Schauen wir uns diese „Erklärung“ genauer an. In einem
solchen Satz ist die Wahrheit über unsere ganze Kultur enthalten: Einem Kind
wird vermittelt, dass es Erklärungen für Gefühle (hier für das Gefühl der
Angst) gibt. Der moderne Mensch neigt also dazu, Gefühlen mit Erklärungen des
Verstandes zu begegnen.
Könnte es nicht Teil eines kollektiven Wahns darstellen,
davon auszugehen, dass Gefühle nach der Logik von Ursache-Wirkung
funktionieren, richtig oder falsch, angemessen oder nicht angemessen sind?
Genau das ist der Fall: Der Verstand führt sich auf als Herrscher über das
Gefühlsleben, als Großinquisitor der emotionalen Wirklichkeit. Der Ego-Verstand
erklärt das eine Gefühl für akzeptabel, das andere für negativ, bedeutungslos,
unwichtig, peinlich, animalisch oder was auch immer.
Das Ganze könnte man auch
als ein „innerseelisches Patriarchat“ beschreiben: Der Verstand, die Ratio, die
Vernunft, die Wissenschaft usw. sind alles, Gefühl, Körper, das spontan
Lebendige, Authentische, die Natur in uns sind das, was es zu beherrschen und
zu unterwerfen gilt, gemäß dem wahnhaften „Auftrag Gottes“: Macht euch die Erde
untertan. Macht euch die Natur untertan, die äußere und die innere! Genauso
sieht unsere Welt auch aus: kalt, steril, zusammengeflickt und zerbrechlich wie Glas.
Eine einfache Frage: Ist mit der klugen und erwachsenen
Erklärung „nur ein Flugzeug“ die Angst aufgelöst bei dem kleinen Menschen?
„Du brauchst keine Angst zu haben, es
ist doch nur ein Flugzeug????“ Löst diese Erklärung des Verstandes wirklich die
Angst in dem Kind auf? Hilft sie? Nein!
Was passiert, wenn sich dieses Muster wiederholt, ist, dass
das Kind lernt, sich zu schämen für seine „unvernünftigen“ Gefühle und
versucht, diese zu ignorieren und sich von ihnen abzuspalten. Bis es später,
erwachsen und selbst Elternteil, genau die gleichen Wahnvorstellungen an seine
eigenen Kinder weiter gibt.
Die Erklärungen des Ego-Verstandes sind Beschwörungsformeln,
welche die Angst nicht auflösen, sondern potenzieren. Was das Kind von klein
auf lernt, ist, dass man Erklärungen wie magische Formeln zu benutzen hat, nur
fest daran glauben muss. Dann wird schon alles gut. Ein Glaubenssystem, das mit
dem wirklichen menschlichen Gefühlsleben ziemlich wenig zu tun hat. Genau
deshalb ist unsere Welt auch so voller unterschwelliger Angst.
So kommt aber auch die Scham in die Welt, denn das Kind
schämt sich seiner wahren Gefühle, seiner Angst in diesem Beispiel. Das
Wichtigste: Die Angst wird nicht aufgelöst wie bei den kleinen Affen. Sie
bleibt energetisch im System des Menschenkindes präsent. Da dieser Mechanismus,
Gefühlen mit Erklärungen zu begegnen, statt einen liebevollen, natürlichen und
achtsamen Umgang mit ihnen zu entwickeln, kein Einzelfall bleibt, sondern die
Regel ist, verfestigt sich dieses grundlegende Muster zwischen Körper,
Gefühlsleben und Verstand. Die Gefühle und Ängste entwickeln ein Eigenleben,
wie wilde Tiere, die, eingesperrt in einen Käfig, nur darauf warten, dass der
Wärter vergisst, die Tür zu verschließen.
(Fortsetzung folgt)
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