Dienstag, 14. Juli 2015

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (15)




Die letzte Frage möchte ich im übernächsten Abschnitt bearbeiten. Hier soll es zunächst darum gehen, die allgemeinen Manifestationen von Entfremdung zunächst phänomenologisch zu betrachten.

Der Übergang von Selbst-Verzerrung und Selbst-Begrenzung in den Bereich des „pathologischen Narzissmus“ (Kernberg 1988)* und „narzisstischer Persönlichkeitsstörungen“ (Kohut 1976)** kanndurch den Begriff der „Selbst-Entfremdung“ (Asper 1994)*** gekennzeichnet werden. Ich halte ihn für fließend und verstehe ihn weniger abgegrenzt als die o. a. Autoren. Im Falle der „Selbst-Entfremdung“ ist der Kontakt zum Selbst verloren gegangen, das Selbst ist verlassen, so wie das Kind  verlassen wurde.

Symptomatisch ist das manifeste Gefühl von innerer Leere. Die Stimme des inneren Kindes, die Stimme des Herzens, die Stimme der Gefühle sind verstummt. An ihre Stelle ist die Leere, das Nichts getreten. Naheliegend finden wir diese innere Leere auch in den Objektbeziehungen des Narzissten wieder.

Kompensiert wird bei diesen sog. „pathologischen“ narzisstischen Störungen der fehlende Selbstkontakt durch ein Wechselspiel von Grandiosität und Depression. Der narzisstisch gestörte Mensch lebt aus seinem falschen Selbstsystem heraus, welches das verstummte Selbst ersetzt. Entsprechend identifiziert erscheint er mit der „Maske“ Reichs oder der „persona“ Jungs.

Ätiologisch liegt – nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand – ein fundamentales Defizit an Bemutterung zugrunde, insbesondere der affektiven Spiegelungen, das weiter und tiefer reichte als in den weniger ausgeprägten Fällen von Selbstbeziehungsdefiziten. Dass dies mit dem nahezu vollständigen Verlust des Kontakts zur Stimme des Herzens und des Gefühlslebens einhergeht, beschreibt Kathrin Asper:
„Man hat sich das Fühlen abgewöhnt und darf die wahren Gefühle nicht mehr wahrnehmen. Die daraus entstandene innere Leere wird durch andere Ausdrucksmöglichkeiten kompensiert, was dem einzelnen erlaubt, wenigstens zu funktionieren. In diesem Sinne kann auf erwachsener Ebene von einem Sich-selber- Verlassen gesprochen werden. Wer nicht mehr geortert ist in der Lebendigkeit seiner Gefühle, tendiert zu starker Kopflastigkeit und passt sich übermäßig an kollektive Werte an.”(Asper 1994)

*** Kernberg, Otto F. (1988): Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus. Frankfurt a. M.
 
** Kohut, Heinz (1976): Narzissmus. Eine Theorie der psychoanalyti- schen Behandlung narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. Frank- furt a. M. (Suhrkamp).

*** Asper, Kathrin (1994): Verlassenheit und Selbstentfremdung. Neue Zugänge zum therapeutischen Verständnis. München 1994, S. 37

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