Die letzte Frage
möchte ich im übernächsten Abschnitt bearbeiten. Hier soll es zunächst darum
gehen, die allgemeinen Manifestationen von Entfremdung zunächst phänomenologisch
zu betrachten.
Der Übergang von
Selbst-Verzerrung und Selbst-Begrenzung in den Bereich des „pathologischen
Narzissmus“ (Kernberg 1988)* und „narzisstischer Persönlichkeitsstörungen“
(Kohut 1976)** kanndurch den Begriff der „Selbst-Entfremdung“ (Asper 1994)*** gekennzeichnet
werden. Ich halte ihn für fließend und verstehe ihn weniger abgegrenzt als die
o. a. Autoren. Im Falle der „Selbst-Entfremdung“ ist der Kontakt zum Selbst
verloren gegangen, das Selbst ist verlassen, so wie das Kind verlassen wurde.
Symptomatisch ist das
manifeste Gefühl von innerer Leere. Die Stimme des inneren Kindes, die Stimme
des Herzens, die Stimme der Gefühle sind verstummt. An ihre Stelle ist die
Leere, das Nichts getreten. Naheliegend finden wir diese innere Leere auch in
den Objektbeziehungen des Narzissten wieder.
Kompensiert wird bei
diesen sog. „pathologischen“ narzisstischen Störungen der fehlende
Selbstkontakt durch ein Wechselspiel von Grandiosität und Depression. Der
narzisstisch gestörte Mensch lebt aus seinem falschen Selbstsystem heraus,
welches das verstummte Selbst ersetzt. Entsprechend identifiziert erscheint er
mit der „Maske“ Reichs oder der „persona“ Jungs.
Ätiologisch liegt – nach dem
gegenwärtigen Diskussionsstand – ein fundamentales Defizit an Bemutterung
zugrunde, insbesondere der affektiven Spiegelungen, das weiter und tiefer
reichte als in den weniger ausgeprägten Fällen von Selbstbeziehungsdefiziten.
Dass dies mit dem nahezu vollständigen Verlust des Kontakts zur Stimme des
Herzens und des Gefühlslebens einhergeht, beschreibt Kathrin Asper:
„Man hat sich das
Fühlen abgewöhnt und darf die wahren Gefühle nicht mehr wahrnehmen. Die daraus
entstandene innere Leere wird durch andere Ausdrucksmöglichkeiten kompensiert,
was dem einzelnen erlaubt, wenigstens zu funktionieren. In diesem Sinne kann
auf erwachsener Ebene von einem Sich-selber- Verlassen gesprochen werden. Wer
nicht mehr geortert ist in der Lebendigkeit seiner Gefühle, tendiert zu starker
Kopflastigkeit und passt sich übermäßig an kollektive Werte an.”(Asper 1994)
*** Kernberg, Otto F. (1988): Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus. Frankfurt a. M.
*** Kernberg, Otto F. (1988): Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus. Frankfurt a. M.
** Kohut, Heinz (1976): Narzissmus. Eine Theorie der
psychoanalyti- schen Behandlung narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. Frank-
furt a. M. (Suhrkamp).
*** Asper, Kathrin (1994): Verlassenheit und Selbstentfremdung. Neue Zugänge zum therapeutischen Verständnis. München
1994, S. 37
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