Halten wir fest: Eine in oben beschriebenen Sinne
geschlechtsunabhängige sexuelle Hingabe bezieht sich darauf, offen zu sein für
etwas, was körperlich und seelisch angerührt wird, offen zu sein für das, was
sich ausdrücken will, was da sein will. Spontane vegetative, bio-emotionale Impulse
und Reaktionen, klonische Zuckungen, Strömungsempfindungen jeder Art sind weder
pathologisch noch beunruhigend, weder im eigenen Organismus noch in dem des
Sexualpartners.
Im Gegenteil, all diese lebendigen Impulse wollen sich zu reflexartigen Abläufen (dem Orgasmusreflex, s. o.) verbinden. Sie entsprechen eigenen biologischen Gesetzen, münden ein in vielfältige Formen des körperlichen und seelischen Liebeserlebens, bis hin zu ekstatischem, orgastischen, kosmischen Erfahrungsdimensionen, verebben in lustvollem Verströmen …… ohne dass das Denken kontrolliert, narzisstische Selbstinszenierungen oder zwanghafte Phantasien die Hingabe an diese Vorgänge verhindern.
So wie die Erregungsströme ein Phänomen der
Wechselseitigkeit zwischen den Liebenden repräsentieren, dürfen wir auch diese
vegetativen Vorgänge als einen wechselseitigen Prozess ansehen, als einen
Naturprozess, in dem sich die Wellen zwischen den Liebenden hin- und her
bewegen, dem Höhepunkt zusteuern und schließlich in einer postorgastischen
Trance verebben.
So oder in ähnlicher Weise könnte die Natur – wie in der
Tierwelt – die biologischen Instinkte, die Naturvorgänge in uns bereitstellen.
Der aus der Schöpfungsgeschichte bekannte Begriff des Erkennens („ Adam und Eva erkannten
sich“), der im Hebräischen Original auch eine sexuelle Bedeutung besitzt,
erfährt hier eine Konkretisierung: Zu
erkennen gilt es die animalische Natur in sich selbst und im anderen Geschlecht,
eine Erkenntnis, frei von Angst und Scham, frei von der Kontrolle durch den
Willen und den Verstand, ein Erkennen der natürlichen Grundlagen des lebendigen
Seins.
Die andere Geschichte des Sündenfalls von Adam und Eva, die andere
Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies lautet wie folgt: Am Anfang
steht das Erschrecken über die eigene Nacktheit, es ist das Erschrecken und
Erkennen der eigenen Natur. Hier finden wir die Geburtsstunde der Instanz des
beobachtenden und kontrollierenden Verstands. Verstand und Scham über die
animalische Natur sind funktionell identisch.
Damit einher geht der Verlust der unmittelbaren erotisch-animalischen
Anmut: Der Sündenfall Adam und Evas ist möglicherweise in Wahrheit in der
Verleugnung und Kontrolle des animalischen Erbes zu orten. Der damit verbundene
evolutionsgeschichtliche Irrweg, hat uns
an jenen Punkt geführt, an dem wir uns heute befinden: Entfremdet von der Natur
in uns und entfremdet von der Natur um uns herum.
Oder, um es in den visionären Worten Wilhelm Reichs am Ende
seines Buches Charakteranalyse
(sinngemäß) auszudrücken: „Das ist unsere große Verpflichtung: Das menschliche
Tier ins uns zu erkennen und nicht mehr davor fortzulaufen, sondern uns dessen
zu erfreuen, was wir jetzt so sehr fürchten.“
(Fortsetzung folgt)
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