Eine Tendenz, deren Einfluss auf das Alltagsleben zunimmt, ist die gesellschaftliche Durchdringung mit Ritualen der
narzisstischen Spiegelung. Dies trifft insbesondere zu auf die vielfältigen
Erscheinungsformen des Freizeitverhaltens von Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen. Dieses Freizeitverhalten wird in den letzten Jahrzehnten in
wachsendem Umfang bestimmt durch visuelle, sekundäre Erfahrungsdimensionen,
vermittelt über Internet, Computerspiel und die visuellen Massenmedien.
Was versteht man unter „sekundäre Erfahrungsdimensionen“?
Dieser Begriff ist ein als Abgrenzungsbegriff
gegenüber den primären Erfahrungsdimensionen, die durch eigene unmittelbare,
sinnliche, direkte Erfahrungen vermittelt werden. Je jünger der Mensch ist, desto deutlicher werden diese von intensiven und prägenden Empfindungen und Gefühlen begleitet. Wenn z. B. ein Kind an einen
heißen Topf greift, dann empfindet es plötzliche Hitze und den
Verbrennungsschmerz, wird schreien und weinen, d. h. es wird ein biologisches Notfallprogramm
mobilisiert, das den Handlungsimpuls verändert und sich als Erfahrung
im Bewusstsein verankert.
Bei sekundären Erfahrungsdimensionen hingegeben
handelt es sich um vermittelte, fremde, indirekte Erfahrungen, die einem jungen
Menschen medial vermittelt werden. Dies kann spielerisch in den künstlichen
Welten der Computerspiele geschehen oder über die Identifizierungen mit den
handelnden Personen in Videofilmen, Serien oder den subjektivistischen
Informationen in den sozialen Netzwerken.
Als gemeinsamer Nenner erscheint einerseits die Tatsache,
dass es sich um aufbereitete Erfahrungen anderer Menschen (der Programmierer,
Drehbuchautoren, Regisseuren, sonstiger Kreativer oder der Vertreter von Partialinteressen)
handelt, die ihre Sicht der Welt, ihre Phantasien, Gefühle, Ängste und
Ideologien, die ihren eigenen Prägungen entsprechen, sprachlich und visuell
weitergeben.
Die andere Gemeinsamkeit, die hier offensichtlich wird, liegt in der Vermittlung von
Urteilen, Werten und Idealen, die an diese sekundären Erfahrungsdimensionen
gekoppelt sind und mit dem Phänomen der Spiegelung einhergehen.
Was ist das eigentlich, Spiegelung?
Es handelt sich um das grundlegende menschliche Bedürfnis,
sich in einem anderen Menschen gespielt zu sehen, erkannt, wiedererkannt zu werden, sich damit sich selbst, seiner eigenen Sicht auf
die Welt und das Leben zu vergewissern.
Beispielhaft sollen hier die Vorlieben,
Gedanken, Gefühle, der Geschmack dessen, was gefällt oder nicht gefällt,
aber auch ideologische Ansichten politischer oder religiöser Art, genannt
werden. Die sozialen Vernetzungen kristallisieren sich meist an derartigen Vorlieben, formieren sich in
unverbindlichen sozialen Adhoc-Organismen (Facebook „Likes“. Gruppen, Foren etc.) bis hin zu
Organisationen wie Vereinen, politischen Parteien oder religiösen
Gruppierungen.
Jedem dieser sozialen Organismen ist die Spiegelung des eigenen
Werte und Ansichten ein verbindendes Anliegen, das sich ggf. mehr oder weniger
aggressiv gegenüber den Anderen, den Fremden, abgrenzt. Hier finden wir die
funktionale Basis jeder Art von Kreuzigungen und Kreuzzügen in der Geschichte der
Menschheit.
(Fortsetzung folgt)
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