Montag, 11. Januar 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (56): Von den Spiegelungsbedürfnissen des Babys zum FB-Like


Es handelt sich hier um eine Spiegelung auf der organismisch-energetischen und emotionalen Ebene im vorsprachlichen Stadium. Findet hier eine angemessene Spiegelung nicht oder nur unzureichend statt, so wird dieses ungestillte Bedürfnis mitgenommen in die daran anschließenden Phasen der kindlichen Entwicklung -- bis ins Erwachsenenalter hinein.

Bei den Spiegelungsbedürfnissen des Heranwachsenden oder Erwachsenen handelt es sich jedoch um eine ganz andere Ebene. Hier geht es um die Spiegelung von Gedanken, Konzepten, Vorstellungen, Werten, Geschmäckern , Urteilen oder Ideen, die nur bedingt etwas mit dem Seelenleben, dem inneren gefühlsmäßigen Sein zu tun haben. Es sind die Inhalte des Ego-Verstandes, welche der Erwachsene an sein Gegenüber heranträgt, um Spiegelung zu erfahren.

Die Spiegelungsbedürfnisse des Babys finden also auf einer bio-emotionalen, energetischen Ebene statt, die des Erwachsenen auf der kognitiven Ebene des Gehirn und des Ego-Verstandes. Der Erwachsene definiert sich als Ich, indem  er seine Gedanken, Werte, Weltkonstruktionen zu seiner Identität erhebt, also all das, was er in seinem Ego-Verstand entwickelt hat. Genau dafür und auf dieser Ebene sucht er im Anderen die Spiegelung.

Dieser Mechanismus führt zu all den vertrauten sozialen Verhaltensmustern und sozialen Systemen, in denen sich Menschen zusammenschließen: von den unpersönlichen „Likes“ bei Facebook bis hin zu fanatisierten Terrorismusgruppierungen zieht sich ein roter Faden, der auf vielfältige Weise zeigt, dass Menschen alles unternehmen, um sich in ihrem Ego-Verstand narzisstisch gespiegelt  zu sehen. Die modernen sozialen Medien sind übrigens ein ideales Transportmittel für dieses Unterfangen und genau diese Spiegelungsqualität scheint mir auch das Geheimnis ihres Erfolgs zu sein.

Die Identität als Person oder als Gruppe basiert dabei im Kern auf dieser Spiegelung, potenziert durch die Abgrenzung nach außen, durch die Feindseligkeit gegenüber dem Nicht-Übereinstimmenden, der Differenz, dem Anderssein. Wie es in jeder Art von Fanatismus aufscheint, kann diese Abgrenzung gegenüber der Welt oder „den Anderen“, die nicht mit dem eigenen Ego-Konstrukt übereinstimmen, extrem feindselige und destruktive Formen annehmen. Insbesondere die Definitionsmacht dessen, wer Feind ist, stellt die Basis jeder Art sozialer Macht dar.

Die Ausübung dieser Macht in Politik und Religion war stets eine der treibenden Kräfte und Schlachtfelder, welche von den Kreuzzügen und Hexenverbrennungen des Mittelalters über die Gewaltorgien des Kolonialismus und Nationalismus bis hin zu den Völkermorden, Gulags und Vernichtungslagern des 20. Jahrhunderts führen.

Auch wenn diese Vorstellung schwer erträglich ist: Es führt ein einziger, wenn auch sehr weiter Weg von den Spiegelungsbedürfnissen des Babys über die narzisstischen Spiegelungsbedürfnisse des normalen Erwachsenen bis hin zu den Selbstmordattentaten des IS. In allen Fällen geht es um die Bestätigung des eigenen Wahrheit durch (einen) andere(n) Menschen, und diese Wahrheit reicht von Offenherzigkeit und Liebe über die Sucht nach Anerkennung der eigenen Wertvorstellungen bis hin zu den hasserfüllten Größen- und Machtphantasien von Diktatoren und Terrorgruppen.

Es gibt allerdings eine tiefe Wahrheit in all dem: Das Spiegelungsbedürfnis des Babys ist ein biologisches Programm, das bei jedem Baby erkennbar ist und mit der Geburt jedes Kindes, mit jeder Geburt, wieder und wieder nach Antwort sucht: nach einer Antwort der Liebe. Mit jedem Neugeborenen kommt eine neue Hoffnung auf die Welt, ein neues Potential von Liebe. Dies ist möglicherweise die tiefe, verborgene Wahrheit, die im Weihnachtsmythos von der Geburt Christi enthalten ist.

(Fortsetzung folgt)

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