kontrolle des Gehirns und seiner ständig
tätigen Gedankenmaschinerie.
Hingabe zeigt sich
im Physischen als das Zulassen von
unwillkürlichen klonischen Zuckungen, Spontanbewegungen des Körpers und kulminiert
vor allem im Phänomen des später von Reich entdeckten und erforschten Orgasmusreflexes.
Bekanntlich war Reich wissenschaftshistorisch der Urvater
und Pionier all jener Körpertherapien, die einer unmittelbaren funktionellen
Identität von Körperlichem und Seelischem basieren und heute den Großteil
dessen ausmachen, was als „Körperpsychotherapie“ firmiert.
Im Verlaufe dieser Forschungen, die Reich in den 30-er und
40-er Jahren des letzten Jahrhunderts unternahm, traf er in den Endphasen seiner
Therapien, die er als Vegetotherapie oder später als Orgontherapie bezeichnete,
auf ein Phänomen, das als ein spontaner biologischer Reflex von seelischer
Hingabe ihren Ausdruck fand. Dieser Orgasmusreflex lässt sich als eine
wellenförmige lustvolle Ausdrucksbewegung von Hingabe beschreiben, in dem sich
die Körperpolaritäten Kopf und Becken wellenartig einander annähern und wieder
entfernen.
(Fortsetzung folgt)
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