Dieser Kampf ist kein Kampf unter gleichen Voraussetzungen,
also, wenn man so will, kein „fairer“ Kampf. Das Publikum ist parteiisch, es steht
entschieden auf Seiten eines Kontrahenten. Das Publikum ist Lebensumwelt, die
Gesellschaft, die Kultur, in deren Rahmen und unter deren Beifall der Kampf
stattfindet.
Das Publikum ist parteiisch, es steht auf der Seite des „inneren
Erwachsenen“, auf der Seite der Stimme des Gehirns, des Verstands, des Wissens.
Das Publikum ist erfüllt von Urteilen und Vorurteilen gegenüber allem, was das
„Unzivilisierte“, das „Wilde“ repräsentiert: Gefühle, Lust, Ekstase, Lebensfreude. Sie stellen das Unberechenbare, das Unvernünftige des inneren Kindes dar, das
sich einer durchrationalisierten und mathematisierten Lebensumwelt entziehen
will.
Dieser Grundkonflikt zwischen menschlicher Natur und seiner
Lebensumwelt entpuppt sich als eine Konstellation, die seit Generationen als
Konflikt zwischen Subjekt-Objekt, Trieb-Umwelt, Individuum-Gesellschaft,
Natur-Kultur u. ä. aufscheint. Dieser Grundkonflikt tritt, wie wir sehen
werden, überall dort zutage, wo Gehirn und Herz nicht miteinander, sondern
gegeneinander agieren.
Ausdruck dieses Kampfes ist eine verzerrte Selbst-Wahrnehmung.
Diese speist sich aus der verzerrten Wahrnehmung des Herzens, das in seiner
Bedeutung als tiefste Quelle des menschlichen Wesens nicht nur ignoriert wird,
sondern häufig der Ablehnung und Vernachlässigung eines gehirndefinierten
Selbst-Bewusstseins unterworfen wird.
Die Stimme des Gehirns wird mannigfach verstärkt von den
Lautsprechern unserer Kultur, die es feiern, verehren, zum Götzen erklärt haben
und alle Definitionen menschlichen Glücks auf diese eine Karte setzen ... sinnentleertes
Leistungsdenken, der brennende Durst nach Ruhm und Anerkennung, die skrupellose
Gier nach Geld, die zum höchsten Glücksversprechen erhoben wird. Eine
Rationalität, die indes im wieder in den Sackgassen von Anspruch und Wirklichkeit
stecken bleibt.
Die Stimme des Herzens wird verbannt in jene Enklaven der
sog. „Kultur“, der Dichter, Musiker und der Unterhaltungsindustrie, die von
Sentimentalitäten triefen. Das sentimentale Herz aber ist das Herz, das sich in
sich selbst verliert, das nicht zwischen Sehnsucht, Lebensfreude und innerem
Reichtum auf der einen und Schmerz, Leid und Verzweiflung auf der anderen Seite
unterscheiden kann.
Sentimentalität entspricht Phänomenen wie Lustangst und Angstlust
im Bereich der Sexualität. Auch hier blockieren sich unterschiedliche Impulse
gegenseitig. Das sentimentale Herz ist das verwirrte und verstrickte Herz, das
seine ihm innenwohnenden Potentiale blockiert. Das blockierte Herz ist genau deshalb
beliebtes Sujet in der kulturellen Rezeption des Herzthemas.
(Fortsetzung folgt)
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