Samstag, 9. Januar 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (55): Spiegelungsverliebtsein und das ursprüngliche Gesehen-Werden


Betrachten wir die zwischenmenschliche Kommunikation, so lässt sich unschwer feststellen, dass ihr überwiegender Teil diesem Spiegelungsbedürfnis entspringt. Die Intensität dieser Spiegelungsbedürfnisse scheint in jungen Jahren besonders ausgeprägt zu sein, die Ausformung der eigenen Persönlichkeit und der jugendliche Idealismus wirken hier wie Schwämme, die alles aufsaugen, was an Spiegelungsangeboten an sie herangetragen wird.

Hier sind auch die Erscheinungsformen des Spiegelungsverliebtsseins einzuordnen, d. h. die idealisierende Überhöhung des Du, das dem eigenen Ich zu einer narzisstischen Selbstvergewisserung verhelfen soll. Dieses Grundmuster scheint mir auch die Basis all jener psychologischer Phänomene zu sein, die man in tiefenpsychologischen Modellen als Übertragung bezeichnet.

Das Objekt dieses „Verliebtseins“ erscheint als die ideale Spiegelung der eigenen Bedürfnisse, Ideale, Werte.  Lauscht den Gesprächen von jungen Paaren in der Verliebtsheitsphase, so lässt sich unschwer erkennen, dass der überwiegende Teil Spiegelungsbedürfnisse zum Inhalt hat, man tastet sich gegenseitig auf der Suche nach den gemeinsamen Vorlieben und Übereinstimmungen. Verliebte neigen dazu, Abweichungen auszublenden. In diesem Sinne „macht Liebe blind“. Dem folgt dann häufig Wochen oder Monate später das Erwachen, wenn deutlich wird, dass die idealisierte Person auch durchaus menschliche Eigenschaft aufweist, die wir mit C. G. Jung als Schatten bezeichnen und nicht in dieses idealisierende Spiegelungsschema passen.

All dies deutet darauf hin, dass die ausgeprägten menschlichen Spiegelungsbedürfnisse in Zusammenhang stehen mit der menschlichen Natur und ihren frühkindlichen Prägungen.
Die moderne Säuglingsforschung unter ihrem Pionier Daniel Stern hat vor einigen Jahrzehnten das Phänomen des „affect attunement“ erforscht und nachgewiesen. Dabei handelt es sich um ein spezifisches Spiegelungsphänomen in der frühkindlichen Mutter-Kind-Dyade, in dem die Mutter die Mimik und Gestik ihres Kindes in spielerischer Weise gleichzeitig spiegelt und variiert und damit den veräußerten inneren empfindungsmäßigen Zustand des Babys spiegelt. Stern beobachtete in seinen Micro-Analysen, dass die Einfühlsamkeit, die Sensibilität der Mütter hier durchaus unterschiedlich sein kann und Rückschlüsse auf die Qualität der Bindung zu dem Säugling zulässt. Zu ähnlichen Beobachtungen und Schlussfolgerungen kam auch Heinz Kohut in seiner Narzissmustheorie.

Es deutet alles darauf hin, dass es sich hier um ein Phänomen handelt, das für die frühkindliche Entwicklung aller Menschen gilt. In der frühen Entwicklungsphase geht es um eine Spiegelung auf der affektiven, körpersprachlichen, mimischen Ebene.

Die Mutter  identifiziert sich vegetativ mit dem Kind, d. h. sie ahmt in ihrem eigenen organismisch-energetischen System das nach, was in der Ausdrucksbewegung des Kindes nach außen dringt und nach Antwort sucht. Damit erfasst die einfühlsame Mutter nicht nur das innerseelische Erleben des Babys, sondern spiegelt dieses intuitive Verstehen ihrem Kind wieder. Dies lässt sich als Basiserfahrung eines „Gesehen- und Verstandenfühlens“ definieren.

Es ist die ursprüngliche liebevolle Bestätigung an das Kind, das dieses in seinem So-Sein, in seinem Sein, in dem, was es empfindet, einfühlsam verstanden und angenommen wird. Es ist die Verbindung zweier Herzen, die sich erkennen und in Bindung und Liebe begegnen. Es ist die prägende, fundamentale Erfahrung von Liebe oder deren Mangel, die am Anfang der menschlichen Entwicklung steht und die Matrix aller Spiegelungsbedürfnisse bildet.

(Fortsetzung folgt)

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